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 Wüstensand - Verrat der Wüste

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rosali9502

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BeitragThema: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDi März 29, 2011 6:31 pm

So, meine Geschichte zieht jetzt auch um ;D
Freu mich über Kommis und Kritik
Dann mal los!


Wüstensand - Verrat der Wüste
(Teil I meiner Wüstensand-Triologie)



Was, wenn die Menschen noch nicht alle Inseln entdeckt hat? Was, wenn nur Schiffsbrüchige diese eine Insel gefunden haben? Was, wenn dieses Königreich sich anders entwickelt, als der Rest der Welt?
Diese Insel ist Silaeta. Diese Insel ist eine Wüste.

Aruna ist die Tochter eines Asfalothen und träumt selbst davon, den Asfalothen beizutreten. Dieser Orden besteht aus perfekt ausgebildeten und absolut tötlichen, aber sehr ehrvollen und treuen Kriegern, die dem König als Leibgarde dienen.
Doch dann wird Arunas Vater im Schlaf ermordet - von einem anderen Asfaloth, der daraufhin aus dem Königreich verbannt wird. Aruna schwört dem Mann, von dem nicht absolut nichts, noch nicht einmal einen Namen, weiß, Rache.
Mit ihrem Pferd Orlando, Waffen und Kleidung ihres verstorbenen Vaters macht sie sich auf, um den Mörder zu finden. Aber im Königreich sind Reiten, Tragen von Waffen und Kämpfen für Frauen verboten, was ihren Rachefeldzug nicht gerade vereinfacht. Allein die Königin darf ein Schwert führen.
Auf ihrer Suche nach dem Mörder lernt sie drei Asfaloth kennen, die ihr vom Verbot des Ordens berichten. Aruna schließt sich ihnen an und findet eine wichtige Aufgabe im Beschützen von in Not geratenen Menschen, die sie begeistert mit ihrem Schwert verteidigt.
Einer dieser Menschen ist der Prinz Leonardo von Silaeta, der sie erkennt und dem König ausliefert. Aber Aruna kann mithilfe der Königin fliehen und diese hat bald schon eine Aufgabe für die Kriegerin: Die Sicherung einer geheimnisvollen Lichtphiole. Als Unterstützung schickt die Königin den Prinzen mit - und davon ist weder Aruna noch der Prinz so wirklich begeistert, denn beide hassen sich seit Aruna ihn gerettet hatte!
Schaffen es beide, sich zusammen zu reißen und die Phiole in das Geheimversteck zu bringen, ohne, dass sie dem Ratgeber Rabanus in die Hände fällt? Und kann Aruna den Mann finden, der ihren Vater ermordet hat, und diesen ein für alle Mal vernichten?


,,Geh, Odin. Lauf, mein Freund!”, rief Aruna. ,,Du bist frei.” Der Rapphengst schnaubte und warf den Kopf hoch.
,,Lauf!”, rief sie und ließ ihre flache Hand auf die kräftige Hinterhand des Pferdes klatschen. Odin wieherte und schüttelte seine Mähne, dass seine lange, dicht gewellte Mähne um seinen hübschen Kopf wirbelte. Da stieg er und galoppierte schließlich davon.
Aruna sah ihm nach. ,,Auf Wiedersehen, Odin.”, flüsterte sie. ,,Ich werde dafür sorgen, dass der Mörder deines Herren die gerechte Strafe erhält.”
Odins Herr war Philitis, ihr Vater. Er hatte dem König als Krieger in der königlichen Leibgarde, dem Orden der Asfaloth, gedient. Die Asfaloth genossen den Ruf, die besten Ritter im Königreich Silaeta zu sein. Und Philitis war einer der besten gewesen und hatte das Amt des ersten Leibwächters der Gattin des Königs, Sylvia von Silaeta, eingenommen. Er war einer der ranghöchsten Asfaloth gewesen, die es in Silaeta gab.
Eine Mutter hatte Aruna nie gehabt. Sie hatte ihr ganzes Leben auf dem Gutshof ihres Vaters verbracht und wurde von dessen Dienerinnen versorgt, wenn er, wie sehr oft vorkam, im Dienst war.
Aber dennoch war es Philitis gewesen, der ihr alles beigebracht hatte, was sie heute konnte. Er hatte ihr die Kunst des Reitens gelernt und ihr Odins Sohn, Orlando, geschenkt. Er hatte ihr den Umgang mit dem Schwert gelernt und versprochen, dass sie sein Schwert erben würde, wenn er starb.
Allerdings dürfte Aruna sowohl das Reiten als auch den Schwertkampf nie öffentlich üben oder ausführen. Beides war den Männern vorbehalten und es hieß, dass jede Frau, die bei so etwas erwischt wurde, zum Tode verurteilt werden würde. So etwas schreckte alle Frauen Silaetas ab, weshalb nur sehr selten eine erwischt wurde.
Aruna kannte die Regel und wusste, dass Frauen lediglich einen Karren mit einem Ackergaul fahren durften, aber sie hatte das nie interessiert. Sie hatte schon früh den Umgang mit Männern gelernt und ihr ,,fehlte es an Weiblichkeit“, wie ein paar der Dienerinnen immer gesagt hatten.
Sie war wie ein Junge aufgezogen worden und benahm sich fast immer wie einer. Und obwohl ihr die Dienerinnen ihr immer Kleider genäht hatten, hatte sie stets enge glattlederne Reithosen, hohe Stiefel aus Wildleder, deren Schaft nach unten geklappt war, sowie ein Leinenhemd getragen.
Außerdem trug sie ihr langes, leicht gewelltes, rotblondes Haar, dass in der Sonne golden schimmerte, immer zu einem Zopf geflochten. Aruna mochte ihre Haare, doch sie würden sie bei verschiedenen Arbeiten nur stören.
Odin war in einer Staubwolke verschwunden. Sie legte eine Hand auf den blauschwarzen Hals Orlandos und strich ihm über die Mähne. Er war ein wunderschönes Pferd. Blauschwarz, lange gewellte Mähne und Schweif sowie Fesselbehang. Sein Körperbau war kräftig und er hatte überall feste Muskeln. Orlando war ein Nachkomme des Lieblingshengstes von König Asfalothos, dem Gründer des Asfalothen-Ordens.
Leider war nur ein Teil der Hengstlinie überliefert worden. Odin war der Sohn von Odysseus, welcher als keines, schwaches Fohlen im königlichem Stall in Juan, der Hauptstadt von Silaeta, geboren. Keiner schenkte ihm Hoffnung und deshalb sollte er als Ackergaul verkauft werden - trotz seiner exzellenten Vorfahren.
Arunas Großvater jedoch kaufte das schwache Fohlen sowie einen anderen Hengst und mehrere Stuten, denen es genau wie Odysseus ergehen sollte, und gründete seine kleine Privatzucht. Die letzten lebenden dieser waren Odin und Orlando.
Sie kannte Orlando schon von Fohlen an. Sie war ungefähr zehn Jahre alt, als er geboren wurde und sie hatte ihrem Vater bei der komplizierten Geburt zu Seite gestanden. Allerdings war Orlandos Mutter dabei gestorben und das Hengstfohlen wurde ein Flaschenkind - ihr Flaschenkind.
Seit dem waren beide unzertrennlich und Aruna wusste, dass Orlando sie immer beschützen würde, wenn er spürte, dass Gefahr drohte. Philitis hatte ihr einmal gesagt, dass sie mit dem Hengst reden konnte und seine Sprache sprach.
Aruna blickte zurück. Das Feuer loderte noch immer, wenn auch in weiter Ferne. Das war es, was von ihrer Heimat, dem Guthof von Philitis noch übrig war - ein Feuer, dass alles vernichten würde.
Sie brauchte das Gut nicht. Sie würde nun wie ein Vagabund leben, frei und herumziehend, um den Mord an ihren Vater zu rächen.
Vor wenigen Tagen wurde er im Schlaf erstochen, als er auf dem Gutshof war und seine freie Zeit genoss. Und alles deutete darauf hin, dass es um Neid um seinen Posten ging. Er war ein zu guter Mensch gewesen, als dass er solch ein Schicksal verdient hätte. Philitis war einer der verständnisvollsten Menschen gewesen, die sie gekannt hatte.
Gestern hatte man ihn beerdigt, doch Aruna durfte nur vom Rand aus zusehen. Es war ungerecht, denn immerhin war sie die einzige Verwandte, die Philitis gehabt hatte. Aber sie war nun mal nur eine Frau und hatte stark beschränkte Rechte. Sie durfte eigentlich nichts erben und genau deshalb, hatte sie alles den lodernden Flammen übergeben und Odin die Freiheit geschenkt.
Das wenige, dass sie mitgenommen hatte, trug sie bei sich. Orlando hatte den Sattel von Odin bekommen. Ein Sattel, dessen Sitzfläche mit blauem Samt, auf denen silberweiße Ornamente gestickt waren, überzogen war. Außerdem hatte sie Odins mit Metallbeschlägen verzierte Trense mit den wundervollen Zügeln mitgenommen. Sie waren an den Trensenringen etwas breiter als normale Zügel und wurden zur Reiterhand hin immer schmaler.
Ebenso hatte sie sich die Decke mitgenommen, die Orlando jetzt immer trug. Sie war aus blauem Samt und, wie der Sattel, mit silberweißen Ornament-Stickereien verziert. Durch das Schweifloch fiel Orlandos dicker, welliger Schweif. Die Decke wurde vor der Brust des Pferdes mit einer Kordel zusammengehalten und war mit einer silbernen Spange verziert.
Das besondere an dem Sattel war, dass daran Satteltaschen befestigt werden konnten, die Aruna mit Lebensmitteln, Wasser und Geld sowie einem sehr klein faltbarem Zelt gefüllt hatte.
Solches Sattelzeug konnten sich nur die reichsten Männer Silaetas leisten, und das waren neben dem König und dessen Familie nur die Asfaloth.
Aruna blickte an sich herunter. Sie trug Philitis Kleidung: schwarze, glattlederne Reithosen, schwarze Lederstiefel mit umgekrempeltem Schaft, ein weißes Hemd, ein Wams aus dunkler Seide, ebenfalls mit den silberweißen Ornamenten bestickt, sowie einen blauen Mantel mit kurzen Ärmeln, die oben aufgeschlitzt waren.
Außerdem hatte sie einen grau-braunen, langärmligen, weiten Kapuzenmantel darüber, der seinen Zweck mehr als erfüllte, denn er verdeckte nicht nur ihr Gesicht oder ihre weibliche Figur, sondern ließ sie auch ein wenig unscheinbarer wirken und außerdem war er wasserdicht.
Das wertvollste für Aruna jedoch war das Schwert ihres Vaters, das an einem braunem, aus derben Leder gefertigtem Gürten hing. Außerdem war der Gürtel mit mehreren Dolchen bespickt und ein Lederhandschuh, der bis über den Ellenbogen reichte, hing daran.
Aruna zog den Handschuh über und pfiff. Nicht nur Orlando hatte sie zum Freund, sondern auch ein recht junger Bussard gehörte zu ihren besten Freunden. Er lebte wild, aber er mochte sie und kam, wenn sie ihn rief. Sie nannte ihn Altair, da sie seinen Namen, die ihm seine Artgenossen gaben, nicht kannte. Aber Altair schien damit keine Probleme zu haben.
Der Name war arabisch und bedeutete übersetzt ,,der Fliegende”. Auch wenn der Name Altair auch der Name des hellsten Sterns im Sternbild Adler war, passte er zu dem riesigen Bussard. Zumindest fand Aruna das.
Sie suchte den Himmel nach dem Greifvogel ab und pfiff erneut. Dann streckte sie den Arm aus und pfiff wieder. Aus der Ferne näherte sich ein dunkler Fleck am Himmel, der in ihre Richtung kam. Aruna lächelte. ,,Komm zu mir, Altair!”, rief sie. Der Vogel setzte zur Landung an.
Sie spürte den Wind, den seine Flügel ihr ins Gesicht fächerten. Sie spannte ihren Arm an, als sie das Gewicht des Greifvogels spürte. ,,Hallo, Altair.”, murmelte sie. ,,Wie geht es dir, mein Freund?”
Der Bussard schaute sie mit seinen wachsamen Augen an. ,,Also gut, Altair.”, murmelte sie. ,,Ich werde nun als Vagabund leben. Ein neues Leben anfangen…”
Atair sah sie neugierig an, bevor er einen Laut ausstieß, die Flügel streckte und empor stieg. ,,Bis später, Altair, mein Freund!”, rief Aruna.
Dann blickte sie umher und suchte mit ihren messerscharfen grünen Augen die Gegend ab. Keiner war zu sehen, aber trotzdem schob sie sicherheitshalber die Kapuze über ihren Zopf.
,,Vorwärts, Orlando. Auf zum Rachefeldzug für Vater. Und auf zum Kampf für die Armen!”, rief sie und Orlando trat an.

*****

Lucan trat von einem Fuß auf den anderen. Ungeduldig wartete er neben seinen besten Freunden Arion und Roan auf dem großen Platz vor dem Königspalast in Juan. Juan war die größte, aber nicht die reichste Stadt des Reiches.
Alle Mitglieder der königlichen Leibgarde, genannt Asfaloth, waren versammelt und alle warteten so ungeduldig wie Lucan auf das Auftreten des Königs. Lucan strich seinem Pferd, einem Dunkelfuchs mit vier weißen Socken und einer schmalen Blesse, über die Schulter.
,,Warum hat uns der König hier versammeln lassen?”, fragte Arion neben ihm. Roan zuckte mit den Schultern; Lucan runzelte die Stirn. ,,Genau genommen hat uns Rabanus rufen lassen.”, entgegnete der Asfaloth. Rabanus war der Berater des Königs. Die einigste Person, die über den Asfaloth stand und damit neben den Familienmitgliedern von König Arodos die meiste Macht über das Volk von Silaeta hatte.
,,Ich weiß, dass der Berater des Königs uns hat rufen lassen, aber dass muss ja nicht heißen, dass der König nicht selbst etwas zu uns sagen will. Auch der Berater ist nur ein Bediensteter seiner Majestät.”, warf Arion ein. ,,Ihr solltet ihn ein bisschen mehr achten, Lucan. Er hat immerhin einen höheren Rang als Ihr, mein Freund.”
,,Er ist ein Schuft!”, rief Lucan. ,,Er wird Silaeta zerstören, wenn er König wird. Und er wird einen Weg finden, den König loszuwerden.”
Arion lächelte und sah sich um. ,,Das mag sein, Lucan, aber seht Euch um: Der gesamte Platz ist voll mit ehrwürdigen Asfaloth, die allesamt einen Eid geschworen haben.”, sagte er und machte eine Handbewegung, um seine Worte zu unterstützen. ,,Wenn Rabanus die Krone will, muss er zuerst an uns allen vorbei.”
Lucan lachte nicht. ,,Er findet einen Weg, uns loszuwerden. Ich spüre das.”, sagte Lucan. ,,Er wird uns alle sterben lassen und den König entmachten, ohne, dass wir ihr aufhalten können.”
,,Nun malt nicht den Teufel an die Wand, Lucan. Rabanus ist allein, wir dagegen sind fast dreißig Asfaloth. Wir sind die besten Krieger von ganz Silaeta. Glaubt Ihr wirklich, er hat eine Chance?”, fragte Arion und klopfte seinem Pferd, einem Fuchs mit breiter Blesse, den Hals.
Der Vorhang des Tores am Balkon wehte zur Seite und alle hielten den Atem an. Aber niemand kam heraus und fragende Blicke flogen über den Platz.
Lucan seufzte. ,,Der König hat uns immer pünktlich empfangen. Warum dauert diese Wartezeit heute so lange?”, murmelte er und blickte zu Arion und Roan. Die beiden zuckten mit den Schultern.
Wieder schwenkte der Vorhang zur Seite und diesmal trat Rabanus aus dem Palast auf den Balkon. Die ersten Asfaloth knieten bereits nieder. Dann knieten auch Lucan und seine Freunde ab. Es war ein Zeichen des Respekts vor den Ranghöheren, doch Lucan empfand es nur als Demütigung, sich vor so einer Person niederknien zu müssen.
,,Steht auf, Asfaloth!”, rief Rabanus Stimme über den Platz. Alle erhoben sich wieder und blickten aufmerksam zum Berater des Königs. ,,Euer König ist leider verhindert und kann Euch allen diese Entscheidung nicht persönlich überbringen. Mir selbst fällt es schwer, sie zu Euch zu verkünden, meine Freunde.”, fuhr er fort.
Lucan zuckte mit den Augenbraunen. ,,Freunde? Wir sind alle nicht mit ihm befreundet und das weiß er eigentlich auch. Ich wette, er plant etwas Mieses und will sich vorher noch bei uns einschmeicheln.”, meinte er. Arion zuckte mit den Schultern. ,,Wir werden sehen, was er zu sagen hat.”
,,Nun, ich bedauere, Euch diese Entscheidung mitteilen zu müssen, aber der König hat sich entschlossen, den Orden der Asfaloth auszulösen, da er mutige Krieger für den uns bevorstehenden Krieg gegen das Nebelland braucht - für die Front. Und ihr seid nun mal die besten Krieger ganz Silaetas.”, erklärte er und tat ein wenig traurig.
Lucan schnaubte. ,,Wie kann er es wagen, unseren Orden, der seit Generationen besteht, einfach aufzulösen!?”, fauchte er. Urplötzlich war ein großes Gemurmelt vor dem Palast ausgebrochen, an dem sich fast alle Asfaloth beteiligten.
Roan jedoch schwieg. Er sprach nie viel und kaum einer wusste etwas über ihn und seine Vergangenheit. Lucan selbst wusste neben Arion als Einziger von der Geschichte, doch es war ein Geheimnis und ein Tabu-Thema unter den Freunden.
,,Bitte Ruhe! Ich bitte um Ruhe!”, rief Rabanus. ,,Ich muss noch etwas hinzufügen, damit diese Sätze nicht vollkommen sinnlos sind.” Es folgte eine kurze Pause und das Gemurmel verstummte allmählich. ,,Nun, alle Asfaloth müssen ihre Uniform und ihre Schwerter abgeben. Das Zaumzeug dürft Ihr als Andenken behalten.”, sagte er sachlich und ohne jegliche Art von Emotionen. ,,Alle, die sich weigern, werden verhaftet und geköpft.”
Lucan fauchte wieder. ,,Habe ich es nicht gleich gesagt, meine Freunde? Rabanus findet einen Weg, um uns loszuwerden. Und er hat ihn gefunden!”, rief er. ,,Seine Majestät weiß bestimmt nichts von diesem Beschluss, aber Rabanus steht über uns.”
Dann setzte er einen Fuß in den Steigbügel seines Pferdes und zog sich in den Sattel. Er ergriff die Zügel und steckte seinen anderen Fuß in den Steigbügel. ,,Meine Freunde, meine Zeit mit Euch war wundervoll, aber ich werde meinen Stand nicht aufgeben. Ich habe geschworen, den König bis an mein Lebensende zu schützen und das werde ich tun.”, sagte er. ,,Auf Wiedersehen, Arion. Auf Wiedersehen, Roan. Es war mir eine Ehre, Euch gekannt haben zu dürfen.”
Dann galoppierte er durch die Menschenmassen hindurch und jagte vom Platz. Juans Straßen waren gut befestigt und sein Pferd beschlagen. Allerdings wusste er, dass er fliehen musste, bevor Rabanus seine Männer auf ihn hetzen würden.
Plötzlich erklang Hufgeklapper auf der Straße hinter ihm. ,,Jetzt holen sie mich!”, schoss es ihm durch den Kopf. ,,Aber ich werde schneller sein als sie!” Lucan gab seinem Dunkelfuchs die Zügel hin und trieb ihn noch etwas an. ,,Hängen wir sie ab, Darius!”, rief er.
Der Hengst streckte sich. Seine Hufe donnerten über den Erdboden. Lucan wagte es nicht, nach hinten zu sehen. Er hörte die trommelnden Hufe der anderen Reiter - es mussten zwei oder drei sein - und das war ihm genug Ansporn.
Er wusste, dass es kein Entkommen mehr gab, wenn Rabanus’ Krieger ihn einholen würde. Lucan war ein wirklich guter Kämpfer, aber gegen drei Krieger konnte selbst ehr nicht lange bestehen. Auch ein Überraschungsangriff würde ihm nicht viel helfen können.
Er lenkte Darius durch eine schmale, kurvenreiche Gasse und dann immer weiter in Richtung Hauptstadttor. Er hoffte, dass niemand dort war, um ihn aufhalten zu können. Darius spitzte die Ohren und lauschte. ,,Weiter, weiter!”, feuerte Lucan ihn an. ,,Wenn du jetzt anhältst, sind wir beide tot!”
Der Hengst schnaubte und verlangte nach noch mehr Zügel. Lucan gab sie ihm und trieb den Hengst wieder an.
Dann kam das Hauptstadttor in Sicht. Er atmete erleichtert auf, also er es nur spärlich bewacht und offen vorfand. Darius legte etwas an Tempo zu.
,,Halt, mein Herr!”, rief einer der Wächter. ,,Wo wollt Ihr hin?” Lucan lächelte nur und nickte, als er vorbei galoppierte. ,,Vielen Dank für den Durchlass!”, rief er noch.
Jetzt, wo er aus Juan draußen war, lag vor ihm nur noch die weite Wüste. Bis zur nächsten Stadt wurde es noch ein paar Stunden dauern und Lucan brannte bereits die Kehle vor Durst.
Auch Darius brauchte dringend Wasser. Er hatte seit Stunden nichts mehr trinken dürfen, da sie auf dem Platz vor dem Palast so lange hatten warten müssen. Und es war strengstens untersagt, die Pferde zu tränken, wenn der König jeden Augenblick kommen konnte.
Nur war nicht der König, sondern Rabanus gekommen und hatte den Orden der Asfaloth aufgelöst. Jetzt hatte er niemanden mehr, der ihm den Weg zum Thron von Silaeta versperrte. Niemand, der zwischen ihm und der Macht über das Königreich stand.
,,Lucan!” Er zuckte zusammen, als er die Stimme hörte, die seinen Namen rief. Sie gehörte keinem von Rabanus’ Kriegern, sondern…
,,Arion?”, fragte er und parierte Darius durch. Hinter ihm kamen Arion auf seinem Fuchs und Roan auf seinem Blauschimmel angaloppiert. ,,Lucan!”, rief Arion erleichtert und hielt sein Pferd an. ,,Ich habe schon geglaubt, dass Ihr niemals halten werdet, mein Freund.”
Erleichtert seufzte Lucan. ,,Und ich habe geglaubt, Ihr wäret Rabanus Männer, die mich verhaften sollen.”, lachte er. ,,Meine Freunde! Ich hätte wissen müssen, dass Ihr auch nicht eure Uniformen abgeben würdet.”
Arion lächelte. ,,Aber jetzt brauchen sowohl ich als auch mein guter Anatol dringend Wasser, sonst vertrocknen wir hier mitten in der Wüste.” Lucan nickte. ,,Auch Darius und ich sind geschwächt. Und Euch, Roan, ergeht es sicher nicht anders, oder?”, fragte er.
Roan nickte. ,,Albin und ich auch.”, sagte er. Es waren fast die einzigen Worte, die der Asfaloth heute gesagt hatte. Aber Lucan akzeptierte das.
Gemeinsam ritten sie nebeneinander her und hielten Kurs auf die nächstgelegene Quelle, die nur noch wenige hundert Meter entfernt lag.
Silaeta war keine gewöhnliche Wüste, wie die Gesetzlosen, auch Piraten genannt, zu pflegen sagten. Die Piraten waren die einzigen Menschen, die Silaeta jemals verlassen hatten. Sie berichteten, dass alle anderen Wüsten der Erde am Tag heiß und staubig und in der Nacht kalt waren. Die große Silaetanische Wüste war zwar warm, aber die Werte betrugen nie mehr als 20°C im Schatten und die Nächte waren auch nicht viel kälter als der Tag.
Allerdings gab es noch einen großen Unterschied zu den anderen Wüsten der Erde. In den anderen Wüsten regnete es angeblich sehr wenig und wenn es doch mal regnete, dass überfluteten Wassermassen das gesamte Gebiet. In der Wüste von Silaeta jedoch regnete es manchmal mehrere Male in der Woche, aber Fluten gab es nur höchst selten. Und es gab in Silaeta mehrere große Flüsse, die das Land feucht hielten, obwohl überall der feine Sand lag.
Lucan hielt Darius an und stieg ab, als sie an der Quelle ankamen. ,,Trink, mein Junge.”, murmelte er und füllte seine Wasserflasche mit dem kühlen Nass. Dann trank der die Flasche in einem Zug aus und füllte sie erneut. Es war töricht, ohne Wasser in der Wüste unterwegs zu sein und Lucan hatte mehr als eine Wasserflasche dabei, die er auffüllte, als sein Durst gestillt war.

*****

,,Er hat was getan?”, fragte Sylvia ungläubig. Leonardo senkte den Blick. ,,Er hat den Orden der Asfaloth aufgelöst und alle, die sich widersetzen, will er verhaften lassen, Sylvia.”, antwortete er. ,,Ich kam zu spät, als dass ich ihn hätte aufhalten können.” - ,,Das ist eine Frechheit!”, rief sie.
Der Prinz nickte. Sylvia war zwar die Königin und Gattin des Königs, doch sie war nicht Leonardos leibliche Mutter. Sie hatte ihn lediglich aufgezogen und erzogen. Deshalb sprach er sie auch nie mit ,,Mutter” sondern immer mit ihrem Namen an.
,,Dieser Schuft!”, rief Sylvia. ,,Jetzt ist unser Untergang schon fast beschlossen.” Er nickte vorsichtig. ,,Er hat nicht Vater beraten, sondern ihn verraten. Aber ich kam zu spät, als dass ich ihn hätte aufhalten können. Es tut mir leid.”, sagte er gedemütigt.
Sylvia schüttelte rasch den Kopf. ,,Ihr tragt keine Schuld daran, Leonardo.”, unterbrach sie ihn. ,,Die Schuld trägt mein Gatte. Er hätte Rabanus nie vertrauen dürfen!” - ,,Habt Ihr ihm denn nicht auch vertraut?”, fragte er und ließ sich auf einen Stuhl fallen. ,,Aber ohne die Asfaloth sind wir nahezu vollkommen schutzlos.”
Sylvia nickte langsam. ,,Ich weiß, wer er wirklich ist. Rabanus meine ich.”, gestand sie. Der Prinz zuckte zusammen und starrte Sylvia an. ,,Wer?”
,,Ihr kennt ihn auch unter seinem richtigen Namen. Ich hatte schon lange den Verdacht und jetzt habe ich ein paar wenige Beweise gefunden. Er war einst auch ein Asfaloth.”, berichtete sie. ,,Der einzige Asfaloth, der jemals seinen Eid gebrochen hatte. Er ist Orka.”
Leonardo gefror das Blut in den Adern, als er den Namen hörte. Orka. ,,Der Mörder von Philitis?”, versicherte er sich. ,,Der Mörder Eures Leibwächters?”
Sylvia nickte. ,,Ja, er hat Philitis ermordet. Und dann versteckte er sich eine Weile in der Wüste, änderte sein Aussehen, bevor er als Rabanus wieder zurück kehrte.”, erzählte sie.
,,Aber wurde Orka nicht verbannt?”, hakte er nach. ,,Er wurde von den Asfaloth ausgestoßen und aus dem Königreich verbannt, oder?”
,,Ja, das wurde er. Aber mein Gatte war blind, hat ihn nicht durchschaut, weil er so völlig anders aussah und sich anders benahm.”, erklärte sie und schüttelte den Kopf.
Leonardo schoss ein Bild von Orka durch den Kopf und er verglich es vor seinem innerem Auge mit Rabanus. ,,Tatsächlich. Das einzige, was man an ihm noch erkennt, sind seine schmalen graugrünen Augen.”, stellte er fest. ,,Weiß Vater von Euren Nachforschungen?”
Sie schüttelte den Kopf. ,,Er würde mir nicht glauben, denn er schätzt Rabanus vernünftige, aber - wie ich weiß - nur gestellte, Seite. Er hat von seinem richtigem Ich nicht die leiseste Ahnung und ist seit Rabanus’ Auftauchen immer sehr naiv. Mein armer Gatte!”
Leonardo schüttelte den Kopf, bevor er aufsprang und gegen den Stuhl trat, auf dem er gerade noch gesessen hatte. Der Stuhl schwankte stark und nur durch ein Wunder blieb er stehen. ,,Er ist ein Schuft!”, rief der Prinz. ,,Ein Schuft! Ein Schuft! Ein Schuft!”
,,Das ist er tatsächlich, Leonardo. Ein Schuft und ein Betrüger, den wir nicht stellen können - noch nicht.”, sagte sie ruhig und zog ihn zurück auf den Stuhl.
,,Aber, genau genommen, habe ich Euch nicht wegen Rabanus rufen lassen. Euer Vater - mein Gemahl - planen etwas Großes für Euch.”, fuhr sie fort. Leonardo zog die Augenbrauen hoch. ,,Was Großes?”, fragte er.
Sylvia nickte. ,,Euer Vater plant einen großen Ball. Alle adligen Mädchen sind dazu eingeladen.”, erklärte sie. ,,Ihr seit alt genug, um zu heiraten, Leonardo.”
Leonardo sprang auf. ,,Heiraten? Ihr wollt mich verheiraten!?”, rief er entsetzt. Sylvia lächelte. ,,Nein, nicht ich möchte Euch verheiraten, sondern mein Gatte, also Euer Vater.”, widersprach sie. ,,Er hofft, dass Ihr auf dem Ball Eure zukünftige Frau finden werdet.”
,,Aber ich will nicht heiraten!”, rief Leonardo. Sylvia zog die Augenbrauen hoch. ,,Warum denn nicht, Leonardo?”, fragte sie. ,,Mit einer Frau an Euer Seite würdet Ihr viel ehr als Erbe von Silaeta anerkannt werden.”
,,Ich will aber gar kein Erbe sein.”, dachte er trotzig. ,,Warum erwarten alle, dass ich mich darauf freue, eines Tages König von Silaeta zu sein?”
,,Aber warum wollt Ihr denn keine Frau an Euer Seite haben?”, fragte Sylvia. Leonardo sah betrübt zum Boden. ,,Ich werde nur das Mädchen jemals heiraten, dass ich wirklich liebe. Ganz egal, welcher Stand sie ist.”, erklärte er und sah Sylvia an.
Die Königin rührte sich nicht. ,,Habt Ihr denn schon dieses Mädchen gefunden, Leonardo?”, hakte sie nach. ,,Seid Ihr bereits verliebt und wollt deshalb nicht heiraten?”
Leonardo blickte auf den weißen Marmorboden des Saales und schüttelte den Kopf. ,,Nein. Nein, das bin ich nicht.”, sagte er schnell. ,,Aber das spielt doch überhaupt keine Rolle! Ich möchte einfach keine von diesen adeligen, hoffnungslos verwöhnten und eingebildeten Mädchen heiraten.”
,,Er wird nicht begeistert sein.”, stellte Sylvia fest. ,,Aber es ist Eure Pflicht als Prinz von Silaeta bei diesem Ball anwesend zu sein.”
,,Pflicht, Pflicht, Pflicht! Immer nur höre ich Pflicht!“ Er stand ruckartig auf. ,,Aber was wäre, wenn ich einfach nicht … da wäre?”, überlegte er laut und lief im Saal auf und ab. Sylvia stand ebenfalls auf und hielt ihren Stiefsohn an der Schulter fest. ,,Wollt Ihr Euren Vater entehren?”
Leonardo schüttelte den Kopf. ,,Entehren? Nein, ich möchte nur nicht einen so sinnlosen Ball beiwohnen.”, entgegnete er.
,,Könnt Ihr den Ball nicht absagen? Oder wenigstens Vater dazu bringen, dass er ein paar Monate später stattfindet?”, fragte er. Es musste doch irgendwie eine Möglichkeit geben, nicht heiraten zu müssen. Irgendeine.
,,Ich könnte mit ihm reden, doch ich bezweifele, dass er sich umstimmen lassen würde.”, erklärte Sylvia. ,,Es tut mir leid, Leonardo.”
Er presste die Lippen zusammen und nickte. ,,Bis später, Sylvia.”, sagte er. ,,Persia muss noch bewegt werden.” Mit diesen Worten verließ er den Saal und eilte zu den Stallungen. Persia, ein mondheller Schimmelhengst, war eines der besten Pferde von ganz Silaeta. Sein Vater hatte ihn Leonardo vor sieben Jahren als Fohlen geschenkt. Er war der Sohn seiner eigenen Stute Kassiopeia.
Er lief die Stallgasse entlang. Die Box von Persia lag bis hinten und außer Leonardo oder seinem Vater durfte den Hengst niemand anfassen. Sogar der Stallmeister hielt wie alle anderen größtmöglichen Abstand zu dem Hengst.
Er holte sich ein paar Büsten aus der Sattelkammer und lief zu seinem Hengst. Es war ein Ritual für Leonardo, sein Pferd vor jedem Ritt auf Hochglanz zu bringen. Persia genoss die Pflege.
Dann holte der Prinz den kostbaren Sattel, eines der Familienerbstücke, aus der Sattelkammer und legte ihn vorsichtig auf den Rücken des Pferdes. Dann holte er die ebenso kostbare Trense und legte sie Persia an.
Der Hengst schnaubte und schüttelte den Kopf, als Leonardo hin hinaus führte. Dann stellte er einen Fuß in den Steigbügel und saß auf. Persia tänzelte vor lauter Vorfreude zu Seite.
Leonardo lächelte. ,,Auf geht’s, mein Freund!”, rief er und ritt hinaus in die Wüste. Der Hengst wieherte laut. Der warme Wüstensand flog um die Hufe des Schimmels, seine Mähne wehte sanft im Wind.

*****

Die warme Mittagssonne schien auf Aruna und Orlando. Sie hielt schließlich im Schatten eines Felsens an und stieg ab. Dann legte sie dem Rappen die Decke über und setzte ihre Kapuze aus. Stoff schützte vor Verbrennungen, denn die Sonne schien sehr aggressiv, wenn auch nicht sonderlich warm.
Aruna setzte sich unter den einzigen Baum, der dort einsam und verlassen stand. Er schien schon eine Weile dürr und tot zu sein.
Orlando schnaubte leise. Er hatte geschwitzt, doch ihm machte die Sonne fast nichts aus. Er war daran gewöhnt und für das Wüstenleben gezüchtet worden.
,,Pause, mein Freund?”, fragte sie. Der Hengst nickte. ,,Dann machen wir hier Rast und ruhen uns ein wenig aus.”, beschloss sie und nahm Orlando Sattel und Trense ab. Sie brauchte ihn nirgends anbinden, denn sie wusste, dass er auch so bleiben würde.
Dann öffnete sie eine der Satteltaschen und fischte getrocknetes Brot und Kekse heraus. Orlando nahm vorsichtig die Brotscheiben mit seinen samtweichen Lippen und zermalmte sie, während sie von einem der Kekse abbiss.
Dann holte sie aus der anderen Satteltasche eine Flasche mit Wasser heraus. Aruna trank ein paar Schlucke und flößte dann Orlando etwas von der Flüssigkeit ein. ,,Wir müssen heute noch einen Fluss finden, damit du mehr trinken kannst, mein Freund.”, meinte sie. ,,Und vielleicht finden wir dann auch endlich wieder eine Oase.”
Aruna setzte sich in den Sand und klopfte neben sich auf den Boden. ,,Leg dich hin, mein Freund, mein Freund, und döse ein wenig.” Orlando schnaubte und knickte mit den Vorderbeinen ein. Dann ließ er sich langsam zu Boden gleiten und legte den Kopf auf Arunas Schoß.
Sie streichelte sein schwarzes Fell und der Hengst schloss die Augen. ,,Schlaf, mein Junge, schlaf.”, murmelte sie. ,,In zwei Stunden reiten wir weiter.”
Dann streckte sie sich nach dem Handschuh, zog ihn über und pfiff. Am Himmel tauchte ein kleiner, dunkler Punkt auf und sie wiederholte den Laut. Der Punkt wurde größer und gleich darauf flog Altair auf sie zu.
Der Bussard setzte sich auf ihre Faust. ,,Ruh auch du dich aus, mein Freund.”, sagte sie und strich dem Greifvogel über die Flügel. ,,Ich werde über euch beide wachen.”
Altair sah sie mit einem leuchtenden Auge an und flog dann auf den niedrigsten Ast den dürren Baumes, an den Aruna lehnte. Sie lächelte, als sie ihre beiden Freunde betrachtete. So konnte sich glücklich schätzen, Orlando und Altair zu haben.
Die Ohren ihres Pferdes zuckten. Er träumte, wusste Aruna. Er vertraute ihr und genehmigte sich nur deshalb diesen Schlaf, denn er wusste, dass sie ihn warnen würde, wenn Gefahr drohte.
Sie schätzte dieses Vertrauen sehr. Es beruhte auf Gegenseitigkeit, jeder beschützte jeden. Orlando passte auf sie auf und sie passte auf den Hengst auf.
Aruna atmete tief durch. Grenzenloses Vertrauen zu seinem Pferd. Konnte jeder Krieger, jeder Asfaloth, von sich behaupten, dass er es besaß? Nein, denn sie fand, das viele ihr Pferd nur als praktisches Fortbewegungsmittel und Kriegsmaschine ansahen, und nicht als treuen, ebenbürtigen Freund. Leider.
Die Sonne wanderte weiter und der Schatten des Felsen veränderte sich. ,,Orlando?”, fragte diese leise und berührte sanft eines der pechschwarzen Ohren des Hengstes. Das Ohr zuckte, dann flatterten seine Augenlider. ,,Orlando.”, wiederholte sie seinen Namen.
Er hob den Kopf und öffnete die Augen. ,,Mein Freund, die Zeit des Aufbruchs ist gekommen. Wir müssen weiter, um vor Einbruch der Nacht noch ein Nachtlager zu finden.
Orlando spitzte die Ohren und Aruna stand auf. ,,Altair.”, murmelte sie. Der Bussard riss die Augen auf und spreizte die Flügel. ,,Wir brechen auf, Altair.” Der Vogel blickte umher und streckte sich.
Unterdessen war der Rapphengst aufgestanden und Aruna begann, den Rapphengst zu trensen und zu satteln. Die Decke rollte sie zusammen und band sie wieder hinter den Sattel.
Sie kontrollierte noch einmal Satteltaschen und Sattelgurt, bevor sie aufstieg. Zum Schluss verstaute den Handschuh und sah, wie Altair sich in die Lüfte schwang. Sie ließ Orlando antreten und bereute es, die wichtigen Dinge wie Karte und Kompass nicht mitgenommen zu haben.
Sie hätte wirklich ein wenig Orientierungshilfe gebrauchen können. Wo sollte sie bloß hin? Zu sagen, dass man von nun an ohne Heimat in der Welt herum irrte, war eine Sache, aber plötzlich ohne Ziel in der Wüste zu sein, eine ganz andere.
Vor ihr türmte sich ein kleiner Hügel auf. Aruna strich dem Hengst über die Schulter. ,,Wir werden Wasser finden, mein Freund.”, murmelte sie beruhigend. ,,Wir schaffen das schon, oder?”
Plötzlich blieb Orlando stehen und spitzte die Ohren. ,,Was hörst du, mein …”, fing sie an. Sie brach abrupt ab. Ein Schrei hallte durch die Wüste. Dann metallische Klänge. Aruna trieb Orlando an und griff nach ihrem Schwert. Mit der anderen Hand zog sie die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht, um von niemanden erkannt zu werden.
Hinter dem Hügel sah sie schließlich das, was sie vermutet hatte: Ein Bauer hieb mit seiner Mistgabel auf einen schwatz gekleideten Krieger ein, der ein sonderbares Zeichen auf dem Mantel trug. Es zeigte eine Rune in blutigem Rot. Eine Rune, die eindeutig nicht zu den königlichen Runen des Königreiches gehörte.
,,Aber Euer Pferd gehört meinem Herrn. Mein Meister hat es verlangt!”, schrie der schwarze Krieger lauthals und hieb mit seinem Schwert weiter auf den Bauern ein, welcher versuchte, hinter seiner Mistgabel in Deckung zu gehen.
,,Banjo ist der Sohn meiner Pferde! Er ist bei mir geboren und gehört mir schon sein gesamtes Leben!”, entgegnete der Bauer wütend. ,,Verschwindet von meinem Land!”
,,Orlando, wir greifen ein.”, flüsterte Aruna, nachdem sie noch ein paar Sekunden dem Streit zugesehen hatte. Sie hob ihr Schwert und der Hengst galoppierte augenblicklich an. ,,Lasst den Bauern in Ruhe, Fremder!”, schrie sie mit tiefer gestellter Stimme. Sie konnte sich nicht leisten, an ihrer Stimme als Frau erkannt zu werden.
,,Er hat Euch nichts getan!”, rief sie wieder und schwang drohend ihr Schwert. Beide hielten mitten in der Bewegung inne und sahen sie überrascht an. Dann ließen beide die Waffen sinken.
Der Krieger fand zuerst seine Sprache wieder. ,,Wer wagt es, die Verhandlung zu stören?”, fauchte er und sein messerscharfer Blick peitschte ihr ins Gesicht. Sie war froh, dass die Kapuze ihre Augen verdeckt hielt.
,,Ich wage es.”, sagte Aruna und hielt Orlando an. Sie legte so viel Selbstbewusstsein, Stolz und Kampfgeist in ihre Worte, dass es sie selbst schon erstaunte. Orlando hob stolz seinen Kopf und seine wellige, lange Mähne wehte im Wind.
Der Krieger funkelte sie böse an. Sie konnte seinen Blick sehen, wenn sie schielte. ,,Euer Name.”, verlangte er. Stolz hob sie den Kopf und ihre Augen hätten ihn direkt angesehen, wenn sie nicht hinter der Kapuze versteckt gewesen wären.
,,Verzeiht, Fremder, aber ich habe keinen Namen.”, antwortete sie dann ruhig. Der Bauer atmete hörbar aus. ,,Ein Vagabund!”, rief er erfreut und der Krieger schwieg.
,,Vagabund, so hört mich an.”, flehte der Bauer. ,,Er will meinen Banjo, mein letztes Pferd, nachdem meine anderen beiden in hohem Alter verstorben sind. Er behauptet ständig, er würde seinem Herren gehören.”
,,Wer ist euer Herr, Fremder?”, fragte Aruna und richtete das Schwert auf den Krieger. ,,Nennt mir seinen Namen!” - ,,Der Name meines Herren ist geheim.”, entgegnete dieser. ,,Aber glaubt mir, Vagabund, das Pferd gehört meinem Herren. Der Bauer hat es gestohlen!”
,,Ich habe überhaupt nichts gestohlen!”, widersprach der Bauer heftig. ,,Vagabund, der dort ist ein Lügner!” - ,,Der Bauer lügt!”, schrie der Krieger. ,,Der lügt!”
,,Ruhe!”, rief ich und die beiden waren augenblicklich still. ,,Das Pferd gehört dem Bauern. Lasst ihn in Frieden und verschwindet, wenn Euch euer Leben lieb ist, Fremder!”
,,Ihr habt Euch aber nicht in so etwas einzumischen!”, entgegnete der Krieger und schlug mit dem Schwert nach ihr. Aruna jedoch hatte das bereits kommen sehen und parierte den Schlag. Gleich darauf ging sie zum Angriff über. Aber Krieger hatte sie offenbar unterschätzt und konnte nicht weit genug ausweichen.
Das Schwert riss ihm die Schulter aus. Blut tropfte aus der Wunde und befleckte den schwarzen Mantel des Kriegers. ,,Verschwindet von hier oder ich sorge für Euer Unglück, Fremder!”, rief sie und wischte das blutige Schwert an dem Mantel des Kriegers ab, der nur noch wie ein Schluck Wasser auf seinem Pferd hing. Ohne ein weiteres Wort galoppierte er davon.
,,Ich danke Euch, Vagabund.”, rief der Bauer. ,,Ohne meinen Banjo hätte ich mein Feld nicht mehr bewirtschaften und kein Wasser vom Fluss holen können …”
,,Bauer.”, unterbrach Aruna ihn. ,,Wo ist dieser Fluss? Mein Pferd und ich sind am Verdursten.” Der Bauer nickte verständnisvoll. ,,Etwas nördlich steht eine alte Palme. Von dort reitet Ihr nach Westen, mein Herr. Es sind nur ein paar Meilen.”
Aruna dankte ihm, steckte das Schwert zurück in die Scheide am Gürtel und ritt davon. Der Bauer hatte wirklich nur ein kleines Feld hinter dem Haus gehabt, wie sie sehen konnte, aber Ackerwirtschaft war schon immer außerhalb einer Oase etwas schwierig gewesen im Königreich Silaeta.
Nachdem der Bauer außer Sichtweite war, setzte sie die Kapuze auch wieder ab. Er hatte nicht erkannt, dass sie kein Mann war und darüber war sie sichtlich erfreut. Orlando trabte zügig nach Norden. Aruna ließ ihm die Zügel lang und setzte sich zurück.
Kurze Zeit später vernahm sie schon den Klang des rauschenden Wassers. Es war herrliche Musik in ihren Ohren. ,,Orlando, wir sind endlich da!”, rief sie glücklich und der Hengst galoppierte freudig auf den Fluss zu.
Kurz vor dem Fluss legte er eine Vollbremsung hin und Aruna rutschte lachend von dem schwarzen Rücken ihres Pferdes. Sie ließ die Zügel los, kniete sich ans Ufer und sah einen Augenblick in den Fluss.
Ihr rotblonder Zopf fiel ihr über die Schulter, als sie sich Wasser ins Gesicht spritzte. Ihre leuchtend grünen Augen spiegelten sich im Wasser und schimmerten wie Smaragde.
Neben ihr senkte Orlando sein stolzes Haupt und trank. Die Spitzen seines langen Schopfes tauchten ins Wasser. Aruna stand auf und nahm dem Hengst die Trense ab. ,,So ist es doch besser, nicht wahr, mein Freund?” Der Rappe hob den Kopf und schnaubte leise. Sie holte die Wasserflaschen und füllte sie am Fluss kniend wieder auf.
Danach verstaute sie die Flaschen wieder in den Satteltaschen und sattelte den Hengst ab. Sie legte Mantel, Stiefel und das bestickte Wams ab, so dass sie nur noch Reithosen und Hemd trug, und sprang in den Fluss.

*****

,,Was soll das heißen!?”, donnerte Rabanus. ,,Sie seien was!? Weg!?” - ,,Ja, mein Herr.”, murmelte der Mann ihm gegenüber und senkte betrübt den Blick. ,,Ja, sie sind weg. Alle drei …”
,,Was seid ihr eigentlich für Dummköpfe? Nicht mal mehr ein Tor bewachen lassen kann man Euch, ohne dass ihr die Feinde hinaus lasst!”, fauchte Rabanus. ,,Wisst Ihr eigentlich, was das bedeutet? Wisst Ihr eigentlich, was ihr angerichtet habt?”
Der Mann schüttelte den Kopf. ,,Mein Herr, ich kann sie suchen gehen. Ich werde sie finden, mein Herr, ganz bestimmt werde ich sie finden.”, wiederholte er. Rabanus schüttelte den Kopf und stieß den Mann aus dem Weg.
,,Ihr macht gar nichts! Ihr wäret zu dumm, sie zu finden! Noch einen Fehler kann ich mir nicht erlauben!”, zischte er und winkte einen anderen Mann zu sich. ,,Sperrt ihn ins Verließ! Sofort!” Der Mann verbeugte sich und zerrte den anderen dann aus dem Raum.
Rabanus ließ seine beiden besten Krieger rufen. ,,Sattelt mein Pferd, Bursche!”, rief er dem Sohn eines Kriegers zu. ,,Beeilt Euch!”
Rabanus fluchte. ,,Alles, was ordentlich werden soll, muss man selbst erledigen! Dieser Idiot hat mich fast ruiniert! Drei Rebellen und alle drei verschwunden. Einfach weg!”
Seine beiden wichtigsten Krieger traten ein. ,,Da seit ihr ja endlich, Marek und Bardo.”, sagte er. ,,Man hat uns verraten und die drei Rebellen fliehen lassen. Offenbar haben sie auch noch Pferde.”
Rabanus schwieg kurz. ,,Ich werde selbst nach ihnen suchen und ihr werdet mit mir kommen, Marek und Bardo. Beeilt euch! Sie können noch nicht weit sein!”
Marek und Bardo verbeugten sich und eilten dann davon, um ihre Pferde zu satteln. Rabanus sah ihnen noch kurz nach. Sie waren die einzigen Krieger, auf die er sich hundertprozentig verlassen konnte. Sie würden ihn im Gegensatz zu diesem Dummkopf nicht verraten.
,,Euer Pferd ist bereit, mein Herr.”, sagte der Junge, den er vorhin geschickt hatte. Rabanus legte seinen Waffengürtel um und zog seine Handschuhe aus Leder an. Dann lief er nach draußen.
Sein Pferd stammte aus der königlichen Zucht. Der König selbst hatte es ihm geschenkt, als er ihn als Ratgeber eingestellt hatte. Was er jedoch nicht wusste, war, dass Rabanus ihm nicht treu diente und dies auch nie tun würde. Er wollte nur eines mit seiner Position als königlicher Ratgeber erreichen und das war ein Königsmord, um sich selbst zum König krönen zu lassen.
Rabanus lachte leise. Diese Sache würde ein für alle Mal beendet sein, wenn die Asfaloth, eine Gruppe von königlichen Leibwächtern und hervorragenden Kriegern, endlich vernichtet wären.
Rabanus war selbst einst ein Asfaloth gewesen. Stets einer der besten und er hatte die ehrenvolle Aufgabe bekommen gehabt, die Königin zu bewachen. Mit Stolz und Ehre war er dieser Aufgabe nachgekommen.
Doch dann hatte der König ihn eiskalt versetzt und einen neuen Asfaloth den Schutz der Königin übertragen. Rabanus spuckte auf den Boden, als er sich an diesen Mann erinnerte. Sein Name war abscheulich: Philitis.
Doch als einer der anderen Asfaloth die Königin bewachte und Philitis auf seinem Gut war, hatte Rabanus sich gerächt. Im Schlaf hatte er Philitis ermordet und wäre dabei fast von dessen Tochter, einem ungezogenem Weib namens Aruna, erwischt worden.
Aber Rabanus war einer der besten und schnellsten Asfaloth und konnte flüchten, bevor seine Tochter ihn mit dem Dolch im Herzen fand. Unglücklicherweise trug der Dolch seinen Namen. Seinen richtigen Namen, Orka, und nicht seinen Decknamen.
Der König hatte ihn als Verräter angesehen und aus dem Orden der Asfaloth geworfen, bevor er ihn aus dem Königreich verbannt hatte. Rabanus war zu den Nebellandkriegern, gefährlichen und nahezu unbesiegbaren Killern, geflohen. Er wurde von ihnen aufgenommen und vor dem Königreich geschützt, denn dieses war der ärgste Feind des Nebellandes.
Nach einem Jahr jedoch hatte Rabanus beschlossen, sich am König und am ganzen Königreich Silaeta zu rächen. Unter seinem neuen Namen, Rabanus, war er zurück gekommen und hatte sich als königlicher Ratgeber beworben.
Der König vertraute ihm inzwischen blind und Rabanus bekam den Oberbefehl über alle Krieger des Reiches. Und nun hatte er gerade die Asfaloth, die Lieblinge des Königs, ausgeschalten. Nun ja, fast alle dieser Asfaloth, außer drei Männern.
Drei Freunden von diesem Philitis und alle drei schienen Rabanus längst durchschaut zu haben. Und ausgerechnet diese hatte dieser Idiot entkommen lassen. Die letzten drei Asfaloth, die wirklich ihren Schwur dem König gegenüber halten würden und ihn und seine Familie mit dem Leben schützen würden.
Rabanus fluchte laut und sprang auf sein Pferd. Dann gab der dam Braunen die Sporen und galoppierte, gefolgt von Marek und Brando, hinaus in die Wüste.
Es war nicht schwer, den Spuren von drei flüchtenden Reitern zu folgen. Zumindest ein paar hundert Meter lang. Dann kam er jedoch auf freies Feld, ohne jeden Schutz durch einen Felsen. Die Spuren hatten sich in nichts ausgelöst.
Schnaubend hielt Rabanus sein Pferd an. Diese verdammten Asfaloth hatten ihn ausgetrickst! Ohne Spuren konnte er die Sache vergessen. Ehr würde er sich in der Wüste verirren, als diese drei Männer zu finden.
,,Mein Herr, was sollen wir tun?”, fragte Brando und hielt sein Pferd an. Rabanus funkelte ihn wütend an. ,,Wir können nichts tun, Brando! Dieser Idiot muss dafür zahlen - mit seinem Leben!”, fauchte Rabanus. ,,Reiten wir zurück und drehen diesem Verräter dem Kopf um!”
Nur widerstrebend ließ er den Hengst wieder umdrehen. Zu groß war seine Wut auf diesen Verräter, der alle drei hatte entkommen lassen. ,,Es wird sich noch eine Chance bieten, diese Rebellen zu fangen. Es muss sich noch eine Chance bieten und dann werde ich bereit sein, sie endgültig aus dem Weg zu schaffen!”, murmelte er vor sich hin und gab dem Hengst die Sporen.

*****

Aruna ritt weiter, doch so, wie sie auf Orlandos Rücken saß, konnte man wohl kaum vom ,,Reiten” sprechen. Zusammengesunken und mehr wie ein Sack voll Korn als ein Reiter.
Doch Orlando schien das zu ignorieren. Er wusste offenbar genau wie sie, dass sie dringend einen Schlafplatz für die Nacht brauchten. Immerhin war es schon seit geraumer Zeit stockdunkel und nur der Mond leuchtete noch den Weg.
Dazu kam, dass sie sich nicht einfach irgendwo mitten in die Wüste legen konnte. Sandstürme oder kräftige Winde konnten sehr überraschend sein und wenn sie einem im Schlaf überraschten, gab es kaum eine Überlebenschance. Und selbst wenn Aruna sich ein Zelt bauen würde, so was Orlando doch immer noch ungeschützt.
Der beste Platz zum Schlafen war eine Höhle und davon gab es im felsigen Wüstenland sehr viele, nur stellte Aruna auch hier wieder Ansprüche. Sie musste groß genug sein, damit Orlando noch mit hinein passte.
Außerdem musste die Decke natürlich hoch sein, damit sich ihr Hengst nicht den Kopf stieß und dem Wind abgewandt wäre auch nicht schlecht, denn sonst würde der feine Sand die Höhle ausfüllen und vielleicht sogar den Eingang verschütten.
Ach ja, und außerdem musste sie tief genug sein, damit andere Menschen sie nicht dort drin entdecken konnten und ein kleiner, unscheinbarer Eingang schien auch noch ein Vorteil zu sein.
Nun, die Liste mit Arunas Ansprüchen war äußerst lang. ,,Viel zu viele Ansprüche.”, murmelte sie und richtete sich im Sattel auf. Eine Felswand neben ihr. Wieder einmal.
Doch nun entschied sich Aruna, die nächste Höhle zu nehmen, in die Orlando und sie hineinpassen würden, egal wie groß, hoch oder tief sie war und ganz egal, welche Art von Eingang sie hatte und wie der zur Windrichtung lag.
Sie ließ sich aus dem Sattel gleiten, als die nächste Höhle auftauchte. Schweigend führte sie den Rappen hinein und gleich darauf bemerkte sie, dass es stockdunkel in der Höhle war. Sie seufzte laut und tief. Zuhause hatte es immer Kerzen und Streichhölzer gegeben.
Aber hier hatte sie nichts, das Licht spenden würde. Ganz und gar überhaupt nichts. Sie fluchte und versuchte, in der Finsternis ihr Pferd abzusatteln und abzutrennen, doch es wollte ihr nicht ganz gelingen.
,,Es tut mir leid, mein Freund, aber es ist zu dunkel.”, murmelte Aruna. ,,Wenn mir irgendetwas Licht spenden würde, …” Sie wusste selbst nicht so ganz genau, warum sie den Satz nicht zu Ende aussprach und sich schweigend umdrehte.
Aber dann drangen klapperndes Metall und das Knarzen von Leder an ihr Ohr. Irgendjemand kam auf ihre Höhle zu. Sie hörte die Stimme eines Mannes und in wenigen Minuten würde dieser sie hier drin finden.
Rasch zog sie sich die Kapuze tief ins Gesicht, griff nach ihrem Schwert und rannte an den Eingang. Im Schatten der Nacht beobachtete sie Reiter. Drei Männer, die wie eiskalte Krieger aussahen. Sie waren furchteinflößend.
Sie trat einen Schritt nach vorn und scharfe Augen konnten sie jetzt sogar sehen, doch die Männer plauderten weiter. Sie waren nur fünf Meter von ihr entfernt und Aruna erkannte, dass sie alle drei ein Schwert trugen.
Sie griff den Knauf ihres Schwertes noch fester und zog es so lautlos wie möglich heraus. Plötzlich hielt einer der Männer an. Er ritt auf einem hellem Pferd. Doch die genaue Farbe konnte sie in der Finsternis nicht erkennen.
Was ihr jedoch aufgefallen war: Der Mann beteiligte sich nahezu gar nicht an dem Gespräch. Er starrte in ihre Richtung und Aruna erkannte, dass er sie gesehen hatte.
Als seine Freunde bemerkten, dass er sein Pferd angehalten hatte, wendeten sie ihre Pferde und hielten neben ihm dann ebenfalls an. ,,Roan?”, fragte einer der beiden, doch der Mann auf dem hellerem Pferd rührte sie nicht und starrte sie nur weiter an.
Dann richtete einer der Männer den Blick ebenfalls in ihre Richtung. ,,Fremder!”, rief er und schlug mit dem Schwert nach ihr. Aruna jedoch war auf so etwas vorbereitet und parierte den Angriff.
,,Lucan, was soll das?”, fauchte der dritte Mann. Der Mann mit dem Schwert rührte sich nicht, zog das Schwert nicht zurück. Seine kräftige Stimme drang durch die Nacht. ,,Wer seid Ihr, Fremder? Seid Ihr einer der Handlanger?”
Aruna zitterte nicht, sondern hielt nur starr das Schwert hoch, um den Schlag zu halten. Bevor der Mann es nicht zurück zog, würde sie die Deckung sicherheitshalber aufrecht erhalten.
,,Ich bin Vagabund.”, erklärte sie. Der Mann mit dem Schwert lachte. ,,Vagabund? Das ist kein Name, sondern eine Bezeichnung!”
,,Ich habe keinen Namen mehr.”, sagte Aruna mit ihrer verstellt tiefen Männerstimme. ,,Aber nennt mich Vagabund, Herr.” Der Mann lachte wieder. ,,Wer seid Ihr und woher kommt ihr?”, fragte er weiter.
Aruna zeigte keine Reaktion. Alles, was sich an ihr bewegte, waren ihre Lippen, als sie die Frage des Mannes beantwortete. ,,Ich bin Vagabund und woher ich komme, ist unwichtig.”, beharrte sie eindringlich.

*****


Zuletzt von rosali9502 am Di März 29, 2011 6:34 pm bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDi März 29, 2011 6:32 pm

Arion schaute weiter auf Lucan und den fremden Krieger. Sie konnten ihn nicht ziehen lassen, wenn er einer von Rabanus’ Männern war. Oder gar ein Spion aus dem Nebelland.
Als Lucan Anstalten machte, abzusteigen und dann dem Krieger das Schwert erneut unter die Nase zu halten, schüttelte Arion den Kopf. ,,Lucan, es reicht!”, sagte er. ,,Steckt das Schwert weg und lasst uns zuerst mit diesem Fremden reden, bevor du ihn in Scheiben schneidet!”
Lucan zischte grimmig und steckte das Schwert weg, stieg ab und riss das Schwert ebenso plötzlich wieder heraus. Der Fremde parierte den Schlag wieder mit der unmöglichen Reaktionsgeschwindigkeit, mit der er den vorherigen schon pariert hatte.
Da fiel Arions Blick auf das Schwert. Im silbernen Mondlicht glänzte es und eine Gravur auf der Schneide flammte auf. Eine ihm nur zu bekannte Gravur.
,,Sein Schwert! Seht auf die Klinge!”, rief er und Lucan hielt in der Bewegung inne und starrte auf die silberne Schneide. Arion wusste, dass er genauso überrascht war wie er selbst.
,,Fremder!”, rief Lucan, doch als der fremde Mann die Blicke auf dem Schwert zu bemerken schien, schob er es eilig wieder in die Scheide, als ob es niemand sehen dürfte.
Arion versuchte, das Gesicht des Fremden zu sehen, doch es war durch eine Kapuze geschützt. Aber vielleicht traute der Fremde ihnen nicht. Vielleicht war er wie Arion und seine Brüder ebenfalls geflohen und …
Da riss Lucan ihm die Kapuze vom Kopf und Arion erstarrte. Ein langer, rotblonder Zopf fiel über die Schultern und ein weibliches, misstrauisches Gesicht starrte ihn an. Eine Frau!
,,Eine Frau?” Verwirrt blickte Lucan drein. Arion schüttelte den Kopf und sah dann noch einmal genauer hin. Immer noch eine Frau.
,,Ihr wisst genau, dass Frauen Kämpfen und Reiten strengstens verboten sind, warum trag Ihr also ein Schwert und könnt auch noch damit umgehen?”, fauchte Lucan. Arion stieg von Anatol und nahm die Zügel des Hengstes.
,,Woher habt Ihr das Schwert?”, fragte Arion. ,,Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, was für ein Schwert Ihr tragt?” Die Frau nickte. ,,Natürlich weiß ich, was es für ein Schwert ist.”, sagte sie selbstbewusst und stolz. ,,Es war das Schwert meines Vaters.”
Das Schwert ihres Vaters? Woher hatte es ihr Vater? War dieser einer der Ordensbrüder gewesen, oder hatte er es als Trophäe jemanden nach einem Duell abgenommen?
,,Wisst Ihr überhaupt, was diese Runen auf dem Schwert bedeuten?”, fragte Lucan. Kaum einer wusste so etwas, außer die Ordensbrüder. Die rotblonde Frau jedoch nickte.
,,Natürlich. Ich kann diese Runen nicht lesen, aber Vater hat mir erzählt, was darauf stand. Ich habe es auswendig gelernt.”, sagte sie stolz. ,,Ich beschütze die Königsfamilie mit dem Leben und das Schwert wird mir dabei Hoffnung geben. Ich schwöre bei meinem Leben, die Königsfamilie zu ehren und vor allem Unheil zu bewahren.”
Arion staunte. Sie sagte diese Worte - den Eid der Asfaloth - nicht irgendwie, sondern mit Stolz und Ehre. Ihre Stimme klang ehrlich und Arion spürte, dass sie diese Zeilen nicht einfach auswendig gelernt haben musste, damit sie diese aufsagen konnte. Sie schien auch danach zu leben. Wie die Asfaloth es taten.
,,Wenn Ihr wisst, was darauf steht, wisst Ihr auch, was das bedeutet?”, fragte Arion nach. Wieder nickte die junge Frau. ,,Es ist der Eid, den die Asfalothenkrieger schwören. Der Eid, der niemals gebrochen werden darf.”, meinte sie. ,,Vater hat mir alles über die Asfaloth gelernt. Wie sie kämpften, wie sie dachten und er lehrte mich all dies auch.”
Ihre Stimme wurde leiser und ein Hauch von Trauer und Rache zog ihr über das Gesicht. Arion sah sie fragend an. ,,Ihr wisst, dass Euer Vater damit etwas Verbotenes getan hat, oder?”
Sie nickte. ,,Man kann ihn nicht mehr bestrafen.”, murmelte sie. ,,Nur noch mich kann man bestrafen, aber ich bin flink und niemand wird mich einholen können.”
,,Warum kann man Euren Vater nicht mehr bestrafen?”, fragte Arion. ,,Verzeih die Frage, sie ist unhöflich.” Die Frau sah auf. ,,Das ist sie allerdings.”, bestätigte sie. ,,Aber dennoch: Mein Vater wurde ermordet.”
Arion zuckte zusammen. Ermordet. Ein Asfaloth. Er wusste, dass es nur wenige Morde an Asfalothen bisher in der Geschichte Silaetas gegeben hatte. Um genau zu sein, wusste er nur von fünf. An das letzte Opfer erinnerte er sich noch zu gut. Es war der vierte Bruder neben Lucan, Roan und ihm selbst gewesen. Philitis.
,,Wer war Euer Vater?”, fragte Arion. ,,Und warum tragt Ihr ein Schwert bei Euch? Was wollt Ihr damit erreichen?” - ,,Ich will Rache. Ich will mich am Mörder meines Vaters rächen, auch wenn ich von dem absolut nichts, noch nicht einmal eine Namen weiß oder sein Aussehen kenne.”, erwiderte sie entschlossen.
,,Wer war Euer Vater?”, wiederholte Arion. Inzwischen war ihm klar, dass sie nicht zu den Handlangern Rabanus’ oder zu den Spionen der Nebellandkrieger gehörte. Dazu kannte sie sich viel zu gut mit den Asfaloth aus.
,,Wozu braucht Ihr dieses Wissen? Und was wollt Ihr eigentlich?”, fragte die Frau und Arion wurde bewusst, dass sie noch nicht einmal ihren Namen kannten.
,,Ich kann Euch alles erklären, aber Ihr würdet mir nicht zuhören. Und wenn es Eure Fragen beantwortet: Wir sind auf der Flucht. Der Asfalothenorden wurde aufgelöst und alle, die sich weigern, Waffe und Uniform niederzulegen, werden ermordet.”, sagte Arion. ,,Es klingt unschön, doch das ist die Wahrheit.”
Die Frau taumelte ein paar Schritte zurück. ,,Bringt Ihr mich um, wenn ich Euch all das anvertraue, was Ihr wissen wollt?”, fragte sie. Arion schüttelte den Kopf.
,,Ich werde Euch beschützen, das verspreche ich. Keiner meiner Freunde wird Euch etwas antun.” Es war Roan gewesen, der dies gesagt hatte. Es war das erste gewesen, was er seit der Begegnung mit dieser Frau überhaupt gesagt hatte.
Dann hörte Arion ein Rascheln und Roan stieg ab, bevor die Frau in die Höhle zeigte. Es war stockdunkel, aber hinter ihm leuchtete plötzlich ein Licht. Kerzenlicht. Roan trug stets Kerzen und Streichhölzer bei sich, für Fälle wie diesen.

*****

Aruna wusste nicht, ob sie den Männern trauen konnte. Ihr Herz zögerte, doch sie ließ sich nichts anmerken und schritt voran in die Höhle. Ein Licht flackerte auf. Der schweigsame der drei Männer hatte eine Kerze angezündet.
Sie pfiff nach Orlando und der Hengst trottete treu auf sie zu. Im schwachen Schein der Kerze sattelte und trenste sie den Rappen ab. Sie liebkoste ihn noch, bis die Männer ihre Pferde ebenfalls abgesattelt hatten.
Für einen Augenblick betrachtete Aruna die Pferde der Männer. Ein Dunkelfuchs, ein Fuchs und einer der besonders seltenen Blue Roans. Sie spitzte die Ohren und hörte zu, als die Männer sich von ihren Pferden verabschiedeten. Der Fuchs wurde Anatol genannt, der Dunkelfuchs Darius und der Blue Roan hieß Albin.
Der Mann, der sie vorhin ständig ausgefragt hatte, trat neben sie. ,,Odin?”, fragte er. ,,Woher habt Ihr Odin?” Aruna sah ihn an. ,,Das ist nicht Odin.”, widersprach sie. ,,Er heißt Orlando.”
,,Mädchen, das ist Odin. Ich kenne dieses Pferd. Es ist das Pferd von einem mir bekannten Asfaloth und es heißt Odin.”, beharrte der Mann. Doch wieder schüttelte sie den Kopf. ,,Ich weiß selber, wie Odin aussieht. Und ich weiß, dass das hier nicht Odin, sondern Orlando ist.”, erklärte sie. ,,Er ist Odin nur deshalb so ähnlich, weil er der Sohn von Odin ist.”
Der Mann glaubte ihr nicht, doch als Aruna darauf bestand, dass Orlando einige Jahre jünger wäre und ihm schließlich das Gebiss des Pferdes zeigte, glaubte er ihr. ,,Odins Ebenbild.”, murmelte der Mann erstaunt. ,,Aber woher kennt Ihr Odin?”
,,Er war das Pferd meines Vaters.”, sagte Aruna, streichelte ein letztes Mal Orlandos Nase und setzte sich zu den anderen. Der Mann folgte ihr schweigend.
,,Da fällt mir ein, dass wir uns noch gar nicht vorgestellt haben.”, sagte der Mann, der sie angegriffen hatte. ,,Mein Name ist Lucan. Und das sind meine Freunde Arion …” Er zeigte auf den Mann, der sich inzwischen neben mich gesetzt hatte. ,,… und das ist Roan.”
Aruna nickte. ,,Ich bin Aruna.”, erklärte sie. ,,Ihr versteht, dass ich ihn vorhin nicht nennen konnte, ohne dass ihr, meine Herren, Verdacht schöpfen würdet.”
Die Männer nickten. Schließlich ergriff Arion das Wort. ,,Sie kann nicht nur kämpfen und trägt das Schwert unseres vierten Bruders, meine Freunde, sondern reitet auch noch den Sohn dessen Hengstes Odin.”, meinte er.
,,Odin?”, fragte Lucan. ,,Ihr habe hier kein Pferd gesehen.” Arion lachte. ,,Lucan, seit wann bemerkt Ihr etwas, das Ihr nicht bemerkten wollt.”, rief er und Aruna pfiff leise.
Orlando spitzte die Ohren in der Dunkelheit und trottete dann langsam zu ihr. ,,Orlando, leg dich hin und schlaf ein Weilchen.”, murmelte sie und klopfte auf neben Höhlenboden neben sich. Der Hengst schnaubte und strich ihr mit der Nase über die Schulter.
,,Nun mach schon, mein Freund.” Erneut klopfte sie auf den Höhlenboden und der Rappe ließ sich langsam und elegant zu Boden gleiten, bevor er seinen Kopf wie immer auf Arunas Schoß legte und die Augen schloss.
,,Da sieh einer an!”, rief Arion. ,,Sie kann mit diesem Pferd reden!” Aruna streichelte den schwarzen Kopf und fuhr mit den Fingern durch die lange, gewellte Mähne.
,,Ja, wir können miteinander reden.”, meinte sie. ,,Wir sind Freunde, die sich grenzenlos vertrauen und gegenseitig beschützen.” Noch immer hingen bewundernde Blicke der Männer an ihr und sie wich den Blicken aus.
,,Dürfte ich vorstellen? Das ist Orlando, Sohn des Pferdes Odin, der einst einen mutigen Asfaloth getragen hatte. Meinen Vater.”, sagte sie schließlich.
,,Wer war Euer Vater, Aruna?”, fragte Lucan. Wieder oder immer noch hingen die Blicke an ihr. ,,Was wollt Ihr mit diesem Wissen, Lucan?”, antwortete sie mit einer Gegenfrage. Sie wollte nicht so einfach den Namen Ihres Vaters gegenüber jemanden preisgeben, den sich nicht kannte.
,,Wir wollen nur wissen, ob er unser vierter Bruder war.”, meinte Lucan. ,,Er wurde ebenfalls ermordet - wie Euer Vater.” - ,,Er hatte keine Brüder.”, entgegnete sie. ,,Er hatte weder Brüder noch Schwestern, sondern nur mich und die Pferde.”
,,Wir sind auch keine Brüder, wie Ihr Euch jetzt denkt, Aruna.”, meinte Arion. ,,Was Lucan mit Brüdern meint, sind die Ordensbrüder der Asfaloth.” - ,,Ihr behauptet also, Asfaloth zu sein wie mein Vater es war?”
Roan nickte, doch er sprach nicht ein Wort. ,,Das sind wir.”, meinte Lucan. ,,Die letzten drei Asfaloth von Silaeta.” - ,,Die letzten drei?”, fragte Aruna verwirrt. ,,Was ist denn mit den anderen Asfaloth geschehen?”
,,Der Orden wurde vom Ratgeber des Königs aufgelöst. Wir drei sind geflohen, denn wir würden unsere Ehre niemals hinwerfen und den Eid niemals brechen. Wir sind auf der Flucht, gejagt von Rabanus’ Handlangern, die uns für unsere Tat ermorden sollen.”, meinte Lucan. ,,Aber wir haben geschworen, den König zu schützen, und das werden wir auch tun!”
Arion nickte. ,,Der Feind weiß von der Flucht, der Feind kennt unsere Namen, doch unser Herz hat keine Furcht, vor den schwarz wehenden Fahnen.”
,,Was ist das? Seit Ihr Dichter?”, fragte Aruna. Arion lachte kurz auf. ,,Er liebt es, alle möglichen Dinge zu dichten, wenn ihm danach ist.”, sagte Lucan. ,,Jeder von uns hat so seinen völlig eigenen Charakter und wir unterscheiden uns mehr als wir uns gleichen.”
,,Lucan zu Beispiel ist starrköpfig und rennt ehr mit dem Kopf vor die Wand, als durch die Tür daneben zu gehen. Er haut drauf und denkt danach erst über seine Tat nach.”, erklärte Arion.
,,Und Arion, der muss ständig dichten und spielt immer den gutmütigen Edelmann. Er überlegt stundenlang und manchmal ist es schon zu spät, wenn er eine Entscheidung gefällt hat. Aber wenn die Entscheidung mal rechtzeitig kommt …”, konterte Lucan.
,,Dann ist sie brillant!”, rief Arion. ,,Alle meine Ideen sind brillant. Ich bin sozusagen der Denker unter uns Brüdern. Wie oft hat uns schon mein brillanter Plan geholfen, aus einer Situation noch mehr herauszuholen?”
,,Den schärfsten Verstand hat immer noch Roan.”, entgegnete Lucan. ,,Er hat die besten Adleraugen und hat uns oder unsere Missionen schon oft gerettet.” - ,,Er hat eine schlechte Vergangenheit, deshalb spricht er nicht viel.”, fügte Arion hinzu.
Aruna fragte nicht nach, was denn passiert sei. Die Frage wäre zu unhöflich gewesen. Stattdessen erzählte sie von ihrer Mission. ,,Aber wer ist nun Euer Vater, Aruna?”, fragte Lucan drängend. Sie seufzte. ,,Sein Name ist Philitis, er war der Leibwächter der Königin.”
,,Unser Bruder!”, stieß Arion hervor. ,,Ihr seid wahrhaftig seine Tochter?” - ,,Natürlich ist sie das. Sie ist ihm so unglaublich ähnlich in allem.”, meinte Roans Stimme. Das zweite Mal an diesem Tag, dass er sprach. Aruna fragte sich, was wohl damals grausames geschehen war, dass ihn so schweigsam gemacht hatte.
,,Ich habe doch gesagt, dass er den schärferen Verstand hat, Arion.”, rief Lucan. ,,Aber Ihr seid einfach nur zu arrogant, dass zu akzeptieren!” - ,,Arrogant? Was bildet Ihr Euch?”, konterte Arion, doch als Roan leise knurrte, schwiegen beide wieder.
,,Aber wenn ihr Asfaloth seid…”, fing Aruna an. Arion jedoch unterbrach sie. ,,Asfaloth waren.”, verbesserte er. ,,Nein!”, fauchte Lucan. ,,Wir sind und bleiben Asfaloth!”
,,Mir ist egal, ob ihr welche seid oder ward.”, sagte Aruna laut und die beiden Streithähne blieben wieder still. ,,Ihr habt die Ausbildung durchlaufen. Also könnt ihr mir vielleicht noch das ein oder andere beibringen. Ich will selbst Asfaloth werden.”
Lucan lachte. ,,Ihr seid nur eine Frau. Ihr dürftet nicht einmal ein Schwert tragen oder reiten, dass wisst Ihr doch hoffentlich, oder?”, warf er ein. ,,Und ob ich das weiß!”, rief Aruna. ,,Aber wenn der Orden offiziell aufgelöst ist, ist es doch eigentlich egal.”
Arion und Lucan wollten zum Sprechen ansetzen, doch Roan hob die Hand. ,,Streiten könnt ihr auch später noch. Und sie hat recht.” Er zeigte auf mich, bevor er dann sein Schwert griff. ,,Auf geht’s!”, rief er. ,,Verteidigt Euch!”
Aruna hatte ihn noch nie so viel sagen gehört, doch ohne ein Wort zog sie ihr Schwert und begann ein Duell gegen ihn. Lucan sah erstaunt auf, bevor er sich in den Übungskampf mit einmischte. Es war gar nicht so leicht, gegen zwei Gegner standzuhalten, doch sie schaffte es irgendwie.
Als dann jedoch auch Arion noch am Kampf gegen Aruna teilnahm, wurde es richtig schwierig für sie, doch Aruna wollte nicht aus schwache Frau einfach aufgeben und kämpfte tapfer weiter, bis Roan den Hand hob und den Kampf abbrach.
,,Sie hat Talent. Also trainieren wir auch ihre Kampfkünste.”, meinte Roan, bevor er wieder in sein tiefes, emotionsloses Schweigen versank. Arion nickte. ,,Gut, Aruna, dann bleibt Ihr bei und wir trainieren Euch.”, versprach er. Aruna willigte ein.
Von da an reiste sie mehrere Tage mit den drei Rebellen umher und lernte von ihnen die Kampftaktiken der Asfaloth. Da sowohl sie, als auch ihre neuen Freunde von niemanden erkannt werden durften, versprachen sie sich gegenseitig, die anderen zu schützen.

*****

,,Leonardo, Euer Vater wartet.”, hörte er Sylvias Stimme. Dann klopfte es an die Tür seines prächtigen Privatraumes. ,,Seid Ihr fertig?”
,,Noch nicht.”, entgegnete er und eine Zofe half ihm beim Anziehen des Seidenhemds. Dann legte er das bestickte Wams an und kroch in seine Stiefel, während eine andere Zofe an seinem dunkelbraunem Haar herumfingerte.
,,Beeilt Euch, Leonardo.”, drang Sylvias Stimme erneut durch die Tür. ,,Euer Vater wird langsam ungeduldig.” - ,,Schon gut, schon gut!”, rief er und sprang auf. Er lief zu Tür, legte seinen Umhang an und ging hinaus.
,,Da seid Ihr ja endlich.”, sagte sie. ,,Wie geht es Euch?” Leonardo schüttelte den Kopf. ,,Ganz und gar nicht gut.”, murmelte er. ,,Ich will mir heute nicht meine Braut aussuchen müssen.”
,,Ihr könnt ja fliehen.”, lachte Sylvia. ,,Nun zieht nicht so ein Gesicht. Ihr werdet sicher eine hübsche Frau finden. Immerhin seit Ihr anmutig und könnt tanzen. Die Damen werden Euch allesamt zu Füßen liegen.”
,,Was will ich denn mit einer Dame, die mich nur um meines Aussehen willens anbetet? Wenn schon, dann will ich eine Frau, die mich wirklich liebt und nicht nur meinen Stand, meine Talente oder mein Aussehen.”, sagte er und lief schweigend neben Sylvia zum Festsaal.
Fliehen. Dieses Wort war Musik in seinen Ohren. Fliehen. Aber wie sollte er das anstellen, wo doch sein Vater ständig ein Auge auf ihn hatte? Wie war es möglich, fliehen zu können, ohne Ärger zu bekommen?”
Fliehen. Ja, er würde von diesem Fest fliehen. Er brauchte nur noch eine Idee, wie er das anstellen konnte. Aber er würde es schaffen.
Mit neuem Mut und schwungvollen Schritten lief der junge Prinz in den Saal. Es spielte noch keine Musik, aber die Gäste - allesamt reiche Familien mit ihren Töchtern - standen an einer Wand und unterhielten sich murmelnd.
Als sie jedoch Leonardo erblickten, verneigten sich alle vor ihm, außer der König auf seinem Thron und Königin Sylvia, die hinter ihm stand. Die Wächter, die an der Wand positioniert waren, verbeugten sich kurz, bevor sie wieder ihre steife Haltung einnahmen.
Genau so hatte er das kommen sehen. Die Damen lagen ihm zu Füßen, alle wollten unbedingt seine Braut werden und sein Vater sah ihm aufmunternd zu. Nein, er würde heute nicht heiraten. Vielleicht ein anders Mal, wenn er eine Frau finden konnte, die nicht nur seinen Stand, sondern auch seinen Charakter lieben würde. Dummerweise gab es solche Damen einfach nicht.
Er setzte sich auf seinen kostbar verzierten Thron und schwieg. Dann kam ein kleiner Diener mit einer ellenlangen Liste in der Hand angerannt. Wenn man die Liste ausrollen würde, dann würde sie bestimmt den halben Saal durchqueren, mutmaßte der Prinz.
Der Diener räusperte sich und der König hob die Hand, um alle um Ruhe zu bitten. Dann begann der Diener, die Gästeliste vorzulesen, während die aufgerufenen Familien immer vortraten, sich kurz vor dem König, der Königin und dem Prinzen verbeugten beziehungsweise knicksten, und dann wieder in der Masse verschwanden.
Die ganze Prozedur dauerte länger, als Leonardo wollte. Schön, es verging Zeit. Aber diese Zeit hätte er genauso gut mit Persia verbringen können. Was sollte er also hier auf diesem verdammten Fest? Und warum brauchte er überhaupt eine Braut? Warum ausgerechnet jetzt?
Der König sah Leonardo auffordernd an, als der Diener seine Liste komplett vorgelesen hatte. ,,Los, sucht Euch eine Dame aus und eröffnet den Tanz.” Er schob den Prinzen ohne ein weiteres Wort von seinem Thron.
Mit einem leicht mürrischen Ausdruck sah er sich kurz die Damen an und stellte fest, dass alle gleich aussahen: Blonde oder braune Haare, die meisten spindeldürr bis auf ein paar wenige Ausnahmen, die wie aufgebläht aussahen, und alle trugen lange mehr oder weniger elegante Kleider.
Der Prinz zuckte mit den Schultern, drehte sich fünfmal mit geschlossenen Augen im Kreis und lief dann einfach los, bis er vor einer der Damen stand. Sie hatte ein smaragdgrünes Kleid an und die Haar fielen aalglatt über die Schultern. Keine Sonderliche Schönheit, fand Leonardo.
Dennoch tanzte er mit ihr den Eröffnungstanz und kam dabei auf die Idee, sich einfach an den Wachen vorbei hinauszuschleichen. Der Prinz verabschiedete sich von der Dame und eilte Richtung Ausgang, als ihm schon die nächste am Arm hing. Er fluchte leise und akzeptierte den Tanz. Solange musste er ja nicht auf seine nächste Chance warten.
Doch bevor er wieder die Tür erreichen konnte, hing ihm schon wieder eine Dame am Arm. Der Prinz fluchte leise und sah ein, dass das wohl so nichts würde mit der Flucht. Er brauchte dringend einen neuen Plan.
,,Mein Prinz, Ihr tanzt so ausgesprochen hervorragend.”, sagte die Dame, mit der er gerade tanzte. Eine Schleimerin, stellte er rasch fest und hatte plötzlich wieder einen Fluchtplan. Dieser dürfte sogar funktionieren.
,,Dankes sehr.”, erwiderte er und versuchte, ein künstliches Lächeln aufzusetzen, dass die Dame nicht so leicht durchschauten durfte, wenn sein Plan gelingen sollte. ,,Ihr tanzt aber auch sehr gut. Darf ich Euren werten Namen wissen, meine Dame?”
,,Ich bin Juliette.”, sagte sie und knickste leicht. Dann lächelte sie. Der Prinz musterte sie kurz. Lange, blonde und wellige Haare, die kunstvoll hochgesteckt waren, ein langes hellblaues Kleid und ein schönes Gesicht. Nicht die schönste Dame aller Damen, fand der Prinz. Aber dennoch gut genug für seinen Plan.
Er tanzte noch eine ganze Weile mit Juliette, um seinem Vater den Eindruck zu vermitteln, dass er eine Dame gefunden hatte. Dann nahm er sie an der Hand und ging zur Tür. ,,Ich sehe, dass euch zu warm wird.”, bemerkte Leonardo. ,,Ich bringe euch kurz nach draußen, dort sind wir außerdem auch noch ungestört.”
Juliette willigte ein und strahlte. Innerlich lächelte er. Dass er so schnell eine so naive Dame finden würde, hatte er nicht gedacht. Aber offenbar war diese Juliette wohl schon im Glauben, dass sie die Prinzessin von Silaeta werden würde.
Er nahm Juliettes Hand und führte sie an den Wachen vorbei nach draußen in die Schwärze der lauwarmen Nacht. Bis zum Stall waren es nur wenige Meter und der Hof war heute wirklich schlecht beleuchtet. Welch ein Glück!
,,Verzeihung, Dame Juliette.”, fing Leonardo an. ,,Ich schwöre, ich hörte so eben jemanden meinen Namen rufen. Wartet einen Augenblick!” Juliette nickte und Leonardo lief los. Zuerst langsam, dann immer schneller und schließlich sprintete er in den Stall.
In einer Ecke hatte er noch ein paar Kleidungsstücke versteckt. Tarnkleidung, wie er es nannte. Eine Reithose, schlichte Stiefel, und ein langes, mantelähnliches Gewand auf weißem Leder, dass zum Teil Metallverstärkungen hatte. Eine Art versteckte Rüstung.
Rasch band er sich den Waffengürtel um, den er bereits am Nachmittag bei der Kleidung versteckt hatte, und legte die Armschienen an. Eine davon verbarg sogar ein kleines Geheimnis. Eine Art Ass im Ärmel für heikle Situationen.
Er sah kurz an sich herab, um sich zu vergewissern, dass seine Haut an keiner Stelle, außer den Händen, zu sehen war und zog sich schließlich zu den Reitstiefeln farblich passende Handschuhe an. Danach sattelte er blitzschnell und ohne jedes Geräusch seinen Hengst Persia.
Dann schwang er sich elegant in den Sattel und ritt einem verborgenen Pfad entlang, der vom Hof führte. Lautlos verschwand er in der Nacht und ließ die arme Juliette ohne jede Art von Gewissensbissen allein auf dem Hof zurück. Nun ja, irgendjemand würde Juliette schon finden und sie wieder hineinbringen.
Endlich war er frei. Keine Brautschau mehr. Keine Hochzeit mehr. Nur noch Freiheit, sein geliebter Persia und die weite Wüste. Sein Vater würde nicht sehr gut gelaunt sein, wenn Leonardo zurück kam, doch alles war besser, als heiraten zu müssen.
Und dem Prinzen war ein wütender Vater lieber als eine dieser Damen als Braut für den Rest seines Lebens an seiner Seite. Er hatte keine Zeit für eine Frau. Nicht jetzt. Vielleicht später einmal. Bestimmt später einmal, aber nicht jetzt.

*****

Aruna scherzte und lachte mit ihren neuen Freunden. Sie lebte nun schon mehrere Tage bei ihnen und lernte jeden Tag mehr dazu.
,,Bleibt ihr hier, oder kommt ihr mit mir ausreiten?”, fragte sie und ging zu Orlando. Arion schüttelte den Kopf. ,,Jeden Tag reiten. Nein, unsere Pferde brauchen dringend einen Ruhetag. Und Anatol hat sich letztens vertreten und lahmt ein wenig.”, meinte der Asfaloth. ,,Also, viel Vergnügen bei Eurem Ritt, Aruna. Gebt Nachricht, wenn irgendwas schief läuft.”
Er lachte und Aruna sattelte ihren Rapphengst. Orlando war voller Tatendrang. Wie immer. Sie dachte an Arions Worte und beschloss, all ihr Hab und Gut mit sich zu nehmen. Sollte sie aus irgend einem Grund nicht zurückkehren können, würde sie wenigstens alles bei sich haben und keine Verluste von wertvollen Dingen riskieren.
Der Hengst schnaubte, als sie aufsaß. Rasch kontrollierte sie noch einmal die Waffen an ihrem Gürtel und legte den Mantel so darüber, dass man das Schwert nicht sofort sehen konnte. Die Kapuze jedoch setzte sie erst einmal nicht auf. Solange niemand in der Nähe war, musste sie sich auch vor niemanden verstecken.
Orlando trabte ausgelassen durch den warmen Wüstensand und Aruna genoss seinen Gang. Dann galoppierte er von allein an und sie ließ ihm die Zügel lang, damit er sich strecken und seinen Weg finden konnte.
Ihr Herz schlug im Takt der Hufschläge, die durch den Sand zwar gedämpft, aber nicht völlig lautlos waren. Der Dreitakt donnerte ihr durch Mark und Bein. Sie wünschte sich, dass sie sich nicht mehr verstecken müsste und frei leben dürfte. Als Mann, als Krieger, als Asfaloth. Geachtet und respektiert von allen anderen Kriegern.
Aruna parierte Orlando durch, stülpe den Handschuh über ihre Faust und rief Altair zu sich. Der Bussard flog zu ihr und ließ sich auf der Faust nieder.
,,Mein Freund, du musst in meiner Nähe bleiben. Vielleicht musst du Lucan, Arion und Roan eine dringende Nachricht überbringen, falls mir etwas geschehen sollte.”, erklärte sie und ließ den Vogel wieder fliegen. Sie wusste, das Altair sie verstanden hatte.
Dann zog sie eine Feder und ein Tintenfass sowie einige Blätter Papier aus ihrer Satteltasche. Arion war der Meinung gewesen, dass man immer und überall etwas zum Schreiben dabei haben sollte und ihr diese Dinge geschenkt.
Aruna konnte Schreiben. Lesen und Schreiben wurden den Asfaloth gelehrt und ihr Vater hatte ihr ebenfalls Unterricht darin gegeben. Kaum eine andere Frau konnte schreiben oder lesen. Die meisten hatten nicht das Geld für eine Ausbildung bei einem Asfaloth. Wäre ihr Vater nicht ebenfalls Asfaloth gewesen, hätte Aruna auch nicht Lesen und Schreiben lernen dürfen.
Rasch kritzelte sie eine kurze Nachricht darauf. ,,Wurde von jemanden gefunden, werde vor den König geführt.”, stand danach auf dem Papier. Wenn sie wirklich gefunden werden würde, dann hatte sie sicher keine Zeit mehr, eine Nachricht zu schreiben, sondern musste gleich Altair rufen, ihm die Nachricht geben und dann losschicken.
Aruna hoffte natürlich, dass sie die Nachricht niemals abschicken musste, aber jede Tarnung konnte plötzlich auffliegen, egal wie sicher sie auch sein sollte. Es konnte alles passieren, egal wie gut sich sie darauf vorbereiten würde.
Gleich darauf hielt sie ihren Hengst an. Fast hundert Meter vor ihr kämpfte ein einzelner Mann in weißen Gewändern gegen fünf Männer in schwarz verzweifelt um sein Leben. Zumindest sah es von weitem so aus.
Sie zog sich die Kapuze über ihren Zopf und galoppierte auf das Geschehen zu. Je näher sie kam, desto besser sah sie den Mann. Er war groß, wahrscheinlich gut gebaut - obwohl sie dass aufgrund der wehenden Kleidung nicht ganz einschätzen konnte - und war geschickt mit dem Schwert. Nur dummerweise war er in der Unterzahl.
Plötzlich ließ er die linke Hand nach hinten klappen und neben seinen Adern an der Handunterseite schoss eine Klinge hervor, die er sofort dem einen Mann in die Kehle stieß. Das schneeweiße Pferd des Mannes stieg und keilte mit den Hinterhufen aus, vorbei es einen der anderen Krieger leicht verwundete.
Aruna war beeindruckt, doch dann schoss ihr wieder der Gedanke in den Sinn, dass der einzelne Krieger in der Unterzahl womöglich verlieren konnte. Sie zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und griff nach ihrem Schwert, bevor sie sich in das Kampfgetümmel stürzte.
Orlando keilte nach den schwarzen Männern aus und sie schwang ihr Schwert, um die Angriffe, die für den Mann in weiß gedacht waren, von diesem abzulenken. Zwischendurch wusste sie zum Teil nicht mal, welches Schwert wem gehörte, doch schließlich ging ein weiterer Krieger zu Boden.
Triumph wallte in Aruna auf. Sie wusste nicht, ob der einzelne Krieger sie bereits bemerkt hatte, aber mit ihm reden konnte sie später.
Wieder ging ein Krieger zu Boden. Orlando hatte ihn am Kopf mit einem seiner Hufe getroffen. Rasch sah sie weg. Sie wollte sich von ihren mörderischen Taten nicht ablenken lassen.
Schließlich stach der weiße Krieger die letzten nieder und wandte sich dann verblüfft zu ihr um. ,,Herr, ich danke Euch.”, sagte er und nickte. ,,Ihr habt mich gerettet. Danke vielmals.”
Aruna verbeugte sich leicht. ,,Es war mir eine Ehre, mein Herr.”, erwiderte sie. Der Mann zog seine Kapuze vom Kopf und Aruna erstarrte augenblicklich. Er war nicht irgendein Herr, sondern der Prinz Leonardo von Silaeta höchstpersönlich.
,,Ihr könnt sehr geschickt mit dem Schwert umgehen.”, meinte er und schob sein Schwert zurück in die Scheide. Arunas Blick folgte seinen Händen. Er trug einen Waffengürtel, an dem mehr Waffen baumelten, als sie je zuvor gesehen hatte. Dolche, ein Langschwert, ein Säbel und viele kleine scharfe Messer.
,,Wie ist Euer Name?”, fragte er. Aruna hob stolz den Kopf. ,,Ich habe keinen Namen.”, erklärte sie selbstbewusst. Der Prinz sah sie irritiert an. ,,Keinen Namen, sagt Ihr? Aber wie soll ich Euch dann nennen?”
,,Ich habe keinen Namen.”, wiederholte Aruna. ,,Aber wenn Ihr, mein Prinz, unbedingt einen Namen hören wollt, so nennt mich Vagabund, wie alle hier. Denn das ist es, was ich wirklich bin: Ein Vagabund.”
Der Prinz nickte. ,,Ich verstehe.”, meinte er. ,,Es freut mich, euch kennen zu lernen, Vagabund.” Er senke den Kopf ein ganz kleines bisschen, als müsste er nachdenken. ,,Sagt mir, Vagabund, wollt Ihr nicht Eure Kapuze abnehmen?”
Aruna schüttelte rasch den Kopf. ,,Verzeiht, mein Prinz, doch ich bin arg in Eile.”, ignorierte sie seine Aufforderung. ,,Lebet wohl, mein Prinz!” Sie wendete Orlando und galoppierte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Flucht war alles, was jetzt half. Wenn der Prinz sie als Frau erkannte, würde sie definitiv vor dem König landen. Keine schöne Aussicht.
Orlando zog an und Aruna blickte kurz zurück über die Schulter. Mit jedem Galoppsprung wurde der Prinz kleiner und kleiner. Bald war er schon hundert Meter entfernt.
Sie wollte gerade erleichtert ausatmen, als ihre Kapuze ins Rutschen geriet. Sie rutschte und rutschte, doch Aruna konnte sie nicht halten. Dann gab sie ihr Geheimnis preis und der lange, rotblonde Zopf flatterte hinter ihr her.

*****

Leonardo folgte mit den Augen dem davon reitenden Krieger. Vagabund hatte er sich genannt. Ein seltsamer Name, wie er fand. Und das Pferd, dieser Rappe. Solche Pferde hatte einer seiner Urahnen einst gezüchtet. Kraftvolle Pferde, allesamt schwarz und mit langer, welliger Mähne und lockigem Fesselbehang.
Der Reiter war schon fast nur noch ein kleiner Punkt am Horizont, doch seine Augen sahen plötzlich etwas, was ihn noch mehr verwirrte. Die Kapuze war herunter gerutscht und ein langer Zopf flatterte im Wind. Der Krieger war kein Mann, sondern eine Frau. Eine, die gegen zwei Gesetze verstieß. Zwei der wichtigsten Gesetze Silaetas.
Leonardo runzelte die Stirn. Der Reiter - die Reiterin - hatte keine Eile gehabt, sondern war auf der Flucht. Auf der Flucht vor ihm, damit sie nicht gestellt werden konnte. Nicht erkannt werden konnte.
,,Vorwärts, Persia!”, rief er und galoppierte seinen Schimmelhengst an. Wenn er eine Verräterin stellen konnte, würde sein Vater vielleicht auch nicht so wütend sein, wenn er wieder zurück kehrte. Immerhin hatte er ihn ja wirklich schlecht hingestellt, als er von dem Ball geflohen war.
Persia galoppierte schnell und raumgreifend, doch Leonardo wusste schon nach kurzer Zeit, dass eine ganz normale Verfolgungsjagd weder Persia noch er durchhalten konnte. Er brauchte einen unbedingt einen Plan - sofort!
Warum hatte er eigentlich nicht sofort bemerkt, dass an diesem Krieger etwas faul war. Immerhin hatten Männer doch eine ganz andere Stimme als Frauen. Und überhaupt: Woher konnte sie so ausgezeichnet mit dem Schwert umgehen?
Sie hatte ihm das Leben gerettet - mehr oder weniger zumindest. Er hätte es bestimmt auch allein geschafft, nur hätte es dann vielleicht ein wenig länger gedauert.
Aber das spielte keine Rolle. Frauen durften weder reiten noch Waffen tragen, geschweige denn Kämpfen. Und diese Frau verstieß gegen alle drei Dinge gleichzeitig!
Persia schnaubte laut. Er Hengst holte langsam auf, aber egal wie schnell das Wüstenpferd auch war, diese mörderische Tempo konnte er nie und nimmer noch lange durchhalten.
In Leonardos Hirn ratterte es. Verzweifelt suchte er nach einer Lösung. Es musste ein Lösung geben. Es gab für alle eine Lösung.
Doch ihm wollte keine einfallen. Stattdessen jagte er planlos weiter durch die Wüste und hoffte, dass der Rappe der Frau ehr erschöpft wäre als Persia. Doch offenbar war ihr Pferd gut trainiert - zu gut trainiert.
Aber der schwarze Hengst… Irgendwie erinnerten Bilder im Palast an diese Rasse. Sein Vorfahren hatten sie gezüchtet und nur die Königsfamilie durfte sich auf den Rücken eines solch edeln Pferdes setzen.
Wie kam diese Frau also an solch ein Pferd? Hatte sie es gestohlen? Unwahrscheinlich, denn sein Vater hatte die Zucht vor langem aufgegeben und das Pferd war zu jung, um eines der letzten Nachkommen der Zucht zu sein.
Leonardo schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Es war unwichtig, woher sie das Pferd hatte. Wichtig war nur, dass sie es hatte, reiten konnte und auch noch Waffen trug. Wichtig war, dass er sie zu seinem Vater bringen musste.
Und das Problem bestand auch nur darin, dass diese verdammte Frau Vorsprung hatte und zu schnell unterwegs war, um sie einfach einholen zu können. Aber es musste doch einen Weg geben. Es gab immer einen Weg.
Vielleicht kannte er die Lösung ja schon, aber ihm fiel sie nicht ein. Leonardo grübelte. Er hatte nicht mehr viel Zeit, bevor Persia die Kraft verlor. Er hatte nicht mehr viel Zeit, bevor sie ihm entwischte wäre.
In dem Moment sah er die legendären Sandfelsen am Horizont. Die Sandfelsen waren bekannt für ihre schwierigen und gefährlichen Wege. Die Legende des Kriegers, der hindurch ritt, um seinen Feinden zu entkommen, kannte er nur zu gut. Alle Feinde hatten die Sandfelsen nie verlassen und ihre Leichen wurden nie gefunden.
Aber wenn diese Frau sich nicht auskannte, würde sie gewiss den überschaubarsten Weg nehmen und der war um einiges länger, hatte etliche Kurven und wurde zu einem schmalen Tunnel, in dem kein Pferd wenden konnte.
Wenn diese Frau diesen Tunnelweg nehmen würde, könnte er mit Persia im Tal des Canyons durch den seichten Fluss galoppieren und würde noch vor ihr ankommen. Dann konnte er sich ihr in den Weg stellen und da der Tunnel zu schmal war, würde sie auch nicht fliehen können.
Der Plan war grandios, fand Leonardo. Einfach brillant. Und er würde ihm den Ruf retten, da er dann diese Frau seinem Vater als Entschuldigung bringen konnte. Sein Vater wäre also nicht mehr entehrt und alles wäre wie vorher.
Ja, der Plan konnte tatsächlich all seine Probleme lösen, wenn er auch funktionierte. Denn sollte die Frau die Sandfelsen kennen und nicht den Weg um den Canyon herum nehmen, sondern den durch das Tal, dann würde er nicht funktionieren. Gar nicht gut.
,,Okay, Persia.”, murmelte er. ,,Ich habe einen Plan.” Der Hengst spitzte die feinen Ohren und brummelte leise zu Antwort.
Die Frau war fast bei den Sandfelsen. Der gigantische Canyon sah fast aus wie eine Festung aus Sand, die allen Angriffen trotzte. ,,Bitte, bitte, nehmt den falschen Weg.”, murmelte Leonardo immer und immer wieder vor sich hin. ,,Bitte, bitte, nehmt den falschen Weg.”
Sie schien unsicher zu sein, denn Leonardo konnte erkennen, wie sie nervös nach hinten blickte, dann wieder nach vorn und wieder zurück. Sie schien abzuschätzen, was sie tun sollte. ,,Bitte, bitte, nehmt den falschen Weg!”
Sie tat es. Sie ritt tatsächlich den übersichtlicheren, aber längeren Weg. Leonardo hätte vor Freunde jubeln können, doch noch war nichts gewonnen. Noch konnte sie umdrehen, in die andere Richtung verschinden, während er sich durch das Tal des Canyons kämpfen würde.
Das gute Plan war vielleicht doch nicht ganz so gut, wie er hätte sein sollen. Es konnte so vieles schief gehen, wurde Leonardo jetzt klar. Ein großes Risiko bestand.
Aber dennoch hoffte er, dass nichts schief gehen würde. Diese Frau musste gestoppt werden, bevor sie noch weitere Gesetze brach. Vielleicht am Ende sogar noch alle.
In Silaeta gab es nicht sehr viele Gesetze. Es gab kaum welche, aber die, die es gab, mussten eingehalten werden, oder es drohte Strafe durch den König. Die Frau hatte bereits zwei Gesetze gebrochen. Vielleicht waren es sogar drei.
Persia galoppierte in den Fluss, der sich heimlich im Süden um den Felsen herum geschlichen hatte, so dass man ihn nur von der Südseite sehen konnte. Leonardo selbst ritt in Westrichtung. Erst kurz vor der Öffnung des Canyons bog der Fluss in das Tal ab.
Persia plantschte durch das Flussbett, sodass das Wasser an Leonardo hoch spritzte und seine Beinkleider durchnässte. Doch ihm war das egal. Er hatte nur ein Ziel, und das war diese Frau einzufangen und unschädlich zu machen.
Persia galoppierte zügig und gleichmäßig durch das seichte Gewässer im Tal des Canyons der Sandfelsen. Der Boden war nicht zu glitschig, aber auch nicht zu fest, sodass das Pferd optimalen Halt finden konnte.
Leonardo wusste das, denn er war als kleiner Junge mit seinem persönlichen Asfaloth oft hierher geritten. Damals hatte er noch nicht Persia als Reitpferd gehabt, sondern Sturm, ein fuchsfarbenes Pony, das ihm sein Vater zum vierten Geburtstag geschenkt hatte.
Der Asfaloth hatte ihm alles beigebracht, was er heute konnte: Reiten, Fechten und sogar ein wenig Tanzen. Außerdem wurde er in sämtlichen Gebieten der Wissenschaft geschult und zu eiserner Disziplin erzogen.
Sein Vater selbst hatte kaum etwas zu seiner Entwicklung beigetragen. Besonders, nach dem seine Mutter gestorben war. Königin Katherina hatte sowohl ihn als auch seinen Vater sehr geliebt. Sie hatte abends an seinem Bettchen gesessen und ihm Geschichten erzählt. Er vermisste sie immer noch, obwohl es über zehn Jahre her war.
Manchmal kehrte er in den Canyon zurück, um nachzudenken und die Erinnerungen festzuhalten. Doch das letzte Mal war schon mehr als zwei Jahre her. Leonardo war jetzt neunzehn und Kronprinz von Silaeta. Da blieb neben den Pflichten fast keine Zeit mehr, um sich an die alten Tage zu erinnern. Sehr schade eigentlich, wie er fand.
Und jetzt galoppierte er wie ein Wahnsinniger durch den Canyon, um diese rotblonde Frau aufzuhalten, die die Gesetze gebrochen hatte. Zugegeben, Leonardo hatte eigentlich nichts für Gesetze übrig, aber wegen der Sache mit der Flucht vom Ball war die Frau die Einzige, die ihn vor dem Zorn seines Vaters retten konnte. Auch, wenn das vielleicht ihr Ende werden würde.
Leonardo wusste ganz genau, an welcher Stelle im Canyon er sich gerade befand, und trotzdem machte sein Herz einen kleinen Freudensprung, als er den schmales Ausgang sah. Der Canyon war nicht ungefährlich. Es konnten immer kleinere und größere Steine und Felsbrocken herunterfallen und ihn oder Persia treffen.
Sanft nahm er die Zügel an und signalisierte seinem weißen Hengst damit, dass er langsamer machen sollte. Nur noch ein paar Meter, bevor er den Ausgang erreicht hatte.
Persia reagierte sofort und fiel in den Trab. Leonardo lenkte ihn hinter einen Felsspalt und hielt an. Von hier aus würde die Frau ihn nicht sofort sehen können. Damit würde dem ganzen Drama noch ein wenig Überraschung hinzukommen. Ein schöner Schluss für solch eine wilde Jagd!
Persia hatte alle Muskeln angespannt und wartete auf das Zeichen, dass Leonardo ihm gleich geben würde. Dann würden Reiter und Pferd der Frau ganz plötzlich im Weg stehen. Der Prinz freute sich schon richtig darauf.
Noch freudiger schlug sein Herz allerdings, als er dann endlich das Trommeln der Hufe eines galoppierenden Pferdes hörte. Er zählte bis drei, dass gab er Persia ein Zeichen und stellte sich in den Weg, während er sein Schwert aus der Scheide zog.
Das schwarze Pferd der Frau wieherte laut und stieg, als es nicht weiter konnte. Doch die Frau behielt die Nerven, verlor nicht einen Hauch des Gleichgewichts. Als sie jedoch merkte, dass sie nicht umdrehen konnte, verfinsterte sich ihre Miene.
Ein paar Strähnen ihres rotblonden Haares hatten sich aus dem Zopf gelöst und fielen ihr nun ins Gesicht. Dann nahm sie eine entschlossene Haltung ein und zog ihr Schwert.
,,Ihr solltet mir danken!”, fauchte sie. ,,Ohne mich währet Ihr tot!” Leonardo zuckte mit den Schultern und parierte ihren Schlag. ,,Keine Angst, um mich braucht Ihr euch keine Sorgen zu machen, Vagabund.” Er betonte das letzte Wort besonders scharf und verächtlich. ,,Ihr seit eine Verräterin, also hilft Euch auch Euer Samariterverhalten nicht mehr. Ihr seit verhaftet!”

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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDi März 29, 2011 6:36 pm

,,Und woher wollt Ihr wissen, dass ich nicht umdrehen und fliehen werde?”, fragte Aruna und lachte spöttisch. Doch der Prinz grinste nur kurz. ,,Das wird nicht geschehen, oder mein Schwert steckt in Eurem Rücken!”, zischte er.
Aruna zog jedoch trotzig die Augenbrauen hoch. ,,Nun dann, aber lasst Euch gesagt sein, Prinz.”, meinte sie. ,,Ich habe noch keine Lust, ins Gras zu beißen!” Dann ließ sie die Zügel lang und wollte sich gerade vorübergehend ergeben, als ihr noch etwas einfiel.
,,Aber, Prinz, wie wollt Ihr mir das Schwert in den Rücken stecken, wenn ich jetzt angaloppieren würde?”, bohrte sie nach. Der Prinz jedoch seufzte genervt auf. ,,Dann werfe ich Euch das Schwert eben nach!”
,,Und wenn es mich nicht trifft?”, hakte sie nach. Der Prinz sah an ihr vorbei. ,,Dann trifft es Euer Pferd!”, schimpfte er.
,,Aber wenn mein Pferd ausweicht?”, fragte sie weiter und lachte. Der Prinz wurde langsam wütend und begann zu knurren wie ein Hund. ,,Hände auf den Rücken! Sofort!”
Verwirrt ergab sie sich. Was hatte der Kerl denn nun schon wieder vor? Sie legte die Hände auf den Rücken, zog diese jedoch rasch wieder zurück, als sie bemerkte, dass er fesseln wollte.
,,Augenblick, Prinz!”, unterbrach sie ihn bei seiner Arbeit. ,,Wenn Ihr mir die Hände fesselt, kann ich nicht ordentlich reiten und Orlando lässt sich nur sehr ungern ziehen.”
,,Vagabund, Ihr nervt entsetzlich!”, fauchte der Prinz statt einer Antwort und knotete das Ende des Seils an seinen Sattel. ,,Also schön, Ihr dürft Eure Hände frei benutzen. Aber vorher will ich Euren Waffengürtel.”
Aruna wollte protestieren, doch sie erkannte, dass es nichts bringen würde. Sie band ihn ab und überreite ihm den Gürtel. Es würde sich schon eine Möglichkeit finden, ihr Schwert und die anderen Waffen wieder zurück zu bekommen, dessen war sie sich sicher.
Zum Glück verbarg der graue Mantel die prachtvolle Asfalothenkleidung ihres Vaters, die sie darunter trug. Sonst hätte er diese womöglich auch noch abnehmen wollen. Zumindest hätte er dumme Fragen gestellt.
Der Prinz nahm den Gürtel und legte diesen sich selbst an. Dann knotete er das andere Ende des Seils um den Hals von Orlando und hakte den dicken, quietschenden Karabiner in einen der Ringe der Trense des Rapphengstes.
,,So, und Ihr stellt jetzt keine weiteren Fragen.”, befahl er kalt. ,,Sonst knebele ich Euch so lange, bis Ihr schweigt.”
Aruna verdrehte die Augen. ,,Als ob Ihr wüsstet, wie man jemanden knebelt!”, spottete sie und lachte ihn aus. ,,Aber warum verschürt Ihr Orlando wie ein Geschenk?”
Der Prinz antwortete nicht. ,,Mein Vater wird Euch selbst köpfen wollen. Eigentlich schade, ich hätte Euch am liebsten gleich hier und jetzt selbst hingerichtet.” Ohne ein weiteres Wort ritt er an. Nach wenigen Metern bremste sein weißer Hengst jedoch notgedrungen.
Aruna hatte Orlando nicht gesagt, dass er ebenfalls antreten sollte und nun stand er still wie eine Bronzestatue. Das Seil war so straff gespannt worden, wie es möglich war.
,,Dummes Weib!”, schimpfe der Prinz. ,,Ihr sollt reiten, verdammt!” Dann hieb er mit dem losen Ende des Seils, dass von seinem Sattel baumelte, auf Orlandos schwarzes Hinterteil. ,,Vorwärts, Pferd!”, zischte er.
Orlando zuckte erschrocken zusammen und buckelte, bevor er wieder zur Ruhe kam und schließlich in normalem Schritttempo hinter dem Schimmel herlief. Aruna hielt ihn nicht auf.
Rasch griff Aruna in den Beutel, in dem die vorbereitete Nachricht lag. Das Pergament war zerknittert, aber dennoch leserlich. Sie zog den Lederhandschuh über und pfiff.
Am Himmel tauchte ein kleiner Punkt auf, der sich schnell zu Altair formte. Der Bussard landete fast lautlos auf ihrer Faust. ,,Hallo, mein Freund.”, murmelte sie.
Aruna reichte dem Bussard den Zettel, welchen dieser sofort sicher in eine seiner Krallen nahm. ,,Bring das auf schnellstem Wege zu unseren Freunden.”, flüsterte sie so leise, dass der Prinz unmöglich ihre Worte verstehen konnte. ,,Wir sehen uns im Palast wieder, mein Freund.”, hauchte sie. ,,Und jetzt flieg! Flieg, Altair!” Dann erhob sich der riesige Greifvogel in die Luft und war bald darauf nur noch ein kleiner, unscheinbarer Punkt.
Einen kurzen Augenblick sah Aruna ihm nach, dann analysierte sie ihre momentane Situation, um eine potenzielle Fluchtmöglichkeit zu finden.
Wenn sie Orlandos Karabiner lösen könnte, wäre die Flucht wirklich einfach. Aber sie wusste nur zu genau, dass sich der Karabiner nicht leicht öffnen ließ und außerdem richtig laut quietschte. Er würde den Prinzen sofort alarmieren. Keine so gute Idee.
Das nächste, was ihr einfiel, war, dass sie das Seil durchtrennen konnte. Aber dazu bräuchte sie ein Messer und ihren Waffengürtel trug der Prinz. Ihm den Waffengürtel abzunehmen war wirklich unmöglich. Auch keine Fluchtmöglichkeit.
Einfach loszugaloppieren wurde auch nichts bringen, denn dann würde sich das Seil um Orlandos Hals fester ziehen und ihn vielleicht sogar erwürgen. Gleiches galt für plötzliches Anhalten. Ihren Freund zu erwürgen, wollte Aruna keinesfalls riskieren.
Sie seufzte. Sie musste zugeben, dass der Prinz vielleicht doch nicht so dumm war, wie sie zunächst vermutet hatte.
Und dann erinnerte sie sich, dass sie sich als kleines Mädchen immer gewünscht hatte, mal neben dem Prinzen herzureiten. ,,Aber doch nicht so!”, murmelte sie sich Orlando zu, der ein Ohr nach hinten drehte. ,,Nicht als Geisel.”
,,Habt Ihr irgendetwas Wichtiges zu vermelden? Nein? Dann schweigt! Und solltet Ihr den Bussard kennen, der so dicht über meinen Kopf geflogen ist, sagt ihm Bescheid, dass er nicht noch einmal auftauchen soll.”, fauchte der Prinz, als er sich kurz umdrehte.
,,Keine Sorge, der kommt nicht wieder”, erwiderte sie lässig. ,,Aber egal, wohin wir jetzt reite, ich streike, wenn Orlando nicht sofort am Fluss trinken darf!”
,,Wer ist Orlando?”, fragte der Prinz sichtlich verwirrt. Aruna zog die Augenbrauen hoch. ,,Seid Ihr so oder tut Ihr nur so?”, fragte sie und verdrehte sie Augen. ,,Orlando ist mein Hengst! Dieses schwarze Prachtstück, das mich durch die Wüste trägt und mein treuster Freund ist, hat Durst!”
Der Prinz zuckte nicht einmal mit der Wimper. ,,Persia braucht ebenfalls eine Pause. Aber die Pferde bekommen diese nur, wenn ihr für den Rest des Weges keinen Laut von Euch gebt.” - ,,Was ist mit Atmen, Prinz?”, fragte Aruna und spottete wieder.
,,Gegen Atmen habe ich nichts, solange Ihr keine Geräusche von Euch gebt.”, erwiderte er unbeeindruckt. ,,Aber mein Prinz!”, fing Aruna wieder an. ,,Atmen verursacht Geräusche. Und wenn ich keine Geräusche mehr machen darf, dann atme ich nicht mehr. Und wenn ich nicht mehr atme, dann sterbe ich.”
,,Wäre vielleicht ganz gut, dann bin ich wenigstens Euer dummes, sinnloses Gefasel los!”, zischte dieser. ,,Und schweigt Ihr nicht auf der Stelle, zwinge ich Euch zur Ruhe.”
Aruna lachte jedoch nur. ,,Zur Ruhe zwingen?”, fragte sie. ,,Aber warum denn Ruhe? Wenn wir ein Weilchen plaudern, vergeht der Ritt zum Palast doch viel schneller, verehrter Prinz.” Dieser atmete jedoch nur lautstark aus.
Der Schimmel hielt an und der Prinz stieg ab. Dann führte er sein Pferd zum Fluss und ließ den Hengst trinken. Auf Orlando durfte trinken, aber Aruna durfte nicht absteigen.
Schließlich stieg er wieder auf. ,,Also schön, aber wir verbinden das Gespräch mit etwas Sinnvollem, denn ich werde Euch Fragen stellen, die Ihr einfach nur beantworten müsst.”, gab er nach. ,,Erste Frage: Wer seid Ihr wirklich?”
,,Ich bin Vagabund, dass sagte ich Euch doch schon.”, entgegnete Aruna ohne zu zögern. Der Prinz verdrehte die Augen. ,,Ich will Euren Namen wissen, Weib!”, zischte er.
,,Vagabund.”, wiederholte Aruna. ,,Ich bin Vagabund, und wenn Ihr das nicht begreifen könnt, kann ich nichts dafür.”
,,Okay, so kommen wir nicht weiter. Nächste Frage, vielleicht ist die ja für Euch einfach zu beantworten.”, meinte er. ,,Wer hat Euch gelernt zu kämpfen?”
,,Jemand, den ich sehr respektiere. Und dieser Jemand kann meisterhaft mit einem Schwert umgehen konnte.”, entgegnete Aruna und versuchte, ihre Antworten immer weiter zu verschleiern. Sollte er sie doch ausfragen, aber genaue Antworten würde er nicht erhalten.
Sie wollte den toten Philitis - ihren leiblichen Vater und Meister - nicht verraten. Und ihr Name würde auch erstmal ihr Geheimnis bleiben.
,,Und das Schwert und das Pferd?”, fragte der Prinz weiter, nachdem er bemerkt hatte, dass sie nicht viel antworten würde, was wertvoll für ihn war. Vielleicht hoffte er ja, dass sie sich irgendwann verplappert würde. ,,Woher habt Ihr das? Ebenso wie die prachtvolle Ausrüstung, die nur Asfalothen besaßen?”
,,Von einem Asfaloth.”, antwortete Aruna kurz und bündig. ,,Geschenkt bekommen, nicht gestohlen, falls Ihr das dachtet. Ich bin ein ehrenvoller Vagabund, kein Dieb.”
Das Gespräch setzte sich noch etliche Stunden so fort. Aruna antwortete keine der vielen Fragen besonders genau, egal, wie der Prinz sie ihr auch stellte. Die Zeit verging dadurch recht schnell und vor allem amüsierte sie Aruna, denn der Prinz war nach einer Weile echt am verzweifeln, da sie wirklich keine wichtige Information ihm verriet.

*****

Das war eine Schande! Sein eigener Sohn hatte ihm alle Ehre geraubt. Dabei hatte Arodos immer geglaubt, sein Sohn wäre gut erzogen wurden. ,,Verschwunden!”, rief er zu sich und tigerte im Raum auf und ab. ,,Verschwunden von seinem Ball! Und dabei hat er auch noch eine der Damen einfach so stehen gelassen!”
Mit Entschlossenheit auf seinem Gesicht riss er die verzierte Tür auf, die sein Arbeitszimmer verschloss. ,,Wo ist mein Berater?”, rief er. Eine der Wachen verneigte sich kurz vor ihm. ,,Verzeiht, Euren Majestät, aber Sir Rabanus ist seit ein paar Tagen nicht am Hofe gewesen. Er sagte, es gäbe Verräter im Lande, die er suchen müsse.”
Der König brummelte wütend vor sich hin. ,,Schickt eine Gruppe Ritter aus, die meinen Sohn finden und sofort zu mir bringen sollen!”, befahl er.
Wo steckte dieser Rabanus schon wieder? Verräter im Lande, Verräter im Lande! Ständig hörte er das Selbe. Aber andererseits hatte Rabanus einige Verräter enttarnt und ihn nie enttäuscht. Warum sollte er ihm also diesmal nicht trauen?
Aber sein Sohn, der Kronprinz von Silaeta, hatte die ganze Familie entehrt, indem er einfach mitten in der Nacht von seinem Ball verschwunden war! Sein eigener Sohn!
,,Eure Majestät, Kronprinz Leonardo ist soeben eingetroffen. Er wünscht Euch zu sprechen.”, teilte ihm soeben ein Bote mit und verneigte sich tief vor ihm.
,,Ich danke Euch für die Nachricht.”, erwiderte Arodos. ,,Ich empfange ihn im großen Saal.” Der Bote verschwand und Arodos schritt in Richtung Saal. Sein Sohn war also wieder aufgetaucht. Aber wo hatte er gesteckt?
Arodos ließ sich auf seinem Thron nieder. Zu seiner Rechten saß seine zweite Gemahlin Sylvia, der Stuhl zu seiner Linken war leer. Rabanus Platz. Einfacher und ohne Verzierungen als die anderen Stühle. Auch der Thron zu Sylvias linker Hand war leer. Der Thron des Kronprinzen, der Thron seines Sohnes.
Wachen positionierten sich den Gang entlang. Gleich darauf wurde das große Tor geöffnet und sein Sohn betrat des Saal. Er hatte matschige Spritzer auf seinem weißen Kampfgewand. Um die Hüfte trug er einen Waffengürtel mit vielen verschiedenen Klingen. Unter anderem auch ein Schwert eines Asfalothen.
,,Mein Vater, verzeihet mir für meine Taten.”, begann er. ,,Ich wollte Euch, verehrter Vater, nicht entehren, doch mein Herz schlug für keine dieser Damen auf den Ball. Mir fehlte die Kraft zum bleiben, so dass ich mit Persia durch die Gegend streifte.”
Leonardo machte eine kurze Pause. ,,Sprecht weiter, Sohn.”, forderte er ihn auf. Der junge Prinz nickte und ergriff wieder das Wort. ,,Ich wurde angegriffen, doch dann kam mir jemand zu Hilfe. Sein Name sei Vagabund, sagte er, bevor er davon galoppierte.”, erzählte er.
,,Doch dann geriet seine Kapuze ins Rutschen und ich musste erkennen, dass es eine Frau war. Ich bin ihr gefolgt und habe sie gefangen, um sie euch zu bringen als Entschuldigungsgeschenk für mein schlechtes Benehmen. Ihr gehört sowohl ein Pferd als auch dieser Waffengürtel.”
,,Mein Sohn, ich muss mich schämen für Euer schlechtes Verhalten. All die Damen würden Euch zu Füßen liegen, wenn ihr es wüschen würdet. Ich bin nicht erfreut, zu hören, dass ihr keine dieser adligen Schönheiten wollt.”, sagte Arodos und erhob sich.
,,Doch weiß ich, dass ich viel zu lange gewartet habe. An Eurer Seite, mein Sohn, müsste schon seit ein paar Jahren eine Frau leben, mir einen Enkel schenken, der nach dir mein Reich übernehmen wird. Ihr ziert Euch zu sehr, mein Sohn.”
,,Verehrter Vater, ich bin ein Krieger. Ich brauche keine Frau. Nicht jetzt.”, warf Leonardo ein. ,,Ihr sagtet selbst, bald wäre Krieg gegen die Nebelländer. Wie soll ich im Krieg kämpfen, wenn ich eine traurige Frau zu Hause sitzen hätte, die weiß, dass sie mich vielleicht nie lebend sehen wird, verehrter Vater? Bitte, Vater, wartet noch bis der Krieg von uns gegangen ist.”
,,Mein Sohn, Ihr seid ein Narr!”, rief Arodos aus. ,,Glaubt Ihr im Ernst, dass es eine Zeit ohne Krieg geben wird?”
,,Verehrter Vater, seid wann denkt Ihr so?”, entgegnete er. ,,Ihr wart es, der mir Hoffnung auf ewigen Frieden gab, verehrter Vater. Ihr und kein anderer! Was lässt Euch denn in diesen Zeiten so anders denken?”
,,Mein Sohn, ich erzählte Euch von Frieden, um Euch zu helfen, ein Reich regieren zu lernen. Doch die Nebellandkrieger sind stark. Unermessen stark. Greifen sie uns an, mein Sohn, ist es meine Pflicht, mein Herr in die Schlacht zu führen. Ein Schlacht, die ich vielleicht nicht überleben werde. Ihr seid mein Nachfolger, mein Sohn. Ihr müsst das Königreich dann übernehmen und ihm zu einer Blüte verhelfen.”, sagte Arodos eindringlich.
,,Mein Sohn, es ist meine Pflicht, Euch darauf vorzubereiten. Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass es einen Enkel gibt, wenn ich sterben werde. Einen Enkel, der das Reich übernimmt, wenn auch Ihr, mein Sohn, sterben werdet.”
,,Sprecht nicht vom Tode, verehrter Vater!”, unterbrach Leonardo ihn. ,,Sprecht nicht vom Tode! Der Tod ist unser Feind, den wir durch Frieden besiegen können!”
,,Mein Sohn, welch kluge Worte.”, murmelte der König und ließ sich wieder erschöpft auf seinen Thron fallen. ,,Mein Sohn, Ihr sagtet, Ihr hättet eine Gesetzesbrecherin gefangen. Bringt sie herein, damit ich über ihr Schicksal entscheiden kann.”

*****

Aruna war zwar nicht gefesselt und auch nicht bewacht, aber dennoch konnte sie nicht fliehen. Ein enger Raum ohne jede Art von Möbeln. Drei Türen, zwei davon waren verschlossen, die dritte führte in den Königssaal.
Man hatte ihr verboten, durch diese Tür zu gehen, bevor sie nicht dazu aufgefordert wurde. Aruna lehnte sich erschöpft gegen eine Wand, als sie gedämpfte Stimmen hörte. Sie strengte sich an und konnte zwei Stimmen unterscheiden. Eine befehlshaberische und eine unterworfene.
Sie lauschte noch angestrengter. Vielleicht konnte sie ja etwas interessantes erfahren. Und außerdem war es sicher gut gegen die Langeweile und Einsamkeit, die in dieser Kammer herrschten. Sie hätte zumindest etwas zu tun.
,,Es gibt keine Gleichen!”, rief die eine befehlshaberische Stimme. ,,Keiner hat den gleichen Rang wie ein anderer!” Aruna zuckte zusammen. Die Worten waren klar und deutlich.
,,Aber, Herr, ich verstehe ja, dass Sklaven ihren Herren untergeordnet sind, aber…”, fing die zweite Stimme an, doch die befehlshaberische unterbrach sie. ,,Sklaven ihren Herren, Söhne ihren Vätern, Kinder ihren Eltern, Frauen ihren Männern, Jüngere den Älteren, … Alle sind jemanden unter- oder übergeordnet!”
,,Aber, Herr, was ist … Was ist mit Freunden?”, fragte dann die unterworfene Stimme leise und verzweifelt. ,,Freunde?”, wiederholte die andere Stimme. ,,Freunde?”
,,Ja, mein Herr.”, erwiderte die unterworfene Stimme. ,,Ja, Freunde. Was ist mit denen? Freunde sind Gleichgestellte. Jeder hat die selben Rechte, keiner herrscht über den anderen…”
,,Freunde!”, lachte die andere Stimme. ,,Freunde sind Gleichgestellte? Nein, niemals! Habt Ìhr nie in einer Freundschaft etwas entschieden und damit über den anderen bestimmt? Das ist nur ein Beispiel für die Sinnlosigkeit von Freundschaft. Einer ist immer der Ranghöhere, egal in welcher Art von Beziehung.”
,,Aber, Herr…”, gab der andere nicht auf. Aber der Befehlende unterbrach ihn sofort. ,,Schweig!”, zischte er. ,,Ihr seid mir untertan, Paragon, wenn ich Euch daran erinnern darf, also hört auf meine Worte. Für Euch sind sie Gesetz!” Aruna hörte eine Tür, die zugeschlagen wurde.
Dann wurde die Tür zum Königssaal aufgerissen und eine Wache brachte sie durch einen schmalen Korridor, in dem rechts und links Statuten von Königen, Königinnen und deren Nachkommen standen. Die letzte Statue zeigte den König Arodos von Silaeta nebst Gemahlin Sylvia von Silaeta. Eine Statue des Prinzens gab es allerdings nicht.
Die Wache stieß sie weiter nach vorne und Aruna versuchte, ihren stolzen Gang beizubehalten. Sie wollte nicht einfach aufgeben. Bald würde sie eine Fluchtmöglichkeit entdecken und dann stand ihrer Rückkehr zu den Rebellen und ihrer weiteren Suche nach dem Mörder ihres Vaters nichts mehr im Wege.
Aber dennoch schossen ihr immer wieder die Worte durch den Kopf, die sie von den beiden Stimmen gehört hatte. Dieser Paragon, wie die befehlshaberische Stimme ihn genannt hatte, hatte recht. Freunde waren gleichgestellt. Aber warum hat dann dieser andere Mann mit allen Mittel versucht, ihm das auszureden? Und wer war das überhaupt gewesen?
Die Wache öffnete ein punkvolles Tor und stieß Aruna in den riesigen Raum dahinter. Staunend sah sie sich um. Der Boden bestand aus weißen, poliertem Marmor, die Wände strotzten vor riesigen, teils mit Gold verzierten Fresken. Von der Decke, die ebenfalls mit Fresken bedeckt war, hingen mehrere elegante Kronleuchter aus Glas herunter.
In der Mitte lag ein langer roter Teppich, an dessen Rand sich bewaffnete Ritter mit Hellebarden standen. Der Wächter stieß sie an und Aruna stolperte nach vorn.
Am oberen Ende des Saales standen die Throne des Königs, der Königin und des Prinzen. Daneben ein weniger verzierter Stuhl. Alle waren besetzt.
,,Niederknien!”, zischte die Wache, als sie direkt vor Silaetas Herrschern stand. Sie tat wie geheißen, noch immer fasziniert von dem gigantischen Saal.
,,Mein Sohn hat mir einiges über Euch und Eure Flucht erzählt. Und auch, dass Ihr Gesetze gebrochen habt.”, meldete sich der König zu Wort. Aruna blickte ihn tapfer an. Seinen Blick auszuweichen wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen, doch sie war sich keiner Schuld bewusst.
,,Wie ist Euer Name?”, fragte der König. Aruna wandte den Blick nicht ab. ,,Ich habe Eurem Sohn, dem Kronprinz, bereits meinen Namen gesagt. Ich heiße Vagabund. Einen anderen Namen führe ich nicht mehr.”, sagte sie mit klarer deutlicher Stimme. Sie hatte keine Angst.
,,Nicht mehr?”, meldete sich die Königin zu Wort. ,,Welchen Namen habt Ihr denn geführt?” - ,,Mein alter Name ist und bleibt mein Geheimnis. Er ist mit meinem Vater ins Grab gegangen.”, erklärte Aruna.
,,Wir sollten sie töten, Majestät.”, sagte der Mann, der auf dem Stuhl saß. Der König überlegte, doch da ergriff die Königin erneut das Wort. ,,Rabanus, dass ist allein des Königs Entscheidung.”, sagte sie selbstbewusst.
,,Und mein Gatte, ich würde mir wünschen, über sie, ihr Pferd und ihr Schwert allein entscheiden zu dürfen. Ich möchte allein ein Gespräch mit ihr führen und dann fälle ich ein Urteil, dass ich für angemessen halte. Ist das für Euch in Ordnung?”
Der König nickte. ,,Ja, natürlich, teuerste Gemahlin.”, antwortete er. ,,Ich vertraue auf Eure Urteilsfähigkeit. Ich werde es nicht anzweifeln, wie auch immer Ihr entscheidet.”
,,Aber, Majestät!”, warf dieser andere Mann ein. ,,Warum köpft Ihr diese Gesetzesbrecherin nicht auf der Stelle?” - ,,Rabanus, haltet Euch zurück.”, sagte der König. ,,Meine Gemahlin möchte ein Urteil fällen, also gewähre ich ihr auch diesen Wunsch. Habt Ihr Zweifel an ihrer Urteilsfähigkeit?”
,,Nein, Majestät, nein.”, erwiderte Rabanus. ,,Aber, Majestät, ich denke…” - ,,Ihr braucht nicht denken, Rabanus. Ihr seid mein Berater, aber nicht für die Wünsche meiner Gemahlin zuständig.”, unterbrach Arodos ihn. ,,Gemahlin Sylvia, sie gehört Euch.”

*****

Eine Erinnerung keimte auf. Eine grauenhafte Erinnerung. Sylvia wusste nicht, wie sie darauf kam, aber die Antwort, dass ihr Name mit ihrem Vater ins Grab gegangen wäre, erinnerte sie an Philitis. Ihren Leibwächter Philitis, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte.
Auch die Tatsache, dass diese Frau das Schwert eines Asfaloth trug, passte zu ihrer Theorie. Nicht umsonst war es ihr Wunsch gewesen, Vagabund, wie sie sich nannte, selbst zu verurteilen.
Rabanus hätte sie ohne Bedenken hinrichten lassen und Arodos davon überzeugt, dass dies der einzige richtige Weg gewesen wäre. Immerhin hatte sie Gesetze gebrochen.
Oder auch nicht. Vor ihrem Urteil musste Sylvia unbedingt noch etwas überprüfen. Wenn es sich bewahrheitete, dann würde es ein ganz neues Licht auf diese Sache werfen. Aber ihr Gespräch mit Vagabund musste sie auf jeden Fall ohne Beobachter führen.
Die Königin stand auf. Ihr hellgrünes Kleid umspielte ihre Beine, als sie auf dem roten Teppich quer den den Raum schritt. Früher hatten hier überall Asfaloth gestanden. Für jedes anwesende Mitglied der Königsfamilie zwei.
Wehmütig sah sie zu dem Platz, an dem Philitis immer gestanden hatte. Sie seufzte in Gedanken. Nie wieder würde er dort stehen und seinen Blick immer auf ihr ruhen lassen. Nie wieder würde er ihr Kraft senden, wenn sie vor schwierigen Aufgaben stand.
,,Folgt mir, Vagabund!”, befahl sie. Sie musste jetzt und hier die Königin verkörpern, egal, ob ihre Theorie sich als wahr oder falsch herausstellte.
Die Frau stand sofort auf und folgte ihr in einem Abstand von zwei Metern. Eine der Wachen schloss sich auf ein Zeichen Sylvias an, der die jedoch bereits am Anfang einer abwärts führenden Treppe wieder verließ.
Sie brachte Vagabund in ihre privaten, unterirdischen Kellergewölbe, die niemand außer ihr betreten durfte. Wäre Philitis noch hier, hätte er mitkommen dürfen.
Sie war oft mit ihm hier unten gewesen. Dort hatten sie ihre tiefe, innige Liebe ungestört ausleben können. Allein. Arodos war die hinter ihre Beziehung gekommen, obwohl er diese indirekt ausgelöst hatte.
Sylvia wischte ihre Gedanken fort. Er würde sie nie wieder hier unten lieben. Orka hatte ihn ermordet, weil sie ihn abgelehnt hatte. Mit niemanden hatte sie je darüber gesprochen. Niemand durfte von Philitis und ihr wissen. Nur Orka hatte es herausgefunden, als er sie ausspioniert hatte. Dieser verdammte Verräter!
Der Schmerz blieb und wurde stärker, als sie an dem kleinen Kämmerchen vorbei kam, in der sie fast all ihre intimen Stunden mit Philitis verbrachte hatte. Dieser Ort strahlte eine Aura von tiefer Sehnsucht aus.
Sylvia vergewisserte sich, dass Vagabund ihr folgte. Sie tat es. Und offenbar untersuchte sie mit den Augen ihre Umgebung nach einem Fluchtweg ab.
Die Königin öffnete die Eisentür ganz am Ende des Ganges. Sie ließ Vagabund zuerst eintreten, bevor sie selbst hineinging und die Tür hinter sich schloss. Dann schob sie den Riegel vor, damit sie ganz sicher sein konnte, dass sie keine fremden Besucher bekommen würde und niemand sie belauschen konnte. Der Raum war perfekt gedämmt.
,,Setzt Euch.” Es war weniger ein Befehl, as eine freundschaftliche Aufforderung, als sie auf einen der beiden gegenüberstehenden Sessel deutete. Der Raum wurde wie das gesamte unterirdische Kellergewölbe von ein paar Kerzen erleuchtet, die jedoch nicht alle Ecken erhellten.
Vagabund setzte sich und Sylvia dachte daran, wie Philitis immer dort gesessen hatte. Ein Stich mitten ins Herz. Nie wieder würde es so sein wie früher.
Sylvia setzte sich in den anderen Sessel gegenüber und musterte Vagabund, die in selbstbewusster Haltung vor ihr saß. Sie sah genauso stolz aus, wie Philitis es immer getan hatte.
,,Wir sind hier allein, ungewollte Besucher können weder hinein noch lauschen. Dies ist der bestgedämmt Raum in ganz Silaeta. Jedes Wort, dass hier fällt, bleibt in diesem Raum.”, fing Sylvia schließlich an. ,,Der Grund, warum ich Euch hierher gebracht habe, ist der, dass ihr mich stark an jemanden erinnert.”
,,Ihr wollt mich also ohne Zeugen in diesem Keller ermorden?”, fragte Vagabund sofort. Sylvia schüttelte den Kopf. ,,Nein, nein.”, antwortete sie schnell.
,,Ich habe einen geliebten Menschen verloren. Er wurde umgebracht von einem Verräter, der noch immer unter uns weilt. Er wollte mich, aber ich fand ihn abstoßend und außerdem schlug mein Herz für jemand anderen. Doch Asfaloth Orka, der Verräter, gab nicht auf. Als all seine Werbungen scheiterten, brachte er meinen Liebsten um, den ich vorgezogen hatte.
Orka wurde verstoßen, doch er kehrte zurück und verfolgt mich nun. Er will mich ebenfalls ermorden, weil er mich nicht haben konnte. Ich brauche Spione in Silaeta, die mir helfen, das Volk vor Orka zu retten. Seit die Asfaloth ausgelöst wurden, geht hier alles nicht mit rechten Dingen zu.”
Sylvia brach ab. Was brachte es, Vagabund von all diesen Dingen zu berichten, wenn ihre Theorie falsch war? Es würde sie ruinieren.
,,Warum ich Euch das alles erzähle, ist, dass ich in Euch jemanden sehe, der perfekt als Spion wäre. Ihr habt Euch durchgeschlagen und verstellt, bis Euch das Malheur mit der Kapuze passiert ist.”, erklärte Sylvia. ,,Wenn Ihr, Vagabund, für mich spioniert, werde ich Euch noch heute zur Flucht verhelfen und Euch Euren Waffengürtel und Euer Pferd zurück geben.”
,,Wie kann ich darauf vertrauen, dass ihr wahr sprecht, Euer Hoheit?”, hakte Vagabund nach. Eine kluge Frau, wie Sylvia feststellte.
,,Kluge Frage.”, bestätigte Sylvia. ,,Nun ja, wenn Ihr wirklich als Vagabund gelebt habt, dann kennt Ihr auch drei weitere von meinen Spionen. Lucan, Roan und Arion.”
,,Die Rebellen.”, fügte Vagabund hinzu. ,,Verfolgt von Rabanus, der den Orden der Asfaloth aufgelöst hat. Ja, ich bin denen begegnet.” Sylvia nickte.
,,Wenn Ihr die Rebellen kennt, so werdet Ihr vielleicht auch schon von der Schwarzen Meisterin Sakura gehört haben.”, mutmaßte Sylvia. Vagabund nickte sofort. ,,Die Schwarze Meisterin oder auch einfach nur Sakura genannt, ist die sagenumwobene Anführerin der Asfaloth.”, begann Vagabund. ,,Nur die Asfaloth haben sie jemals zu Gesicht bekommen, denn sie tritt nie in der Öffentlichkeit auf.” Sylvia nickte bestätigend.
Dann stand sie auf und verschwand in einer der nicht beleuchteten Ecken, wo sie sich einen schwarzen Kapuzenmantel überzog , eine juwelenbesetze Klinge in die Hand nahm und gleich darauf wieder zu Vagabund ins Licht trat.
,,Schwarze Meisterin.”, sagte Vagabund ehrfürchtig. Sylvia nahm die Kapuze ab. ,,In der Tat, die bin ich.”, sagte sie. ,,Dies ist mein Hauptquartier, deshalb darf hier normalerweise niemand hinein.” Außer Philitis.
,,Ihr sprecht wahr, ich kann es spüren.”, erklärte sich Vagabund einverstanden. ,,Ich werde für Euch spionieren, wenn es die Suche nach meines Vaters Mörder nicht aufhält.”
,,Ich bin mir sicher, wir suchen nach der gleichen Person.”, antwortete Sylvia. ,,Aber ich möchte noch eines wissen: Wie lautet Euer alter, richtiger Name, Vagabund?”
Vagabund schwieg eine Weile. Sylvia jedoch drängte sie nicht. ,,Aruna.”, flüsterte sie mit leiser Stimme. ,,Mein richtiger Name ist Aruna.”
Sylvia erstarrte. Aruna. Diesen Namen hatte sie ihrer Tochter auch gegeben. ,,Morgendämmerung.”, murmelte sie die Bedeutung des Namens. Der Name beschrieb den Geburtsmoment. Glutroter Sonnenaufgang.
Nach diesen Worten musterte Sylvia die Frau, Aruna, erneut. Plötzlich erkannte sie überall Philitis’ Züge. ,,Ihr kommt ganz nach Eurem Vater, Aruna. Nur die Augen, die habt Ihr von Eurer Mutter.”, stellte sie laut fest. Sie hatte ihre eigenen Augen in Arunas Gesicht erkannt. Das selbst leuchtende Grün, dass Philitis immer fasziniert hatte.
,,Meinen Vater?”, fragte Aruna ungläubig. ,,Ihr kanntet meinen Vater?” Sylvia senkte den Blick. ,,Wenn Ihr wüsstet, wie gut ich ihn kannte…”, dachte sie traurig.
,,Ich kannte ihn sehr gut. Er war mein Leibwächter.”, gestand sie und Aruna nickte. Offenbar wusste sie davon und es war ihr nur entfallen. ,,Was mit ihm geschehen ist, ist ein Verbrechen, dass ich vielleicht hätte verhindern können…”
,,Verhindern können? Aber wie? Und warum habt Ihr es nicht getan, Euer Hoheit?”, fragte Aruna verwirrt. Sylvia blickte sie an, doch mied sie den direkten Blick in Arunas Augen. ,,Nennt mich bitte ‘Sylvia‘. Philitis hätte es nicht gewollt, wenn ihr mich ‘Hoheit’ nennt.”, sagte sie, ohne auf die Fragen einzugehen.
,,Das Schwert und der Gürtel. Das ist seines gewesen, richtig?”, fragte sie und strich über die Klinge in seinen Händen, die sie von Arodos abgenommen hatte.
Aruna nickte. ,,Er wollte, dass ich in seine Fußstapfen trete.”, bestätigte sie. Erst jetzt sah Sylvia sie direkt an. ,,Das werdet Ihr auch.”, sagte Sylvia.
,,Tochter.”, fügte sie in Gedanken hinzu. ,,Meine Tochter. Ihr werdet Großes schaffen und Euren Vater und mich stolz machen.”

*****

Die Königin war seltsam. Sie hatte nicht gedacht, dass ausgerechnet sie die sagenumwobene Sakura, die Schwarze Meisterin, war. Aruna hatte viel über die Anführerin der Asfaloth gehört. Sie wusste nun auch, woher die Königin - sie hatte ihr angeboten, sie beim Vornamen zu nennen - ihren Vater Philitis kannte. Er war ihr Asfaloth gewesen.
Nur die Sache mit dem Verhindern, die Sylvia - es fiel ihr schwer, sie bei ihrem Vornamen zu nennen - angesprochen hatte, verstand Aruna immer noch nicht so ganz. Wie hätte sie den Mord Verhindern können?
,,Okay, Aruna, wie kann ich Euch kontaktieren?”, fragte Sylvia sie. Langsam kam sich Aruna immer mehr wie eine Spionin vor, zu der sie durch Sylvias Worte geworden war, vor. Sie konnte vielleicht eine mächtige und gute Verbündete für die Suche nach ihres Vaters Mörders sein.
,,Ich habe einen gefiederten Freund namens Altair. Ich kann Euch ihm vorstellen. Wenn er Euch mag und wenn ich ihn darum bitte, dann wird er auch zu Euch kommen und mir Eure Nachrichten überbringen.”, erklärte Aruna voll Stolz. ,,Altair begleitet mich auf allen Wegen und dennoch zieht er seine eigenen Kreise.”
,,Ich werde ‘Sakura’ als Unterschrift verwenden. Keiner darf wissen, dass Ihr meine Spionin seid, hört Ihr?”, sagte sie. ,,Auch Ihr werdet Euch einen weitern Namen zulegen. Mit Eurem Namen oder ‘Vagabund’ zu unterschreiben, ist zu gefährlich.”
,,Ich werde mit ‘Akira’ unterzeichen. So nannte mich einst ein Stallbursche, der den Namen an seine Schwester Kira anlehnte, weil er sich ‘Aruna’ nicht merken konnte.”, erklärte Aruna. ,,Also schön, wie komme ich jetzt hier wieder heraus?”
,,Okay, ich werde Euch zurück in den Saal bringen und allein mit dem Waffengürtel in den Stall zu Eurem Pferd gehen und es satteln. Ihr werdet dem Wächter folgen, den ich anspreche bei unserer Ankunft im Saal. Dieser wird Euch direkt in den Stall bringen, allerdings einen Nebeneingang benutzen, wo ihr Eure Waffen zurückbekommt. Außerdem werde ich dort mit Eurem Pferd auf Euch warten.”, antwortete Sylvia.
,,Dann wird Euch nichts an Euer Flucht hindern. Eure erste Aufgabe wird es sein, die Krieger mit der schwarzen Kleidung, auf der eine blutrote Rune aufgestickt ist, zu finden und auszuspionieren. Sie wüten und morden in der Gegend.”
,,Das werde ich.”, versprach Aruna. Sylvia nickte. ,,Gut, und noch etwas: Verschleiert Eure Nachrichten. Wenn sie abgefangen werden, haben wir sonst ein Problem.”, sagte die Schwarze Meisterin. ,,Also dann, auf zur Flucht!”
Sylvia öffnete die Tür und warf ihren Mantel ab. Aruna eilte hinter ihr aus der Tür und rannte neben ihr durch den Gang. Gleich darauf verlangsamte Sylvia ihr Tempo und Aruna passte ihres so an, dass sie wieder die verlangten zwei Meter Abstand hielt.
Dann kamen sie auch schon wieder im Königssaal an. Sylvia sprach kurz mit einem der Wächter, der dann zu Aruna kam und sie einen Gang entlang stieß. Er tat, als ob er sie zum Vorwärtslaufen zwingen musste.
Der Plan war wirklich perfekt. Unbeobachtet erreichte sie den Hof, zog den Lederhandschuh über und pfiff nach Altair, der sofort als kleiner Punkt im Himmel auftauchte. Im Sturzflug raste der Bussard auf ihre Faust zu.
Aruna rannte in den Stall, wo Sylvia schon mit einem gesattelten Orlando wartete. ,,Das hier ist Altair, mein gefiederter Freund.”, stellte Aruna den Greifvogel vor. ,,Altair, dass ist Sylvia, meine neue Verbündete.”
,,Freut mich, Euch kennen zu lernen, Altair.”, erwiderte Sylvia. Aruna strich dem Vogel über die Flügel. ,,Sie wird Nachrichten für mich haben in kürzester Zeit. Bringt diese mir dann, mein treuer Freund. Aber jetzt fliegt!”, rief Aruna und Altair schwang sich in die Lüfte.
Dann riss Aruna den Lederhandschuh herunter, nahm den Waffengürtel und band ihn sich um, bevor sie sich auf Orlando sprang. ,,Lebet wohl, Aruna!”, rief Sylvia.
,,Lebet wohl, Hoheit!”, antwortete Aruna, als Orlando angaloppierte. Sie beugte sich nach vorn, um den Rücken des Rappen zu entlasten und der Hengst dankte ihr dafür mit längeren Galoppsprüngen, die sie immer mehr zum Stadttor von Juan brachte.
Wie ein schwarzer Blitz fegten sie über die Straßen. Ein paar Stadtbewohner sprangen verwirrt aus dem Weg, niemand versuchte jedoch, sie aufzuhalten. Aruna wunderte das nicht. Ihre Flucht war so plötzlich, dass kaum einer benachrichtigt worden war.
Sie kannte den Weg. Mit dem Prinzen war die auf diesem Weg hierher gekommen. Sie hatte ihn sich gemerkt, damit - für einen Fall wie diesen - sie fliehen konnte, ohne sich zu verirren.
Bald kam das Stadttor in Sicht. Zwei Männer mit Hellebarden bewachten es, die sofort den Weg versperrten, als sie angaloppiert kam. ,,Halt!”, schrie einer, doch Aruna ignorierte es. Noch im selben Moment krallte sie sich in Orlandos Mähne und presste die Beine an den schwarzen Körper des Hengstes.
Orlando spannte sich wie eine Sprungfeder und stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Die schwarze Mähne peitschte Aruna ins Gesicht, als sie über das Hindernis segelten.
Die Ritter sahen verdutzt zu ihr, doch da landete Orlando auch schon nieder und preschte davon in die endlose, staubige Wüste. Am Himmel konnte Aruna ihren Freund Altair erkennen.
Endlich wieder frei! Endlich Freiheit! Lachend dachte sie daran, wie sie dem Prinzen ins Gesicht geworfen hatte, dass sie heute noch nicht ins Gras beißen würde.

*****
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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyMi März 30, 2011 12:05 pm

da wärst du ja gerade nochschnell genug gewesen wenn du es nur im PCF gespeichrrt hättest... schon das ich das jetzt auch hier lesen kann, vllt sind S& D auch bald hier zu finden Wink
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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyMi März 30, 2011 1:15 pm

Ich habs schon bemerkt, dass das Forum weg is... nur scheiße, dass ich die große übericht über all meine projekte nicht gerettet hab...
soviel zum thema "juli"

aber meine geschichten sind in nem dokument gut gesichert, zumindest hoff ich das... sprich: das is hier nur ne "kopie" Very Happy
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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyFr Apr 08, 2011 1:32 pm

,,Wurde von jemanden gefunden, werde vor den König geführt.” Wieder und wieder hielt Roan den Brief in den Händen und überflog den Satz. Die Schrift war eindeutig die der jungen Kämpferin und Gesetzesbrecherin Aruna.
Vor den König geführt. Kein Gesetzesbrecher hatte den Palast von Juan jemals lebend wieder verlassen. Und an Wunder glaubte Roan schon lange nicht mehr.
,,Du hast sie im Stich gelassen.”, warf Roan sich in Gedanken vor. ,,Dein Bruder hätte das nie getan, aber du hast sie im Stich gelassen. Hast die allein hinaus reiten lassen.”
Roan seufzte. Selbstmitleid konnte er jetzt nicht gebrauchen, um Aruna zu retten. Und dass er Aruna retten musste, stand außer Frage.
Plötzlich standen seine beiden Asfaloth-Brüder, Lucan und Arion neben ihm. Arion nahm ihm den Brief ab und las ihn leise. Dann reichte er ihn an Lucan weiter, welcher ihn ebenso schweigend las und keine Miene dabei verzog.
,,Nicht gut.”, murmelte Lucan. ,,Ganz und gar nicht gut!” - ,,Ich hatte gehofft, sie schafft einen Ausritt ohne Zwischenfälle…”, murmelte Arion. ,,Das Schicksal möge ihr hold sein.”
Roan jedoch schüttelte nur die Kopf. Das Schicksal? Das Schicksal! Nie und nimmer würde der Glauben an Schicksal Aruna zurück bringen! Er musste etwas unternehmen, bevor alles durcheinander geriet.
Roan drehte sich um und ging zu seinem geliebten Pferd Roans Sir Albin, wie er mit vollständigem Namen hieß. Doch kaum einer kannte den vollständigen Namen. Meistens nannten alle ihn einfach nur ‘Albin’.
Der Hengst schnaubte, als er seinen Herren sah. Roan strich ihm sanft über nie Nüstern. ,,Wir müssen Aruna retten.”, murmelte Roan und begann, das Pferd zu satteln. Der Blauschimmel war sein ganzer Stolz, und das nicht nur wegen seiner seltenen Färbung, die durch weiße und schwarze Haare kam, die den Hengst bläulich schimmern ließen.
Einen rechten Blue Roan zu besitzen war etwas, wofür mach einer über Leichen gehen würde. Doch Roan wusste, dass Albin niemals einen Fremden auf seinem Rücken dulden würde.
Albin trug Roans Namen, was daran lag, dass Roan ihn als Fohlen geschenkt bekommen hatte und ihn taufen durfte. Als Zeichen, dass sie für immer zusammen gehörten, hatte er dem Hengst seinen Namen gegeben.
Außerdem hatte er den jungen Hengst allein eingeritten und ausgebildet. Etwas, was nicht jeder Reiter tat. Die meisten kauften ihre Pferde, wenn sie fünf Jahre alt waren und somit einen großen Teil der Grundausbildung abgeschlossen hatten.
Doch Roan fand, dass ein Pferd nur dann ein echter Verlasspartner werden konnte, wenn man es schon als Fohlen kannte. So, wie auch sein Bruder seinen Hengst Odin aufgezogen hatte. Und wie Aruna ihren Orlando.
Auf einmal hörte Roan Hufschläge. Dumpfe, rhythmische Klänge. Ein galoppierendes Pferd. Der Sand verschlucke war sehr viele Töne, doch als eine Staubwolke am Horizont auftauchte, war Roan sicher, dass sich ein Reiter näherte.
,,Reiter in Sicht!”, schrie er und sattelte so schnell er konnte seinen Hengst. Lucan und Arion taten es gleich. Dann riss er sein Schwert aus der Schwertscheide und machte sich zur Verteidigung bereit, denn fremde Reiter waren meistens Angreifer.
Nur dieser nicht. Zumal der einsame Reiter allein war und ein schwarzes Pferd ritt, wie Roan mit seinen scharfen Blick erkannte, als der Reiter sich näherte. Und außerdem, wehte ein langer, rotblonder Zopf hinter ihr her.
Aruna. Roan lächelte und steckte das Schwert weg. Vielleicht sollte er doch wieder anfangen, und an Wunder und gute Schicksalsschläge glauben. Aruna lebte.
Roan galoppierte ihr auf Albin entgegen. Es war tatsächlich Aruna, die dort auf ihrem Hengst Orlando auf ihn zu durch die Wüste galoppiert kam.
,,Roan!”, schrie sie. ,,Kehret um!” Roan bremste Albin. Warum wusste er auch nicht so genau, aber sein Gefühl sagte ihm, das die dumpfen Geräusche nie uns nimmer nur von einem Pferd stammen konnten, und das wiederum bedeutete, dass Aruna nicht allein kam.
,,Roan!”, schrie sie wieder. ,,Kehret um! Sofort!” Augenblicklich wendete er Albin und spornte ihn an, schneller zu rennen. ,,Roan, was ist los?”, fragte Lucan.
,,Aruna ist geflohen. Sie wird verfolgt von…”, teilte er seinen Gefährten mit und brach ab. Verfolgt von wem eigentlich? Aruna hatte nur ,,Kehret um!” gerufen, aber keinen Grund genannt.
,,Wir trennen uns.”, sagte Lucan. ,,Arion kommt mit mir und Aruna geht mit Euch, Roan. Wir treffen uns in Hazé in drei Tagen.” Arion und Roan nickten. ,,Einverstanden.”, meinte Arion. ,,Lebet wohl, mein Bruder.”
,,Lebet wohl, Brüder.”, erwiderte Roan und seine Gefährten galoppieren gen Osten davon. Dann kam auch Aruna endlich bei dem Lager an. ,,Wo sind die anderen beiden?”, fragte sie verwirrt und sah sich suchend um.
,,Gen Osten geritten.”, sagte Roan. ,,Ihr kommt mit mir. Wir reiten gen Westen. In zwei Tagen müssen wir in Hazé sein.” Aruna nickte.
Hazé war die einzige Stadt, die keine bebaute Oase war. Die Stadt lag am Rande des Schleierwaldes, der seinen Namen aufgrund seiner Nebelschleier bekam. Roan wusste, dass Hazé die nächste Stadt von Arunas und Philitis Heimat gewesen war.
Er wollte ihr gerne den Kummer ersparen, noch einmal zu ihrer Heimat zurückzukehren. Aber ihm bleib keine Wahl. Lucan hatte entschieden, dass sie sich in Hazé treffen würden. Roan musste dem Folge leisten.
,,Also gut, Roan. Wir haben keine Zeit zu verlieren.”, stellte Aruna fest. ,,Aber ich weiß, dass eine Truppe von ungefähr zehn Reitern hinter mir her ist. Bei meiner Flucht habe ich die Hellebarden der Stadttorwache übersprungen, die darauf hin Reiter zu Hilfe gerufen haben.”
Nach diesen Worten galoppierte sie Richtung Westen und Roan blieb nichts anderes übrig, ihr zu folgen. Er verlor fast jede Art von Zeitgefühl, während sie dahin jagten. Dennoch wusste immer, an welchem Ort wie sich befanden.
,,Aruna, ein Sturm zieht auf!”, rief er. ,,Folget mir!” Er lenkte Albin an Orlando vorbei und hielt auf einen Felsen aus Sandstein zu, in dem sich, wie in fast allen Felsen, eine Höhle befand. Roan war schon mehrmals dort gewesen und wusste, dass in die Höhle auch die Pferde mit hinein passten.
Vor dem Eingang sprang er ab und führte Albin hinein. Aruna folgte ihm ihren Rapphengst führend in die Höhle. ,,Hier werden wir sicher vor dem Sturm sein.”, erklärte Roan. ,,Sattelt Euer Pferd ab und setzt Euch dann zu mir.”
Er nahm Albin Sattel und Trense ab, bevor er sich auf den Boden setzte. Die Luft war kühl und Roan zog sich fröstelnd den Mantel enger um die Schultern.
Dann beobachtete er Aruna, die, nachdem sie Orlando abgesattelt hatte, ihren Lederhandschuh überzog und pfiff. Durch den Höhleneingang flog der große Bussard. Aruna strich dem Greifvogel über die Flügel. ,,Wir müssen hier warten, bis der Sturm vorbei ist, mein Freund.”, murmelte sie. Der Vogel drehte den Kopf schräg zu ihr, um ihr genau in die Augen sehen zu können. Dann sprang er von der Faust und landete auf dem Boden.
,,Wer verfolgt Euch, Aruna?”, fragte Roan. ,,Habt Ihr die Reiter erkennen können?” Aruna nickte vorsichtig. ,,Sie tragen allesamt schwarze Kleidung mit einer blutroten Rune.”, berichtete sie. ,,Eine Rune bestehend aus einem R und einem O.”
,,Wisst Ihr, was diese Rune bedeutet?”, fragte er weiter. Aruna schüttelte den Kopf. Vielleicht war es doch an der Zeit, sie darüber aufzuklären. Es würde ihr sicher einige Fragen beantworten und die Zeit vertreiben.
Vertreiben. Während der Sturm wütetet, verwischte er die Spuren, die Arion und Lucan hinterlassen hatte, ebenso wie Arunas und seine. Die Verfolger würden ihnen nicht mehr folgen können. Ein wirklich glücklicher Vorfall.
,,Ich weiß, dass Ihr vielleicht sehr enttäuscht sein werdet, weil weder meine Brüder noch ich Euch die wahren Ausmaße dieses Chaos noch nicht aufgezeigt haben. Mir ist klar, dass ich es ehr hätte tun müssen, damit ihr all dies hier besser versteht.”, fing Roan an.
Er wollte eigentlich nicht darüber reden, doch es war es Aruna schuldig. Sie hatte ein Recht darauf, zu erfahren, welches Spiel hier gespielt wurde.
,,Ich weiß, wer Philitis, Euren Vater, ermordet hat.” Roan schwieg. Dann senkte er den Blick und starrte auf dem Boden. Die Sache mit Philitis war eine der beiden Dinge, über die Roan nie wirklich sprach, auch nicht mit seinen Gefährten Lucan und Arion.
,,Ihr wisst, Euer Vater war der Asfaloth von Königin Sylvia von Silaeta.”, sagte er, ohne den Blick vom Boden zu nehmen.
,,Er liebte es. Königin Sylvia zu bewachen und zu beschützen war die höchste Priorität in seinem Leben. Aber er hatte einen Nebenbuhler: Orka. Dieser Orka war ein sehr junger, ehrgeiziger Asfaloth und wollte immer und überall der Beste sein. Als größtes Ziel hatte er sich gesetzt, die Königin als erster Asfaloth zu bewachen. Allerdings hatte er verruchte, schmutzige Hintergedanken, als er seine Dienste der Königin anbot.
Königin Sylvia jedoch war so klug und durchschaute dies sofort. Sie lehnte die Dienste ab und gab als Begründung an, dass niemand sie jemals besser beschützen könne als Philitis. Orka jedoch war besessen von diesem Wunsch, die Königin zu besitzen, da sie ihn befriedigt hätte und sein Ansehen sprunghaft angestiegen wäre, wenn Ihr versteht, was ich meine, Aruna.”, sagte Roan und starrte weiter auf den Boden.
Er konnte Aruna bei dieser Geschichte niemals in die Augen sehen. ,,Ich verstehe sehr gut, Roan.”, hörte er ihre Stimme. Und er spürte, dass sie es tatsächlich verstand und nicht nur so dahinsagte. Sie wusste genau, wie sie zwischen den Zeilen lesen musste.
,,Orka erkannte schließlich auch, dass Königin Sylvia niemals von jemand anderem beschützt werden wollte als Philitis. Er war ihm also sein einziges Hindernis. Wenn er nicht mehr wäre, dann würde er nachrutschen und seinen Willen bekommen. Orka war regelrecht besessen von diesem einen verrückten Gedanken…”
,,Wollt Ihr damit sagen, Roan, dass es…”, unterbrach Aruna ihn. Sie stockte kurz. ,,Wollt Ihr damit sagen, dass es Orka war, der Philitis…” Sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, doch Roan verstand auch so.
Roan nickte langsam. ,,Wir Asfaloth waren alle entsetzt und enttäuscht zugleich, dass unser Bruder zu solchen Taten fähig war. Auch König Arodos konnte kaum glauben, dass sich ein solcher Verräter in seiner Leibgarde befand. Er wollte keine Mörder im Orden der Asfaloth und er wollte keine Mörder der Leibgarde in seinem Reich, deshalb verbannte er Orka aus dem Orden und aus dem gesamten Königreich Silaeta.
Königin Sylvia war unterdessen einfach nur voller Trauer. Kaum einer bekam sie zu Gesicht. Es hieß, sie habe sich in ihre unterirdischen Kammern eingeschlossen. Es war ein Schock für sie. Außerdem ging das Gerücht herum, dass sie Schuldgefühle haben würde, weil sie Philitis vielleicht hätte retten können, wenn sie auf seine verruchte Forderung eingegangen wäre.”, erzählte er weiter. Noch immer hatte er den Blick auf den Boden gerichtet.
,,Was ist mit Orka geschehen?”, fragte Aruna leiser. Zum ersten Mal seit ihrem ersten Treffen sah er eine Spur von Furcht und Angst in Arunas Augen, die jedoch fast vollständig von Hass überschattet wurde.
,,Nach seiner Verbannung blieb ihn nur ein Ort, an den er gehen könnte: Das Nebelland. Ich bin der Meinung, dass er dort für einen Krieg gegen uns geworben hat. Er wollte zurück kommen und sich zu rächen. Seine Rache geht gegen den mächtigsten Mann Silaetas: König Arodos.”, berichtete Roan weiter.
,,Wie sollte er das vom Nebelland aus schaffen? Das ist unmöglich!”, stellte Aruna verwirrt fest. Roan runzelte die Stirn und hob den Kopf etwas, doch blicke er ihr immer noch nicht in die Augen. ,,Er kehrt mit verändertem Aussehen, verstellter Stimme und unter falschem Namen zurück nach Silaeta und zog vor den König. Dort behauptete er, dass dieser unbedingt einen persönlichen Berater in Staatsangelegenheiten brauche. Er konnte den König überzeugen und bekam die Position und damit sehr viel Macht. Doch der König durchschaut diese Dummheit nicht und gibt ihm immer mehr Macht und mehr Freiheiten.”, meinte Roan traurig.
Aruna runzelte die Stirn. ,,Der königliche Berater ist der Mörder meines Vaters?”, fragte sie schließlich ungläubig. ,,Aber was hat diese blutrote Rune mit all dem zu tun?”
,,Wie Ihr bereits richtig erkannt habt, zeigt die Rune ein R und ein O.”, erwiderte Roan. ,,Versteht Ihn denn nicht, wofür die Rune steht?”
,,Ein O für … Orka?”, mutmaßte sie. ,,Und ein R für …?” - ,,Rabanus.”, ergänzte Roan. ,,Sein Deckname, seit er zurück in Silaeta ist, lautet Rabanus.”
,,Aber dann sind diese Männer ja seine Anhänger! Seine Armee!”, rief Aruna. ,,Dann zeigt er also die ganze Zeit schon, wer er in Wirklichkeit ist, aber niemand versteht es, weil niemand weißt, dass er Orka war!”
Roan nickte. Er wusste, dass er einen wichtigen Teil verschwiegen hatte, doch er fand, dass es nicht seine Aufgabe war, ihr von ihrer leiblichen Mutter zu erzählen. Philitis hätte dies tun sollen, aber dafür war es jetzt zu spät. Jetzt blieb nur noch Sylvia, die ihr das berichten musste, Roan konnte ihr das unmöglich abnehmen.
,,Woher wisst Ihr das alles, Roan? Woher wisst Ihr, dass ausgerechnet Orka meinen Vater ermordet hat?”, hakte Aruna nach. Eine Hand ergriff sein Herz und drückte es zusammen. Zumindest fühlte es sich so an. Jetzt hatte sie mehr zwischen den Zeilen gelesen, als es Roan recht gewesen war. Doch es war seine Aufgabe, ihr zu beichten, dass sie seine Nichte war.
Roan hob endlich seinen Blick und sah sie nun direkt an. ,,Aruna, Philitis war nicht nur mein Asfalothen-Bruder, sondern auch mein blutsverwandter Bruder. Ich bin dein Onkel.”

*****

,,Was soll das nun schon wieder heißen!?”, brüllte Rabanus. ,,Wieso habt ihr sie nicht einholen können!?” Gerade eben war eine Gruppe von seinen Reitern zurück gekommen, die diese flüchtende Gesetzesbrecherin fangen sollten. Allerdings waren die Reiter mit leeren Händen zurück gekommen, worüber Rabanus ganz und gar nicht erfreut war.
,,Herr, ich bitte um Verzeihung, Herr, aber sie war zu schnell, Herr. Auch die Rebellen haben ihr altes Lager verlassen, Herr. Und ein Sandsturm, Herr, verwischte ihre Spuren.”, berichtete einer der Männer mit zitternder, flehender Stimme.
Rabanus jedoch schnaubte wütend. ,,Paragon, ihr reitet los und findet diese Frau! Auf der Stelle!”, rief er. Paragon war Marek und Brando sein wichtigster Mann.
,,Aber, Herr, wie soll ich sie finden, wenn der Wind ihre Spuren verwischt hat? Außerdem, Herr, hat sie einen Tag Vorsprung!”, entgegnete Paragon.
Rabanus knurrte. ,,Warum muss ich umgeben sein von Unfähigen!?”, zischte er wütend. ,,Muss ich es wirklich schon wieder selbst in die Hand nehmen?”
,,Herr, wir sind keine Unfähigen, Ihr verlangt bloß…”, fing Paragon wieder an, doch Rabanus hob die Hand und der Mann verstummte augenblicklich.
,,Ihr seid unfähig!”, schimpfte er. ,,Alle von euch sind unfähig, sonst hättet ihr weder die Rebellen noch die Frau entkommen lassen!” Er tigerte nervös hin und her und dachte über eine Lösung nach. Immer schneller und schneller lief er auf und ab.
Dann hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne. ,,Sattelt mein Pferd!”, befahl er lautstark. ,,Auf der Stelle!”
Die Männer sahen ihn verdutzt an. ,,Nun macht schon!”, schrie Rabanus sie an. ,,Wenn man will, dass etwas zu seiner Zufriedenheit erledigt wird, muss man es wohl immer selbst in die Hand nehmen. Und genau das werde ich jetzt auch tun! Und ruft Brando und Marek! Sie werden mit mir und Paragon die Jagd aufnehmen!”
Es hing so vieles davon ab, ob sie diese Frau gefangen nehmen konnten oder nicht. Sein ganzer Plan, die Phiole des Lichts zu rauben und mit ihrer Macht Arodos ins Grab zu werfen, hing davon ab. Er wusste genau, wie nah er an seinem großen Ziel war.
Als Berater des Königs hatte er unheimlich viel Macht bekommen, die er ganz gezielt hinter Arodos’ Rücken gegen ihn einsetzte, um die Königsfamilie, und damit auch Sylvia, zu stürzen.
Sylvia. Rabanus schmunzelte, als er an die hübsche Königin dachte. Sie wäre eine zauberhafte Perle gewesen, wenn er sie besessen hätte. Sie hätte ihn wunderbar geschmückt.
Aber dieser Philitis musste ihr damals ja die große Liebe vorspielen, damit Sylvia sich gegen ihn, der damals noch Orka genannt wurde, wendete und bei Philitis blieb. Er hatte doch nie etwas an ihr gefunden und wollte nur das Selbe wie damals Orka.
Philitis hatte dafür mit dem Leben bezahlen müssen. Aber Arodos hatte sich auch an ihm, Orka, gerächt und ihn ins Nebelland verbannt. Außerdem war er von dem Orden der Asfaloth sofort ausgeschlossen worden.
Aber Orka war schon immer ein kluger Mensch gewesen, hatte einen Aufstand im Nebelreich angezettelt und war unter einem neuen Aussehen und dem Namen ‘Rabanus’, wie er sich von nun an nannte, nach Silaeta zurück gekehrt, um sich für diese Verbannung zu rächen.
Aber mit einer solchen, nutzlosen Bande von Schwächlingen würde ihm sein Rachefeldzug nicht gelingen können. Diese Männer mochten kampflustig sein, doch konnten sie kaum ein Schwert in der Hand halten.
Er musste sich unbedingt ein paar neue, bessere Anhänger suchen. Nur war das alles nicht so einfach, denn viele erinnerten sich an Philitis’ Tod und seine Verbannung und durchschauten sein Spiel. Und auch seine Ideologie erkannten viele einfach nicht an.
Einer der Männer brachte sein Pferd und Rabanus schwang sich in den Sattel und nahm die Zügel hart auf. Der dunkelbraune Hengst riss den Kopf nach oben und tänzelte zurück, um der harten Hand auszuweichen.
Auch Marek, Brando und Paragon hatten endlich ihre Pferde gesattelt und waren aufgestiegen. ,,Nun mach schon, dummes Pferd!”, zischte Rabanus und stieß dem Dunkelbraunen die scharfen Sporen in die Seiten. ,,Vorwärts!”
Der Hengst galoppierte erschrocken an und versuchte immer wieder durch Kopfhochreißen oder Buckeln, seinen Reiter loszuwerden, doch Rabanus bestrafte ihn für jedes Vergehen mit seinen scharfen Sporen. Irgendwann fügte sich der Hengst seinem Schicksal.
Wenige hundert Meter südlich von Juan hielt Rabanus an. ,,Wo ist sie überhaupt hingeritten?”, fragte Rabanus mit Befehlsstimme. ,,Nennt mir sofort die Richtung!”
Paragon zuckte mit den Schultern. ,,Ich weiß nicht, Herr. Der Sturm hat ihre Spuren verwischt, Herr, sie könnte überall sein, Herr.”, antwortete dieser.
,,Wir reiten weiter nach Süden!”, herrschte Rabanus sie an. ,,Haltet die Augen auf!” Er hatte einen Kompass dabei, um zu gewährleisten, dass Paragon ihn nicht im Kreis herum führte.
Als die Nacht herein brach, befahl er, ein Lager aufzuschlagen. Doch er selbst tat nicht einen Handgriff und setzte sich seinen Männern zuschauend auf den Boden.

*****

Der Sandsturm hatte sich gelegt. Als Aruna Orlando, den sie inzwischen wieder gesattelt hatte, aus der Höhle führte, musste sie feststellen, dass kein einziger Hufabdruck auf dem sandigen Wüstenboden zu sehen war. Wie Roan vorausgesagt hatte, hatten die Verfolger, Rabanus’ Männer offenbar die Spur verloren.
,,Ihr hattet Recht, Roan.”, sagte sie. ,,Wir sind die Verfolger los.” Roan nickte und schwang sich dann federleicht in den Sattel von Albin. Auch Aruna stieg auf.
,,Der Sandsturm hat lange angehalten.”, murmelte Roan und sah den dunkeln Himmel an, wo er sich offenbar nach den Sternen orientierte. ,,Bei Morgendämmerung haben wir uns getrennt. In zwei Stunden wird die Sonne erneut aufgehen.”
War wirklich schon so viel Zeit verstrichen seit ihrer Flucht aus Juan? Die Flucht war eine Nachtaktion gewesen, andernfalls hätte sie auch gar nicht funktionieren können, da sie von allen gewesen wurden wäre. Es wäre zu riskant gewesen.
Und abgesehen davon hatte Aruna sowieso keine Lust verspürt, noch länger als nötig in Juan zu bleiben. Von daher kam der Nachteinbruch wirklich zu richtigen Zeit.
,,Dann bleibt uns noch ein Tag, um Hazé zu erreichen und die anderen zu treffen?”, fragte Aruna und nahm die Zügel auf. Roan nickte nur leicht, doch inzwischen hatte sie sich schon fast daran gewöhnt, dass er keine langen Gespräche führte. Das in der Höhle war eine Ausnahme gewesen.
Ohne ein weiteres Wort trieb sie Orlando an und lenkte ihn in Richtung Süd-Osten, wo sie Hazé vermutete. Gleich darauf tauchte Albin neben ihrem Rappen auf.
Gespräche gab es keine. Er hing vermutlich - wie so oft - seinen eigenen Gedanken nach und sie versuchte, krampfhaft zu verdauen, was sie in der Höhle erfahren hatte. Roan - ihr Onkel. Rabanus - Orka. Orka - Mörder ihres Vaters und Verräter. Rabanus - scheinheiliger Berater des Königs. Sie selbst - eine der wenigen Menschen, die davon wussten.
Die Stunden rasten, ebenso wie ihre Gedanken. Roan prüfte ab und zu mit einem Kompass die Richtung, aber er schwieg die gesamte Zeit über.
Die Sonne wanderte und bald schon stand sie hoch über ihren Köpfen. Als es dämmerte, konnte sie Hazé schon am Horizont entdecken..
Rechts von ihr erhob sich ein riesiger Berg, in dem sich eine Höhle befand. Aruna kannte diesen Ort sehr gut. Sie war als Kind sehr oft mit Orlando dort gewesen. Es war nicht sehr weit zu ihrer ehemaligen Heimat.
Das besondere an der Höhle war ihr Eingang, der so eng war, dass gerade mal ein Pferd hindurch passen konnte, wenn es den Kopf weit unten trug. Außerdem war der Eingang tunnelförmig und hatte mehrere Kurven.
Aruna hielt Orlando an. Höhlen waren schon immer beliebte Schlafplätze von Reisenden gewesen und Aruna wollte sich erst vergewissern, ob diese Höhle belegt war. Sie wollte nicht riskieren, dass man sie erkannte und ihre Spur wiederfinden konnte.
,,Ich werde nachsehen, ob dort Platz für uns und die Pferde ist, oder ob diese Höhle belegt ist. Ich finde, wir sollten jetzt nicht mehr so unvorsichtig sein wie beim letzten Mal.”, erklärte sie und grinste dann kurz. ,,Einverstanden?”
Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte sie Roan die Zügel ihres Hengstes in die Hand. Dann betrat sie den Höhleneingang. Furchtlos lief sie los, bis sie plötzlich inne hielt. Stimmen.
Aruna schlich sich näher heran und entdeckte einen Felsspalt, der ihr einen Blick ins innere der Höhle gewährte. Vorsichtig spähte sie hindurch.
In der Höhle saßen vier Männer mit Fackeln. Außerdem standen vier Pferde in einer Ecke. Alle noch gesattelt und aufgetrenst. Ein Dunkelbrauner sogar fast schon geknebelt durch die Trense.
,,Was meint Ihr, Herr, wohin sie geritten sind?”, fragte der eine. Seine Stimme kam Aruna irgendwie bekannt vor. ,,Die Wüste ist groß, Herr. Ohne Anhaltspunkt, Herr, finden wir diese Rebelle und die Gesetzesbrecherin nie!”
Aruna stockte der Atem. Gesetzesbrecherin. Das war sie! Diese Männer sprachen über sie! Und über die Rebellen!
Es war ein Schock, als sie verstand, was das bedeutete: Roan und sie hatten die Verfolger doch nicht angehängt. Sie suchen immer noch nach ihnen und waren näher, las sie es jemals für möglich gehalten hatte.
,,Sie wird nach Hazé gehen, Paragon, und an ihrer Heimat vorbei kommen. Philitis’ Grabstätte besuchen gehen!”, antwortete ein anderer Mann und lachte. Auch diese Stimme kannte Aruna irgendwoher.
,,Wenn die Rebellen und diese Frau erst einmal hinter Gittern sind, steht endlich niemand mehr zwischen mir und der Phiole des Lichts und damit auch niemand mehr zwischen mir und dem Königsthron. Es wird mir größte Freunde bereiten, endlich Arodos zu stürzen!”, rief der Mann und lachte wieder.
,,Und ihr, Marek, Paragon und Brando, ihr werdet meine Heerführer sein und ich werde über ganz Silaeta herrschen. Aber das Schönste wird meine Rache an Arodos für meine Verbannung sein! Und Sylvia wird mit nassem Auge sich eingestehen müssen, dass sie damals mich hätte wählen sollen statt diesen Nichtsnutz Philitis. Vielleicht sieht die Gesetzesbrecherin das auch bald ein. Dann würde sie zumindest nicht existieren!”
Wieder dieses höhnische Lachen. Die drei anderen Männer - Marek, Paragon und Brando - stimmten mit ein. Das Lachen wurde lauter, doch Aruna bezweifelte, dass es außerhalb der Höhle - und damit bei Roan - zu hören war.
Auf einmal wusste Aruna wieder, woher sie die Stimmen kannte. Das Gespräch über Gleichrangigkeit, welches sie im Palast von Juan mitgehört hatte. Der eine Mann, Paragon, hatte so sehr darauf beharrt, dass es Gleichrangigkeit gäbe und diese unter Freunden existierte.
Der andere war demnach ihr Feind: Rabanus. Oder Orka, wie er früher hieß. Plötzlich verstand Aruna auch, dass sie diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Im Königssaal. Nur wusste sie da noch nicht, dass dieser Mann derselbe war wie der von dem belauschten Gespräch. Und dass dieser Mann der Mörder ihres Vaters war.
Sie stand tatsächlich weniger als fünf Meter von ihrem Vatermörder entfernt! Ohne zu überlegen drehte Aruna um und eilte nach draußen. Ohne ein Wort der Erklärung nahm sie Orlandos Zügel aus Roans Händen und schwang sich in den Sattel.
,,Roan, wir müssen weg!”, sagte sie rasch. ,,Sie sind … da drin!” Dann galoppierte sie den Rapphengst an und jagte auf Hazé zu. Roan genau neben ihr.
Im Nordosten tauchten plötzlich zwei Reiter auf, die Aruna zwar auf dem Augenwinkel bemerkte, jedoch aufgrund ihrer Eile ignorierte. An den Stadttoren stießen sie jedoch unvermeidbar mit den beiden Reitern zusammen.
,,Arion? Lucan?”, fragte Aruna und wusste, dass sie der Himmel geschickt hatte. Sie würden jetzt definitiv ihre Hilfe brauchen. ,,Ihr müsst uns helfen! Wir brauchen dringend ein Versteck, ich muss euch etwas Wichtiges mitteilen!”
Arion führte die Gruppe durch die Straßen von Hazé. Wohin er genau wollte, sagte er jedoch nicht, aber alle folgten ihm hintereinander. Aruna bemerkte, dass Arion genau verstand, wie dringend und wie wichtig die Angelegenheit war.
Am südlichsten Rand der Stadt hielt er schließlich auf einem verlassenen, menschenleeren Platz an und stieg ab. Alle anderen taten es ihm gleich. ,,Also gut, Aruna.”, meinte Arion. ,,Hier hört uns niemand. Was ist also so unglaublich wichtig?”
,,Das würde ich allerdings auch gerne wissen wollen.”, fügte Lucan hinzu und Roan nickte ebenfalls zustimmend. ,,Erzähl, Aruna.”, sagte er.
Sie nickte. ,,Also gut, das war so…” Und dann begann sie, von ihrem belauschten Gesprächen im Palast von Juan und der dem in der Höhle zu erzählen. Die anderen unterbrachen sie nicht ein einziges Mal und nickten nur ab und zu.
,,Und ich habe ein Abkommen mit der Schwarzen Meisterin.”, erklärte Aruna anschließend. ,,Ich bin eine von Sakuras Spionen. Sie hat mich gebeten, ihr Informationen über Rabanus und dessen Pläne zu liefern. Im Gegenzug dazu erhielt ich die Freiheit, Orlando und mein Schwert zurück.”
,,Ihr habt Sakura getroffen?”, fragte Lucan. ,,Nie hat sie jemand zu Gesicht bekommen. Obwohl Philitis mal etwas dazu gesagt hatte.”
,,Ja, ich habe sie getroffen, Lucan.”, antwortete Aruna und lachte. ,,Aber kennen tut sie eigentlich jeder Silaetaner, nur weiß dass niemand. Aber egal, ich muss sie benachrichtigen und diese Nachricht soll ich verschlüsselt schreiben.”
,,Verschlüsseln?”, fragte Arion. ,,Da kann ich Euch bestimmt helfen. Wenn man alles ein wenig poetisch fasst, müsste es doch genug verschlüsselt sein, oder?” Aruna nickte und holte ihre Feder und Tinte, während Arion ihr ein Pergament reichte.
,,An Sakura.”, schrieb Aruna auf das Pergament. Dann sah sie Arion fragend an. ,,Der Verräter lebt unter Euch. Schwarz-Rot sind seine Farben, doch er will das gesamte Königreich unter seinem Haupt begraben. Ein Rächer der Vergangenheit, der strafen will für falsche Wahl, die das Juwel getroffen hatte. Das Licht ist in Gefahr.”, diktierte er. ,,Ich hoffe, sie versteht es und es ist nicht zu leicht.”, meinte Lucan. ,,Hoffen wir, dass es nicht abgefangen wird.”
Aruna rollte das Schriftstück zusammen und riss ein Haar aus Orlandos Schweif. ,,Verzeiht, mein Freund, doch ich muss es mir nehmen.”, murmelte sie entschuldigend. ,,Verzeiht, mein Freund, verzeiht.”
Der Hengst drehte sich um und stupste sie an. Offenbar hatte er verstanden und es machte ihm nichts aus, dass sie sich ein Haar geborgt hatte.
Sie band das Schweifhaar um das Schriftstück, zog den Lederhandschuh über und pfiff nach ihrem Bussard Altair. ,,Mein Freund, ich brauche Eure Hilfe!”, sagte sie, als der Greifvogel auf ihrer Faust landete. ,,Bringt dieses Schriftstück zur Schwarzen Meisterin. Ihr wisst, wer das ist.”
Altair senkte den Kopf und blinzelte. Dann spannte er die Flügel und entschwand in die Lüfte. Aruna musste jetzt warten, hoffen und bangen. Wenn der Brief abgefangen werden würde, hätte sie ein ernsthaftes Problem.

*****

Sie hatte sich eingeschlossen, nachdem Aruna die Flucht gelungen war. Sie wollte niemanden sehen, sondern einfach nur an Philitis denken. Und ihre Tochter. Sie konnte es selbst kaum glauben, dass sie ihre Tochter wiedergefunden hatte.
Sie hatte sie schon so lange für verloren abgestempelt gehabt, und dann war sie plötzlich wieder aus dem Nichts aufgetaucht. Das Schicksal hatte eine Aufgabe für alle, doch noch wusste sie nicht, welche das sein würde.
Sylvia stand auf und begann, hin und her zu wandern. Irgendwie musste doch alles zusammen hängen, aber sie wusste nicht wie. Alles, was sie verstand, war, dass Orka sich an der Königsfamilie - ihrer Familie - rächen wollte, da sie Orka damals abgelehnt hatte.
Ob ihre Tochter ihr schreiben würde? Sie hatte sie eindringlichste darum gebeten. Aber Sylvia wusste auch, dass Aruna nicht wusste, dass sie ihrer Mutter gegenüber gestanden hatte.
Kurz entschlossen sperrte sie die Tür der Kammer auf und eilte hinaus. Sie musste zurück in ihre oberirdischen Privatgemächer. Oder noch besser: Zur Weide, um die Pferde zu beobachten. Das würde sie vielleicht erst einmal ablenken.
Ihre weiten Röcke wehten um ihre Beine, als sie quer über den Hof es Palastes lief. Ihr Haar schlug ihr ins Gesicht und sah bestimmt nicht mehr so elegant aus wie noch vor ein paar Stunden. Ihr Aussehen war bestimmt nicht das einer Königin, doch Sylvia wollte sich nicht ordentlich machen. Nicht jetzt, wo sie um das Leben ihrer Tochter bangen musste.
Ob sie jemals die Chance bekommen würde, Aruna alles erzählen zu können und sie als Tochter anzuerkennen? Sie wusste es nicht, aber, auch wenn sie hoffen wollte, sie konnte es nicht. Sie musste erst einmal alles so hinnehmen, wie es war.
Sie hörte den Schrei eines Vogels und blickte zum Himmel. Über ihr kreiste ein Greifvogel. Altair, wie Aruna ihn genannt hatte. Er war zu ihr gekommen. Fasziniert beobachte sie den Bussard. Ihre Augen funkelten. Sie hatte selten so etwas schönes gesehen.
,,Altair, mein Freund.”, hauchte sie. ,,Ihr seit zu mir gekommen.” Der Greifvögel verlor langsam an Höhe, während er weiter seine Kreise zog. ,,Ihr seit wahrhaftig zu mir gekommen.”, murmelte sie voller Staunen. ,,Bringt Ihr Nachricht von meiner … von Aruna?”
Sie wagte es nicht, Aruna ihre Tochter zu nennen, auch wenn der Bussard sie wahrscheinlich nicht verstehen würde. Aber das war ihr in diesem Augenblick auch egal.
Sylvia klopfte auf den Holzbalken der Weide und rief wieder nach Altair. Der Vogel verlor immer mehr an Höhe und landete bald darauf neben ihr auf dem Balken. ,,Hallo, Altair.”, flüsterte Sylvia. ,,Bringt Ihr Nachricht von Aruna für mich?”
Altair zwinkerte. Dann sah sie das Pergament in einer seiner Krallen. Vorsichtig entfernt sie es und faltete es auf. ,,An Sakura.”, stand in einer sauberen Schrift darauf. ,,Der Verräter lebt unter Euch. Schwarz-Rot sind seine Farben, doch er will das gesamte Königreich unter seinem Haupt begraben. Ein Rächer der Vergangenheit, der strafen will für falsche Wahl, die das Juwel getroffen hatte. Das Licht ist in Gefahr.”
Sylvia knirschte mit den Zähnen. Sie verstand, was damit gemeint war. Der Verräter war Rabanus, der mit seinen schwarz-roten Kriegern Silaeta erobern wollte. Er wollte sich rächen, weil sie - Sylvia - damals Philitis vorgezogen und Orka verstoßen hatte.
Sehr beunruhigend fand Sylvia jedoch die Tatsache, dass das Licht in Gefahr war. Das Licht stand für die Phiole des Lichts, ein mächtiges Ding, das seinem Herren in dunkeln Zeiten und an dunkeln Orten Licht spendete und ihn erhellte.
Wenn Rabanus die Phiole in die Hand bekam, war er mächtiger als irgendwer sonst in Silaeta. Jemand musste seinen Plan durchkreuzen, sonst wäre es aus mit dem Königreich. Sylvia musste etwas unternehmen, doch sie konnte aus Juan nicht weg.
,,Aruna.”, schoss es ihr durch den Kopf. ,,Und Prinz Leonardo.” Diese beiden könnten es tatsächlich schaffen. Das beste Team, welches das Königreich Silaeta je gesehen hatte. Und beide waren königliche Familienmitglieder, auch wenn Aruna nur indirekt dazugehörte und noch nichts davon wusste.
Aber eigentlich würden beide auch gut zusammen passen und damit wäre auch Arodos’ Problem mit der dringend nötigen Heirat von Leonardo bewältigt. Die beiden würden schon zueinander finden, auch, wenn sie sich momentan noch hassten. Da war Sylvia zuversichtlich.
,,Wartet auf mich, Altair!”, hauchte sie und rannte zurück in den Palast, um sich Feder, Tinte und Pergament zu suchen, damit sie Aruna antworten konnte. Ihr einziger Wunsch war, dass Altair auf sie warten würde.
Rasch griff sie nach dem erstbesten Schreibzeug in ihrem Privatzimmer und schrieb in leserlichen, aber dennoch verschlungenen Buchstaben ,,An Akira” darauf. Verschleiert, aber dennoch deutlich. So musste sie ihre Rückantwort verfassen, dass war Sylvia klar.
,,Treffet mich dort, wo das Mondlicht ins Wasser fällt. Wisset, dort, dass abläuft die Frist, wenn ganz Silaeta ist erhellt.“, schrieb sie dann auf und faltete das Pergament zusammen, bevor sie wieder hinaus rannte. Altair saß unverändert auf dem Holzbalken.
,,Altair, bringt das so schnell wie möglich zu ihr.”, sagte sie und der Bussard nahm den Brief in die Kralle, bevor er sich in die Lüfte schwang. Sylvia sah ihm nach. ,,Flieg, mein Freund, flieg so schnell es geht!”, dachte sie. ,,Silaeta braucht Aruna und Leonardo jetzt.”
Leonardo. Sie musste ihm noch sagen, dass er auf eine Mission musste. Allein konnte er niemals die Phiole des Lichts bergen. Ebenso wenig, wie Aruna es allein schaffen konnte.
Genau in diesem Moment kam der Prinz aus dem Stall. An der Hand führte er seinen geliebten Schimmelhengst Persia. ,,Leonardo!”, rief sie. ,,Leonardo!” Er drehte sich zu ihr um und nickte, dann ließ er Persia auf die Weide.
,,Was ist denn, Sylvia?”, fragte er. Sie antwortete jedoch nicht. ,,Ich muss mit Euch reden. Sofort und unter vier Augen. Alles andere ist zu gefährlich.”, murmelte sie und zog ihn hinter den Stall. Leonardo weigerte sich nicht.
,,Was ist los, Sylvia?”, fragte er, diesmal jedoch ganz leise, so dass niemand außer Sylvia ihn hören geschweige denn verstehen konnte. Sie schluckte. ,,Ich habe Nachricht von Spionen bekommen. Das Licht ist in Gefahr. Rabanus will es sich holen und dann den König stürzen, bevor er alle versklaven wird, die sich ihm nicht selbst unterwerfen.”, flüsterte sie.
Leonardo sah Sylvia entsetzt an. ,,Oh nein!”, zischte er. ,,Dann ist es vorbei mit dem Königreich Silaeta! Aus und vorbei!” Sylvia nickte. ,,Deshalb hab ich einen Auftrag für Euch, Leonardo.”, teilte sie ihm mit. ,,Ihr werdet nach Goldan reiten und die Phiole des Lichts vor ihm retten. Ich werde Euch eine Gefährtin geben, die ich für würdig genug halte, Euch zu unterstützen.”
,,Eine Gefährtin? Ihr wollt mich doch nicht verkuppeln, oder? Sylvia?”, fragte Leonardo voller Misstrauen. Sylvia lächelte. ,,Nein, natürlich nicht. Ihr dürft selbst eine wählen, wenn Ihr meint, dass die Zeit reif ist.”, antwortete sie. Dann fügte sie in Gedanken hinzu: ,,Aber es wäre dennoch nicht schlecht, wenn sie Euch gefallen würde, Leonardo.”
,,Das ist ja alles in Ordnung.”, erwiderte er. ,,Und wann werde ich auf meine ,,geheimnisvolle Gefährtin” stoßen und mit ihr nach Goldan aufbrechen?” Sie wartete kurz mit ihrer Antwort. ,,Wenn alles gut geht…”, meinte Sylvia schließlich. ,,…dann morgen Nacht.”

*****

Arion lehnte an der Wand eines Hauses. Er tat das, was er am liebsten tat: Lesen. Zumindest war es ihm neben dem Dichten das Liebste. Es schien, als ob er die Ruhe selbst war, doch innerlich saß er auf glühenden Kohlen.
Die Nachricht von der Phiole des Lichts, die in höchster Gefahr war, beunruhigte ihn zutiefst. Und außerdem wartete er sehnsüchtig auf eine - hoffentlich Hilfe bringende - Antwort von Sakura. Unter den Asfaloth galt sie immer als sehr gutmütig und klug, aber ob diese Gerüchte auch der Wahrheit entsprachen? Immerhin hatte selten jemand die Schwarze Meisterin zu Gesicht bekommen, da sie es vorzog, unerkannt und unentdeckt zu bleiben.
,,Roan?” Arunas Stimme durchschnitt die Stille. Arion packte das Buch weg. Er konnte sich jetzt unmöglich noch länger darauf konzentrieren. Außerdem kam er sich wieder so abgekapselt von den anderen vor.
,,Ja?”, antwortete Roan. Ein Wunder, dass er überhaupt sprach! Aber seit Aruna und er allein auf der Flucht gewesen war, schienen beide eine enge Beziehung aufgebaut zu haben. Arion wollte zu gerne wissen, woran es lag, doch er fand es unhöflich, sie danach zu fragen.
,,Wenn Ihr … mein Onkel seid …”, fing sie an. Ihre Stimme war dünn und zitterte. ,,Wer … Wer ist dann … meine Mutter … ?” Arion stockte der Atem. Roan war Arunas Onkel? Also der Bruder von Philitis? Aber warum hatten beide das nie erwähnt?
Arion dachte angestrengt nach. War das vielleicht der Grund, dass er nie sprach? War vielleicht Philitis der Grund gewesen? Das dieser vielleicht ein Geheimnis hatte, was Roan auf gar keinen Fall weitererzählen konnte oder durfte?
,,Sie ist am Leben.”, sagte Roan schließlich. ,,Aber sie muss es Euch selbst sagen. Ich habe geschworen, unter Einsatz meines Lebens dieses Geheimnis für Philitis zu bewahren und ich habe nicht vor, es zu brechen.”
Aruna senkte den Blick. Arion verstand sie. Es musste hart sein, die eigene Mutter nie gekannt zu haben und den Vater ermordet sehen. Und plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein weiterer Verwandter auf, der zwar sehr viel über die Eltern wusste, aber nichts preis geben wollte.
,,Arme Aruna.”, dachte er voller Mitgefühl. ,,Ich wünschte, ich könnte Euch irgendwie helfen. Nur weiß ich nicht wie…”
Seine Gedanken würden von einem hellen Schrei unterbrochen. Der Schrei eines Greifvogels. Der Schrei eines Bussards. Der Schrei von Altair.
,,Altair!”, rief Aruna und zog den Lederhandschuh so schnell über, dass Arion kaum ihre Bewegungen verfolgen konnte. Er lächelte. Altair hatte sie gefunden. Und hatte vielleicht eine Nachricht von Sakura bei sich. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung.
Er beobachtete Aruna, wie sie den Greifvogel auf ihrer Faust landen ließ und ihn dann sanft über das weiche Gefieder strich. In einer der Krallen klemmte ein Stück Pergament, dass ein wenig zerschlissen aussah.
,,Eine Nachricht von Sakura!”, rief Aruna und faltete den Zettel mit einer Hand auseinander. ,,An Akira.”, las Aruna vor, doch Lucan unterbrach sie. ,,Wer ist Akira?”
,,Ich.”, antwortete Aruna. ,,Akira ist mein Name als Spionin. Ich wurde schon als kleines Mädchen so genannt. Warum weiß ich auch nicht.” Lucan nickte kurz und bat sie, weiter zu lesen.
,,Treffet mich dort, wo das Mondlicht ins Wasser fällt. Wisset, dort, dass abläuft die Frist, wenn ganz Silaeta ist erhellt.“, erklang ihre Stimme. ,,Wisst ihr, was das bedeutet?“
Arion lächelte. Die Botschaft war verschlüsselt und dennoch eindeutig. Er staunte über die dichterischen Fähigkeiten der Schwarzen Meisterin. ,,Ich weiß es.”, gab er zu. ,,Es ist auch gar nicht so schwer zu deuten.”
,,Wie meint Ihr das, Arion?”, fragte Aruna. Er lächelte und stand auf. Recht langsam lief er zu Aruna hinüber. Es gab keinen Grund zur Eile. Zumindest im Moment nicht. Er beugte sich über den Brief und überflog ihn leise.
,,Sakura bittet um ein Treffen mit Euch, und zwar ,,dort, wo das Mondlicht ins Wasser fällt”, also am See nicht weit von Hazé und ungefähr genauso wenig weit entfernt von Eurem Zuhause, Aruna.”, fing Arion an. ,,Und sie gibt Euch sogar noch die Zeit an. ,,Mondlicht” steht für Nacht. Ihr habt Glück, denn morgen Nacht soll Vollmond sein. Und der Vollmond spiegelt sich immer in diesem See.”
,,Und weiter?”, fragte Aruna. ,,Was ist mit dem Satz ,,Wisst, dort, dass abläuft die Frist, wenn ganz Silaeta ist erhellt.” Was bedeutet das?”
Arion lachte. ,,Das ist wirklich nicht zu übersehen. Sie sagt lediglich, dass ihr bei Sonnenaufgang wieder verschwunden und getrennt sein müsst. Sie muss dorthin zurück, wo sie herkam, und du musst zurück, wo du herkamst. Man darf Euch also nicht zusammen erwischen…”
,,Ich bin dagegen.”, unter Lucan ihn. ,,Ich bin dagegen, dass wir sie allein gehen lassen. Wenn Aruna in Gefahr gerät, sind wir womöglich alle in Gefahr. Niemand weiß, wer die Schwarze Meisterin in Wirklichkeit ist.”
,,Aber ich weiß es doch!”, warf Aruna ein. ,,Ich habe sie selbst gesehen!” Lucan jedoch schüttelte den Kopf. ,,Und wenn der Brief abgefangen wurde und dies eine miese Falle ist, dann stecken wir sowieso alle mit dem Kopf im Sand! Ich sage, dass wir alle gehen.”, erklärte Lucan lautstark. ,,Alle, oder gar keiner!”
,,Dann gehen wir alle.”, meinte Arion. ,,Der Kontakt zur Schwarzen Meisterin ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben und der uns helfen könnte.”
Aruna nickte. ,,Dann gehen wir alle gemeinsam zu meinem Treffen.”, willigte sie ein. Ganz so glücklich jedoch war sie damit nicht. Sie wollte offenbar einfach keine Leibgarde, weil sie sich sicher genug fühlte.
Der Tag schien so langsam wie möglich hinzukriechen. Arion las wieder etwas in seinem Buch, bevor er sich zurücklehnte und den Sonnenuntergang beobachtete. Die Nacht und noch ein Tag musste vergehen, bevor endlich das Treffen mit der geheimnisvollen Schwarzen Meisterin stattfinden würde. In den letzten Stunden hatte er sich oft gefragt, wer sie wohl war.
Da sie immer noch Gefahr liefen, entdeckt und erkannt zu werden, hatte Arion vorgeschlagen, dass einer in der Nacht Wachen halten musste und alle zwei Stunden sollte abgelöst werden, so dass jeder schlafen konnte. Er selbst hatte angeboten, die erste Schicht zu übernehmen.
Nun stand er in einer Ecke, lehnte an seinem Pferd Anatol. Der Hengst schnaubte ab und an, sonst war alles still. ,,Na, Anatol. Auch mit Nachtwache halten?”, murmelte er und strich dem fuchsfarbenen Pferd über die Nüstern. Der Hengst rieb seinen Kopf an Arions Arm.
So standen beide fast die ganze Schicht lang. Es geschah jedoch nichts gefährlich, aber trotzdem war er froh, als Roan ihn - wie immer schweigend - ablöste. Er brauchte eben auch seinen Schlaf.
Auch der nächste Tag geschah ohne besondere Ereignisse. Keiner hatte den Platz im hintersten Winkel von Hazé bisher entdeckt, in dem sie sich aufhielten, aber dennoch waren alle auf der Hut. Arion saß wieder an eines der Häuser gelehnt und las.
Als jedoch die Dämmerung kurz vor dem Einbruch war, schienen alle wieder zum Leben zu erwachen und begannen, die Sachen zu packen und die Pferde zu satteln. Arion lag ein Zitat auf den Lippen, das gut in diese Situation hineingepasst hätte, doch er verkniff es sich. Lucan mochte es nicht gerne, wenn er zitierte.
Anatol wartete bereits auf seinen Herren und ließ sich geduldig aufsatteln und auftrensen. Aber dann überkam auch ihn die Aufregung und Arion musste mehrere Versuche starten, um Aufsteigen zu können.
,,Ruhig, Anatol, ruhig.”, murmelte er und strich dem Hengst über die Schulter. ,,Ruhig, Anatol, ganz ruhig, Junge.” Der Hengst stellte die feinen Ohren auf und drehte eines nach hinten, um Arion zuzuhören.
Arion lächelte. Anatol war wirklich ein guter Freund. Zwar noch jung, aber dennoch gelehrig. Ihm schien es manchmal, als ob der Hengst unbedingt alles richtig machen wollte. Arion freute das zunehmend.
,,Alle bereit?”, rief Lucan, der längst auf Darius saß. Arion nickte, ebenso wie die anderen. ,,Dann alles Arion nach, der kennt sich am besten aus!”
Arion lachte kurz auf. Ja, er kannte sich tatsächlich am besten in den Straßen von Hazé aus. Schließlich war das seine Heimatstadt gewesen. Zumindest in allerfrühster Kindheit. Erst später war seine Familie mit ihm nach Juan gezogen, wo er ein neues Zuhause hatte finden müssen.
Arion lenkte Anatol durch die vielen kleinen Nebenstraßen. Dabei achtete er darauf, dass er seinen Kopf gesenkt hielt. Er wollte nicht sofort erkannt werden. Immerhin war die Wahrscheinlichkeit nicht gerade gering, dass Rabanus mit aller Kraft nach ihnen suchte.
Bald darauf hatte er das Stadttor erreicht und führte die Gruppe hinaus in die Wüste. Neben ihnen lag der Schleierwald und nur Hazé trennte ihn von der weiten, offenen Wüste.
Arion drehte sich kurz um, um sich zu vergewissern, dass niemand verloren gegangen war. Dann übernahm Lucan wieder die Führung. Inzwischen dämmerte es bereits leicht, doch Arion war noch immer so munter wie zuvor. Den gesamten letzten Tag hatte er sich ausruhen und Energie sammeln können, so dass er jetzt keine Spur von Müdigkeit spürte.
Er setzte sich zurück und ließ Anatol den Zügel lang. Der Hengst schnaubte dankbar und beschleunigte ein klein wenig. Wer war bloß diese Schwarze Meisterin? Und war es wirklich eine Falle, in die sie gerade alle zusammen tappten?
Er hoffte es nicht, aber irgendwie hatte er das ungute Gefühl, dass in dieser Nacht irgendetwas Unerwartetes und Ungeplantes eintreffen würde. Immer wieder stellte er sich die Frage, was es wohl sein konnte.
Inzwischen war es fast so düster geworden, dass Arion Mühe hatte, bei den anderen bleiben zu können, da er fast nichts mehr sehen konnte. Nur schwach leuchtete der Vollmond über der Wüste und tauchte diese in ein kaltes, fahles Licht, das durch die Wolken schimmerte, die den hellen Mond bedeckten und das Licht dämpften.
Dann erspähte er den kleinen See und je näher sie dorthin ritten, desto klarer schien es zu werden. Die Wolken begannen, nach Südosten zu schwinden und legten den Vollmond frei. Dieser schien mit voller Pracht auf den See, als Lucan seinen Hengst anhielt und alle zum Absitzen aufforderte.
Arion fuhr mit den Füßen aus den Steigbügeln und ließ sich nach links zu Boden gleiten. Fast lautlos landete er neben Anatol.
Mit einer kleinen Handbewegung rief Lucan alle zu sich. Arion schien es, als ob er Angst davor hatte, die menschliche Sprache zu verwenden, wenn die Schwarze Meisterin in der Nähe sein könnte. Aber auch Arion sagte nichts und führte seinen Hengst nur zu den Anderen.
Dann deutete Roan plötzlich auf etwas am anderen Ufer des Sees. Eine Gestalt in wehendem Mantel auf einem im Mondlicht silbern schimmernden Pferd. Die Gestalt trug schwarz, ihr Gesicht war mit einer weiten Kapuze verdeckt.
Das Pferd galoppierte durch die Nacht auf die kleine Gruppe zu. Etwas fünf Meter entfernt hielt es die Gestalt an. Arion konnte erkennen, dass das Pferd sonderbar geformte Ohren hatte. Sie waren sichelförmig nach innen gebogen. Das Merkmal einer der seltensten Pferderassen Silaetas. Dieses silberne Pferd war ein Marwari.
Die Gestalt stieg ab. ,,Akira.”, sagte sie. ,,Ich habe Euren Brief erhalten. Und wie ich sehe, hab Ihr den meinigen ebenso erhalten. Aber ich möchte mit Euch, Akira, unter vier Augen sprechen. Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass Ihr einige Leibwächter mit Euch führt, doch was wir zu besprechen haben, geht sie in keinster Weise etwas an.”
Arion konnte die Stimme nicht ganz einordnen. Teils wirkte sie männlich, teils aber auch sehr weiblich und irgendwie kam sie ihm sogar bekannt vor. Aber er wusste nicht, woher.
,,Sie dürfen mithören, verehrte Sakura.”, ergriff Aruna das Wort. ,,Sie sind nicht nur meine Leibwächter, sondern auch meine Freunde...”
,,Ich weiß genau, wer sie sind, Akira.”, unterbrach Sakura sie. ,,Und ich sage, dass sie nicht mithören dürfen. Das ist keine Frage von Freundschaft. Wenn sie in Gefangenschaft geraten, dann könnten Informationen über uns ausgequetscht werden. Unter Folter ist alles möglich.”
,,Schon gut, Aruna. Gehet allein.”, meinte Lucan. ,,Wir werden warten auf Euch. Genau hier. Niemand wird sich auch nur einen Meter wegbewegen.” Aruna nickte. ,,Ich danke Euch, Lucan. Wenn es gefährlich wird - Altair wird der Bote sein.”
Dann führte sie Orlando neben der Schwarzen Meisterin und deren silbernen Pferd von Arion und den anderen fort. Langsam verschwanden sie in der Dunkelheit.

*****
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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptySo Apr 24, 2011 3:45 pm

Respekt!
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rosali9502

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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyMo Mai 02, 2011 6:53 pm

Aruna lief stillschweigend neben ihr er. Außer den rhythmischen Hufschlägen der Pferde und ein leises Schnauben von Orlando war es totenstill. Königin Sylvia schien den Weg zu kennen, doch Aruna zögerte immer wieder.
Was hatte die Königin ihr mitteilen wollen? Und warum durften die anderen Rebellen nichts davon erfahren? Warum hatte die Königin nicht selbst sogar gesagt, wer sie in Wahrheit war?
,,Ihr zögert, Akira.”, bemerkte sie, ohne den Kopf in ihre Richtung zu drehen. ,,Nein.”, entgegnete Aruna augenblicklich. ,,Nein, Sakura, ich zögere nicht.”
,,Was tut Ihr dann?” Aruna schwieg kurz. Dann antwortete sie mit leiser Stimme. ,,Ich denke nach. Ich denke nach, weil ich nicht verstehe, warum Ihr Euch den Rebellen nicht zu erkennen gegeben habt. Ich denke nach, weil ich nicht verstehe, warum sie von all dem nichts wissen dürfen. Sie sind meine Freunde!”
,,Akira.”, murmelte die Königin, noch immer ohne Blickkontakt aufzunehmen. ,,Akira, es sind Feinde unter uns. Feinde in unseren Reihen, getarnt. Nicht alle Feinde kennzeichnen sich mit der blutroten Rune. Was wäre, wenn einer von ihnen einen der Rebellen fangen und foltern würde? Oder hintergehen würde? Informationen, geheimer als geheim, unsere Informationen - sie würden an des Feindes Ohr gelangen und alles in Gefahr bringen.”
,,Aber keiner würde etwas verraten!”, warf Aruna ein, doch die Königin lachte nur. ,,Unter Folter gebt jeder alles preis, nur um sein Leben zu retten. Es gibt nicht viele, die eine Folter überlebt haben, ohne Informationen auszuplaudern. Nicht viele, die überhaupt eine Folter überlebt haben.”, antwortete sie mit kalter Stimme. ,,Lieber tot, aber keine Informationen nach außen, als tot und alle Pläne ausgeplaudert.”
Sie sah kurz zu Aruna, dann fügte sie noch hinzu: ,,Wir müssen immer mit dem Schlimmsten rechnen, Akira.” Sie hatte den entsetzten Blick offenbar bemerkt. ,,Hier sind wir sicher genug, damit ich Euch von meinem Plan erzählen kann.”
,,Wie Ihr meint, Meisterin Sakura.” Aruna verneigte sich kurz. Die Königin hatte einen Plan, und komme was wollte, sie musste ihn ausführen. Sie stand in der Schuld der geheimnisvollen Frau, seit sie ihr Leben zurück bekommen hatte.
,,Das Licht ist in Gefahr, sagtet Ihr. Und dieses werdet Ihr retten müssen. Es ist im geheimen Tempel von Goldan zu finden. Ich traue Euch diese Aufgabe an, da Euch niemand auf geheimer Mission vermutet.”, erklärte Königin Sylvia. ,,Des Weiteren wird Euch ein Partner beiseite stehen, denn allein ist diese Aufgabe unmöglich zu schaffen.”
,,Wer wird mein Partner sein, Sakura?”, fragte Aruna. Die Königin verzog keine Miene. ,,Das ist unwichtig.”, erwiderte sie. ,,Nehmt Ihr die Aufgabe an, Akira?”
Aruna nickte. ,,Ja, Schwarze Meisterin. Ich stehe tief in Eurer Schuld und werde alles tun, damit das Licht geborgen werden kann.” Wieder verneigte sie sich kurz.
,,Und schwöret Ihr, dass Ihr niemand außer mir oder Eurem Partner auch nur die kleinste Information zukommen lasst?”, fragte die Königin weiter. Aruna nickte eifrig. ,,Ich schwöre, Schwarze Meisterin Sakura. Kein einziges Wort wird an ein anderes Ohr dringen als an das Eurige oder das meines Partners.”
,,Nun dann, Luna Argentea und ich werden Euch wieder verlassen müssen.“, erklärte die Königin und strich dem silbernem Pferd über die Nüstern. ,,Bevor der Mond verschwunden ist, müssen wir beide wieder zurück in Juan sein. Es würde höchstwahrscheinlich auffallen, wenn meine silberne Stute und ich fehlen würden.“
Eine Stute. Die Königin hatte tatsächlich eine Stute als Reitpferd. Niemand ritt Stuten. Si galten als zickig, launisch und vor allem weniger kraftvoll. Aber diese silberne Stute, Luna Argentea, strahlte den selben Stolz aus wie Arunas Orlando oder diesen Persia des Prinzen.
Dazu hatte die Stute auch noch eine schönen Namen. Luna Argentea. Das war lateinisch und bedeutete ,,silberner Mond”, soweit Aruna wusste.
Königin Sylvia setzte einen Fuß in den Steigbügel. ,,Ich werde also nicht mit Euch zurück reiten können, aber ich bin sicher, Ihr findet allein den Weg zurück.”
Ich aber nicht, entgegnete Aruna in Gedanken. ,,Also, Ihr wisst, kein Wort zu irgendjemanden. Nur zu mir oder Eurem Partner. Ich werde in drei Tagen auf der Nordseite von Juan auf Euch warten. Dann lernt Ihr auch Euren Partner kennen.”, sagte sie und schwang sich auf den Rücken ihrer eleganten silbernen Stute und verschwand schließlich im Nirgendwo der Nacht.
Aruna sah ihr nach. Orlando ebenfalls. Bis sie nicht mehr am Horizont zu sehen war. ,,Also dann, Orlando. Wir sind wohl nun auf uns allein gestellt.”, murmelte sie und sprang in den Sattel des Hengstes. ,,Reiten wir zurück, mein Freund.”
Sie ließ dem Pferd die Zügel lang und setzte sich bequem zurück. Orlandos viertaktiger Hufschlag war einschläfernd und Aruna kämpfte gegen die Müdigkeit. Der Mond verschwand hinter einer dichten Schicht aus Wolken.
Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie ja gar nicht wusste, wo sie sich überhaupt befand. Der Gedanke, sich verirren zu können, war ihr bisher immer vollkommen fremd gewesen. Immer, wenn sie von irgendjemanden gefragte worden war, was sie wohl täte, wenn sie ich verirren würde, hatte sie bloß spöttisch geantwortet: ,,Wo soll ich mich denn verirren? Die Wüste ist überschaubar und der Schleierwald meine Heimat, die ich wie meine Satteltaschen kenne!” Aber das nachts alles anders aussah, daran hatte sie echt noch nie gedacht.
Der vorhin noch so mystisch leuchtende Vollmond war nun komplett hinter den Wolken verschwunden und spendete nur noch spärlich etwas Licht. Orlando schnaubte laut und drehte seine Ohren in alle Richtungen.
Plötzlich stieß er ein lautes Wiehern aus, welches Aruna aus ihrem Halbschlaf riss. Ein anderes Pferd antwortete in der Ferne. Es klang ein wenig wie die helle Stimme von Arions Pferd Anatol, aber sicher war sie sich nicht.
Orlando jedoch verfiel in den Trab, wieherte erneut und warf den Kopf nach oben. Einen Augenblick später erkannte sie die Silhouetten von drei Reitern. Waren das Lucan, Roan und Arion? Aruna blinzelte, doch ihre Sicht verbesserte das nicht.
Orlando galoppierte an. ,,Aruna?”, erklang Lucans Stimme durch die Nacht. ,,Aruna? Seid Ihr das, Aruna?” Sie nickte, obwohl sie genau wusste, dass er das sowieso nicht sehen konnte, doch es war ihr egal. Orlando beschleunigte noch etwas und legte dann vor den drei Reitern eine harte Vollbremsung hin, indem er die Beine in den Boden rammte und sich fast auf sein schwarzes Hinterteil setzte. ,,Ja, ich bin es.”, meinte Aruna. ,,Ich darf Euch jedoch nichts verraten.”

*****

In zwei Stunden würde die Abenddämmerung einsetzen. Er musste jetzt endlich anfangen, alles Lebensnotwendige für seine Reise zusammen zu packen. War zögerte er nur und schob es immer weiter hinaus?
Leonardo packte ein Hemd zum Wechseln, ein zweites paar Lederhandschuhe und eine Wasserflasche in eine seiner Satteltaschen. Er würde nicht mehr als unbedingt nötig an Kleidung mitnehmen, um Persia nicht übermäßig zu belasten.
Dann eilte er in den Stall, wo Persia schon erwartungsvoll den Kopf über die Boxentür streckte und leise wieherte. Doch Leonardo strich dem weißen Hengst nur kurz über die Nüstern, bevor er weiter zur Sattelkammer rannte. Dort stopfte er zwei Seile und sowie eine handvoll Ersatzlederriemen mit in seine Satteltasche.
Die zweite Tasche hatte er ausschließlich für Proviant gedacht, deshalb hatte er sie in die Küche bringen lassen. Er würde sie nachher holen müssen oder einen Bediensteten schicken.
Leonardo hielt inne. Es würde ihm plötzlich bewusst, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie lange er überhaupt unterwegs sein würde. Das machte die Sache mit dem Packen nicht gerade einfacher.
Und es interessierte ihn brennend, wer seine Partnerin sein würde. Sylvia hatte mit keinster Silbe irgendetwas verraten oder auch nur eine Andeutung gemacht, obwohl er versucht hatte, irgendetwas herauszufinden. Natürlich hatte er versucht, von hinter her zu fragen und zu hoffen, dass sie sich verplapperte, doch Sylvia war einfach zu schlau gewesen. Ein aussichtsloses Unternehmen, da wohl oder übel mit einer Überraschung enden würde.
Leonardo holte Striegel und Hufkratzer sowie eine Bürste und lief zurück zu Persia. ,,Na, mein Freund.”, murmelte er leise. ,,Verzeih mir, aber ich bin ein wenig durch den Wind. Großes steht uns bevor…” Der Hengst schnaubte und legte seinen Kopf auf seine Schulter, während Leonardo seine Hand über das weiße Fell streichen ließ.
Er schon die Tür auf und betrat die Box. Der Hengst wich zurück, damit er die Tür hinter ihm wieder schließen könnte. Dann begann Leonardo Persia zu putzen und zu kraulen. Der Schimmel schloss nach weniger als zwei Minuten.
,,Persia, du wirst doch wohl nicht einschlafen?”, lachte der Prinz und hielt einen Moment inne, um sich an den Pferdekörper zu lehnen. ,,Schon bereit für unseren Auftrag?” Der Hengst öffnete die Augen und blickte Leonardo verwirrt an. Offenbar konnte er nicht verstehen, warum die Striegelmassage so plötzlich aufgehört hatte.
Leonardo striegelte Persia noch eine Weile, bis wirklich kein einziges Staubkörnchen mehr auf seinem Fell lag. Schließlich packte er die Bürsten in die Satteltasche. Zu Schluss kratzte er die Hufkratzer aus, bat Persia eindringlich, sich die Hufe nicht wieder voll Mist zu treten, und legte den Hufkratzer ebenfalls in die Satteltasche.
Leonardo hätte die Aufgabe, Persia zu putzen, mit einem Satz an einen der Bediensteten abgeben können, doch erstens hatte er es nicht gerne, wenn jemand sein Pferd berührte, und zweitens gab Persia niemandem außer ihm die Hufe und versuchte außerdem ständig, den Pfleger zu beißen. Ein Verhalten, dass von mangelndem Vertrauen zu Fremden kam.
,,Bis später, mein Freund.”, sagte Leonardo und schloss die Boxentür. Dann brachte er die Satteltasche zu der restlichen Ausrüstung in die Sattelkammer.
Die Sonne war ein ganzes Stück gewandert, bemerkte er, als er den Stall verließ. Ungefähr eine halbe Stunde blieb ihm noch, bevor er seine Partnerin kennen lernen und mit dieser zu seiner Mission aufbrachen würde.
Vielleicht war sie ja hübsch? Und klug? Vielleicht war sie ja das Mädchen, welches er an seiner Seite haben wollte - lebenslang.
Leonardo unterdrückte diese ungewollten Gedanken und lief zurück in den Palast. Er wollte sich umziehen. Die edlen, bestickten Gewänder, die er sonst immer trug, würden viel zu kostbar für eine Reise sein.
Er entschied sich schließlich für eine schwarze, enge Reithose aus Leder, in die er einen mit gelb bestickten, breiten Gürtel zog, an denen er seine Waffen befestigte, die er mit sich führen würde: Ein Langschwert, ein Dolch und ein kleines Messer. Außerdem nahm er schwarze Lederreitstiefel mit umgeklappten Schaft und ein weißes Hemd, dass dem ähnlich war, welches er zum Wechseln eingepackt hatte. Es hatte unheimlich weite Ärmel, die an den Handgelenken zusammen geschürt waren. Der Ausschnitt wurde von einer Kordel zusammen gehalten. Sonst war das Hemd unverziert. Er zog seinen ledernen Mantel mit den kurzen Ärmeln über und steckte die Hände in die schwarzen Reithandschuhe, die ebenfalls aus Leder waren.
Der Grund, warum er so viel Kleidung trug, die aus Leder gefertigt war, war eigentlich ganz einfach zu erklären: Es war das robusteste Material, dass zudem auch angenehm zu tragen war, da es nicht so schwer wie Kleidung aus Ketten war.
Leonardo betrachtete sich im Spiegel und kämmte dann sein nussbraunes, welliges Haar zurück. Dann nahm er ein Band und band es im Nacken locker zusammen. Wieder ein Blick in den Spiegel und dieser sagte ihm, dass das zurück gebundene Haar ihm alles andere als gut aussehen ließ.
Warum interessierte ihm plötzlich sein Aussehen? Er hatte sich doch noch nie Gedanken darüber gemacht. Andererseits bestand ja auch die Möglichkeit, dass er in einer Viertelstunde auf seine Traumfrau traf.
Warum scherte er sich plötzlich um Frauen? Diese Art von Gedanken waren ihm bisher völlig fremd gewesen. Und sie waren irgendwie unheimlich. Er hatte sich doch eigentlich nie eine Frau an seiner Seite gewünscht. Im Gegenteil: Er hatte es sogar verabscheut.
Leonardo versuchte, die Gedanken wieder zu verdrängen und lief hinunter in die Küche, wo seine Satteltasche hoffentlich schon aufgefüllt war. Einen Bediensten sah er gerade nicht, deshalb machte er sich selbst auf den Weg.
Tatsächlich kam sofort eine Zofe auf ihn zu und reichte ihm die Tasche. Eine Zweite Tasche, die mit Hafer für Persia gefüllt war, hatte er ebenfalls schon erhalten und diese zu den anderen in die Sattelkammer gestellt, wohin er auch die zweite Satteltasche jetzt trug. Allerdings machte er einen kleinen Umweg und holte aus seinen Privaträumen noch einen Kamm und einen Spiegel. Man konnte ja nie wissen…
Dann rannte er in den Stall. Persia musste gesattelt werden und es blieben nur noch wenige Minuten bis zum Aufbruch. Er hätte doch früher anfangen sollen mit dem Packen.
Das Sattelzeug von Persia war - wie das aller königlichen Reitpferde - sehr prachtvoll. Die Trense mit goldenen Beschlägen, der Sattel ebenso. Außerdem war der Sattel mit rotem Samt überzogen, welcher mit goldenen Stickereien verziert war. Die Decke war ebenfalls aus mit Gold besticktem rotem Samt gefertigt.
Rasch sattelte er Persia und befestigte die Satteltaschen am Sattel. Die Tasche mit dem Hafer kam hinter den Sattel. Dort würde sie nicht stören beim Reiten.
Dann schwang er sich in den Sattel, richtete seine Kleidung und ritt aus dem Stall. Sylvia wartete bereits und sprach mit einem Reiter oder einer Reiterin, die auf einem schwarzen Pferd saß, welches ebenfalls mit Taschen beladen war.
,,Ah, da seit Ihr ja endlich.”, sagte Sylvia und wandte den Blick zu ihm. ,,Ich würde Euch gern Eure Partnerin vorstellen: Prinz Leonardo, dass ist Aruna. Aruna, dass ist Prinz Leonardo.”
Leonardo ließ Persia entsetzt einige Schritte zurückweichen, als die Reiterin ihren Blick auf ihn richtete. Er erstarrte augenblicklich. Vor ihm thronte Vagabund auf ihrem Rapphengst. Vor ihm war die Frau, die er vor kurzem noch durch die Sandfelsen verfolgt hatte. Die Gesetzesbrecherin, die reiten und kämpfen konnte.
,,Das soll meine Partnerin sein!?”, rief er so laut, dass Persia verschreckt die Ohren anlegte und schnaubte. ,,Niemals!”

*****

,,Das soll mein Partner sein!?”, rief sie im gleichen Moment und im gleichen Rhythmus wie dieser Prinz Leonardo. ,,Niemals!”
Dieser Mann war der, der sie so unbedingt vor den König schleifen wollte. Der sie durch die Wüste gejagt hatte. Der sie gefangen hatte. Den sie über alles hasste.
Die Königin jedoch lachte nur. ,,Seht an, seht an!”, rief sie. ,,Ihr sprecht im selben Rhythmus, zu selben Zeit und bis auf einen winzigen Unterschied sogar das Gleiche. Ihr werdet gut zusammen passen und ein gutes Team für diese Mission abgeben, ich wusste es.”
,,Aber Königin…”, fing Aruna an, brach jedoch abrupt ab, als sie die Stimme des Prinzen hörte, der im selben Augenblick zu ,,Aber Sylvia…” ansetzte. Plötzlich war wieder alles still.
,,Ich sagte doch, dass ihr beide gut zusammen passt. Ihr seit von Anfang an einer Meinung.”, meinte sie lachend. ,,Also dann, ich wünsche Euch, Aruna, und Euch, Leonardo, eine gute Reise.” Sie reichte dem Prinzen eine Karte und einen Kompass. ,,Viel Spaß auf dem Weg nach Goldan und bergt das Licht, bevor es in falsche Hände fällt.” Dann zog sie sich zurück und verschwand mit stolzen Schritten und wehenden Röcken im Palast.
,,So.”, machte der Prinz. ,,Ich bin Leonardo. Freut mich, Euch kennen zu lernen, Alina. Na ja, nicht wirklich.” - ,,Mich freut es ebenso wenig, aber ich habe wohl keine Wahl.”, erwiderte Aruna. ,,Ach ja, und noch was: Mein Name ist Aruna, nicht Alina.”
Doch den Prinzen - Leonardo - wie er angeboten hatte, schien das nicht wirklich zu interessieren. ,,Auf nach Goldan.”, sagte er. ,,Und dass Ihr mir ja nicht im Weg steht.”
Aruna schnaubte verächtlich. ,,Das hier ist ja wohl mein Auftrag!”, fauchte sie. ,,Ihr seit lediglich mein Gehilfe, also achtet darauf, dass Ihr mit nicht im Weg steht!” - ,,Was soll das heißen, ich sei Euer Gehilfe? Ihr seid meine Gehilfin, also müsst Ihr Euch unterordnen. Ich bin schließlich nicht nur der Ältere, sondern auch der Ranghöhere!”, fauchte Leonardo.
Na, das kann ja heiter werden, schoss es Aruna durch den Kopf. Noch keinen Meter geritten und schon fängt er an, sie wie der Herr über alle zu benehmen!
,,Denkt doch, was Ihr wollt!”, zischte Aruna. ,,Ich brauche Eure Hilfe nicht!” - ,,Ich Eure auch nicht, aber Ihr wisst nicht, wo Goldan liegt.”, antwortete Leonardo und hob die Karte. ,,Das weiß nämlich nur ich.”
,,Ja klar!”, spottete Aruna. ,,Ihr habt die Karte als Ersatz für Euer Hirn bekommen, aber ich brauche keine Karte. Ich komme ganz gut ohne solche Lasten zurecht!”
Dann trabte sie an. Leonardo ebenso. Aruna warf ihm einen bösen Blick zu. ,,Wehe, wenn Ihr mich behindern wollt!” Leonardo kniff die Augen zusammen. ,,Ihr wagt es, dem Kronprinzen von Silaeta zu drohen!?”
Dann schwiegen beide Seiten. Aruna bemerkte, wie Leonardo immer wieder versuchte, eine Nasenlänge vor ihr zu reiten. Wahrscheinlich fühlte er sich dann, als würde er de Ton angeben. Aber er konnte das ruhig tun. Wenn er sein Pferd zu Tode gehetzt hatte, würde er wenigstens nicht mehr versuchen, sie herum zu kommandieren. Nur das arme Pferd, ebenfalls ein Hengst, tat ihr leid.
Aruna beschloss, dass sie dem Prinzen nicht helfen würde, sollte er durch seinen Stolz in irgendwelche Hinterhalte geraten. Er war einfach nur dumm. Zu dumm für sie. Was hatte sich die Königin bloß dabei gedacht, ihn als Begleiter auszuwählen?
Aruna schüttelte den Kopf. Dann blickte sie nach oben, wo sie in einiger Entfernung einen Vogel kreisen sah. Altair. Er würde sie nach Goldan bringen. Wozu sollte sie also eine Karte brauchen, wenn sie Altair hatte?
Vielleicht war es besser, den Prinzen, Leonardo, einfach zu ignorieren. Sollte dieser verwöhnte Schnösel doch sehen, wie weit er ohne ein denkendes Hirn kam. Herumkommandieren konnte er andere, aber sie nicht, das stand fest.
,,He, wo bleibt Ihr denn, Alina?”, schimpfte er. Doch Aruna schüttete nur denn Kopf und ignorierte den Prinzen. ,,He, antwortet gefälligst!”
,,Wozu?”, erwiderte Aruna. ,,Ich bin nicht Alina und da Ihr so blöd seid und das nicht verstehen könnt, seht doch zu, wie der Pfeffer wächst, während ich das Licht berge und Rabanus’ Männer besiege! Ihr seid einfach nur vorlaut und vor allem arrogant!”
,,Ich sei arrogant?”, meckerte er. ,,Wisst Ihr überhaupt, wer ich bin? Ich bin Prinz Leonardo von Silaeta, Sohn des Königs Arodos von Silaeta. Mein Großvater war…”
,,Nun hört schon auf, solchen Mist interessiert doch keinen!”, unterbrach Aruna ihn verärgert. ,,Wichtig ist nicht, wer Eure Vorfahren waren und was sie getan haben, sondern das, was Ihr seid und was Ihr tut!”
,,Zickiges, naives, dummes Weib! Geh Wäsche waschen, wie Weiber wie Ihr es tun solltet, statt irgendwo Gesetze zu brechen und auf Pferden durch die Welt reiten!”, fauchte Leonardo.
,,Und Ihr verzieht Euch wieder in Euer goldenes Zimmer und glotzt Euch im Spiegel Eure Larve an, damit Ihr ja intelligenter ausseht, wenn Ihr König werdet, als Ihr es je sein werdet!”
,,Schweigt jetzt, Waschweib!”, sagte er, doch Aruna überhörte es. ,,Schweigt doch selbst, Dummschwätzer!”, entgegnete sie und ließ Orlando wieder zurück fallen.
Das sollte also ihr Partner sein, mit dem sie Silaeta retten sollte? Oh je, warum hatte sie dieses Versprechen bloß gegeben? Es gab kein Zurück mehr, dass wusste sie, aber warum hätte die Königin sie nicht vorwarnen können, wer ihr Partner sein würde? Der Prinz war jedoch viel mehr eine Plage als eine Hilfe, geschweige denn ein Partner!

*****

,,Mein Herr!”, erklang die leise Stimme hinter ihm. ,,Mein Herr!” Rabanus drehte sich um und blickte in das Gesicht von Paragon. ,,Ich möchte gut machen, was ich getan habe, als ich Eure Gesetze in Frage stellte.”, erklärte er.
,,Und?”, hakte Rabanus nach. Er mochte lange Vorreden nicht. Gespräche, die zu viel Geschwafel beinhalteten, waren selten von großem Nutzen geschweige denn von Wichtigkeit.
,,Mein Herr, ich habe etwas belauscht.”, sagte Paragon. Rabanus zog die Augen hoch. ,,Und?” So langsam wurde er ungeduldig.
,,Ich habe gehört, dass es ein besonderes ,,Licht” gibt. Diese Bezeichnung steht für die sagenumwobene ,,Phiole des Lichts”. Sie existiert wirklich.”, erklärte Paragon aufgeregt.
,,Natürlich existiert die Phiole des Lichts, Paragon. Nur weiß niemand, wo sie ist.”, erklärte Rabanus sichtlich unbeeindruckt. Doch Paragon schien sich mit der Antwort noch immer nicht zufrieden geben zu wollen.
,,Ich weiß, wo sie ist. Ich habe die Königin belauscht.”, meine Paragon. Rabanus hielt in der Bewegung inne. ,,Sylvia weiß, wo die Phiole des Lichts ist?”, unterbrach er seinen Diener.
Paragon nickte aufgeregt. ,,Sie sagte, die Phiole sein im “Großen Tempel”.”, erzählte er. ,,Sie meint offenbar den Großen Tempel in Vajae, mein Herr.”
Rabanus begann fies zu grinsen und ging dann in ein lautes Lachen gegenüber. ,,Das ist perfekt! Das ist perfekt! Ich dachte, ich müsste noch ewig danach suchen! Aber dank Sylvia hat sich alles nur noch beschleunigt!”, rief er. ,,Paragon, schickt sofort Marek und Brando zu mir!”
Der Diener rannte davon und Rabanus rieb sich vorfreuend die Hände. ,,Bald ist sie mein, die Krone von Silaeta. Arodos’ Zeit ist abgelaufen!”
,,Mein Herr!” Rabanus drehte sich um, als er Brandos Stimme hatte. ,,Da seit Ihr ja endlich, Brando.”, murrte Rabanus. ,,Gut, dass ihr so schnell kommen konntet, Marek.”
,,Stets zu Diensten, mein Herr.” Marek machte eine kurze Verbeugung. Rabanus ignorierte es, obwohl er sich innerlich geehrt fühlte. ,,Marek, Ihr stellt mir ein kleines Herr aus meinen besten Kriegern zusammen. Ungefähr hundert Mann stark. Brando, Ihr helft ihm!”, befahl er. ,,Und Paragon, Ihr haltet Sylvia im Blick! Vielleicht verlassen noch ein paar interessante Worte ihren schönen Mund!” Wieder grinste er vor lauter Vorfreude auf seinen nahestehenden Triumph.
,,He, Bursche!”, rief er nach einem der Stalljungen. ,,Macht sofort mein Pferd fertig!” - ,,Ja, Herr.”, murmelte der Junge verängstigt und eilte davon. ,,Bald ist die Krone mein!”
In weniger als einem halben Tag war alles für den Aufbruch nach Vajae vorbereitet und das Herr - seine Leibgarde - aufgestellt. Nur die besten der besten seiner Krieger hatte er aufgenommen, damit er sich in völliger Sicherheit durch Silaeta bewegen konnte.
Rabanus schwang sich in den Sattel seines Pferdes und stieß ihm die Sporen in die Seiten. Der dunkelbraune Hengst legte die Ohren an und buckelte. Doch Rabanus konnte sich halten und ließ die Peitsche auf das Hinterteil des Pferdes knallen. ,,Vorwärts, hab ich gesagt!”
Das Pferd riss den Kopf hoch, um der harten Hand auszuweichen, doch wieder und wieder rammte Rabanus die Sporen in seine Flanken, so dass es schließlich nachgab. Seine Handlanger Brando, Marek und Paragon bildeten ein Dreieck um ihn herum, die Leibgarde deckte alle Seiten rund um die Gruppe ab.
Auf dem ersten Blick, so musste Rabanus feststellen, konnte man ihn vor lauter Reitern nicht entdecken. Das konnte nur ein Vorteil für ihn sein.
Die Gruppe bewegte sich hinaus in die Wüste mit Kurs auf die Weiße Stadt. Mit viel Glück und ohne Sandsturm würden sie schon am in zwei Tagen ankommen.
,,In einer Woche bin ich vielleicht schon König von Silaeta.”, dachte Rabanus hocherfreut. ,,Zuallererst werde ich die Piraten dazu zwingen, mir die Karte vom Rest der Welt zu geben, dann werde ich hinaussegeln und die Welt erobern. Und dann bin ich alleiniger König der ganzen Welt! Verneigt Euch vor König Rabanus!”
Er lachte in sich hinein. Endlich hatte er die Chance, sich an Sylvia zu rächen. Die schöne Königin würde dann begreifen, dass er der bessere Mann für sie gewesen wäre. Das er um Längen besser gewesen wäre, als dieser Nichtsnutz von Philitis.
Aber sie konnte nicht zurück, egal um welchen Preis, denn dann wäre er König und sie nur eine nichtsnutzige Frau. Vielleicht seine Putzfrau. Rabanus stellte sie sich in schmutziger Kleidung statt edlen Kleidern vor und müsste lachen. Ja, das würde gut passen.
,,Schneller, Männer! Wenn ihr so weiter dahin schlendert, dann kommen wir nie in Vajae an.”, rief Rabanus, als er bemerkte, dass die Leibgarde und damit auch die gesamte Gruppe immer langsamer wurde. Er hasste es, wenn jemand absichtlich Zeit zu schinden versuchte.
Die Pferde trabten an, doch schon bald parierte einer der Männer wieder zum Schritt durch. ,,Mein Herr, mein Pferd braucht eine Pause. Es ist zu warm. Mein Pferd braucht Wasser, und ich ebenso. Wir haben seit vier Stunden keinen einzigen Halt gemacht.”
,,Euer Pferd ist also müde und braucht Wasser? Ihr ebenfalls?”, fragte Rabanus. Der Krieger nickte vorsichtig. ,,Ja, so ist es, mein Herr.”
,,Dann macht Pause.”, erklärte Rabanus. ,,Die anderen nicht! Wir reiten weiter! Soll er doch sehen, wie er allein zurecht kommt.”

*****

Dieses Weib an seiner Seite ging ihm langsam, aber sicher, auf den Nerv. Ständig widersetze sie sich seinen Befehlen, stand ihm Weg rum. Warum konnte dieses Weib nicht akzeptieren, dass er als Kronprinz nun mal das Sagen hatte?
,,Ein Sandsturm naht.”, erklang Vagabunds Stimme hinter ihm. Aus Stolz musste Persia immer eine Nasenlänge vor diesem Rappen sein. Er gab den Ton an, und das zeigte er dieser Frau auch so oft es nur ging.
,,Ein Sandsturm?”, murrte er. ,,Was soll der Blödsinn? Hier zieht in den nächsten Jahren kein Sandsturm auf, spürt Ihr nicht, dass es windstill ist?”
,,Windstill oder nicht, es Sandsturm naht.”, warf sie ein. Leonardo biss sich auf die Lippen. ,,Ich will Euer dummes Weibergeschwafel nicht mehr hören, also schweigt.”
,,Ach ja, und die Nacht bricht bald herein.”, fügte Vagabund noch hinzu. Leonardo fauchte. ,,Ich will Euere verdammte Stimme nicht mehr hören! Glaubt Ihr nicht, dass ich nicht selbst wüsste, dass die Nacht hereinbricht?”
,,Ich wollte es Euch nur mitteilen, aber wie Ihr wünscht, Prinz…” Sie spukte auf den Boden. ,,Dann bleib ich eben allein in der sicheren Höhle. Kein Sandsturm wird mich überraschen. Erst recht nicht nachts, wo Sandstürme besonders gefährlich sind.”
Leonardo bemerkte, dass sie abgestiegen war und in eine der Höhlen lief. Der Eingang war gerade so hoch, dass ihr Pferd mit gesenktem Kopf hindurch passte. ,,Umso besser, dann bin ich sie und ihre neunmalklugen Hinweise endlich los.”, dachte er, als er einen heftigen Windstoß verspürte, der Persias lange Mähne aufrecht stehen ließ.
,,Der Sturm!”, schoss es ihm durch den Kopf. Offenbar hatte dieses Weib tatsächlich recht gehabt, wie auch immer sie das wissen konnte. Leonardo sprang von Persias Sattel ab und führte den Hengst in Richtung Höhleneingang.
,,Ah, seht an, seht an, der Prinz meint, dass ein Sturm aufkommt.”, machte Vagabund, die den Rappen bereits abgesattelt hatte. Der Boden der Höhle war, wie fast alle Höhlenböden, sandig, warm und weich.
,,Eins zu null für sie.”, zischte er innerlich und begann, Persia abzusatteln. ,,Moment, Prinz!”, unterbrach Vagabund ihn. ,,Das hier ist meine Höhle! Ihr könnt hier nicht schlafen, oder wollt Ihr wirklich mit mir einen Schlafplatz teilen?”
,,Haltet Euren Mund. Seht Ihr nicht selbst, dass draußen ein Sturm ist? Ich muss hier schlafen, auch wenn es Euch nicht gefällt. Aber nur, damit Ihr es wisst: Mit gefällt es auch nicht!”, rief er und legte sich schlafen, den Kopf von ihr weggedreht.
Offenbar hatte Vagabund das gleiche getan, sonst hätte er sicher einen sanften Hauch von Atem in seinem Rücken verspürt, schließlich hatte er sein Hemd ausgezogen. Es machte ihm nichts aus, obwohl er seinen Oberkörper immer verborgen hielt. Aber Vagabund würde ihn nicht ansehen. Dass wusste er nur zu genau.
Mitten in der Nacht weckte irgendetwas ihn, doch er konnte nicht sagen, was es war. Die Pferde schliefen, Vagabund wahrscheinlich auch. Der Eingang der Höhle war dem Wind abgeneigt, so dass nur wenig Sand hineingeweht worden war.
Leonardo versuchte, wieder zu schlafen, doch er bekam kein Auge zu. Sein Blick fiel schließlich auf die Frau - Aruna. Sie trug Reithosen und Stiefel, die seinen gar nicht so unähnlich waren, wenn man von der Farbe absah. Ihre Hosen und Stiefel waren dunkelbraun, seine schwarz.
Außerdem trug sie ein vom Sand staubiges, ehemals weißes Hemd, das ebenfalls dem seinen ein wenig ähnelte. Die gleichen weiten Ärmel, ebenfalls mit einer Kordel wurde der Ausschnitt zusammen gehalten.
Das Hemd verhüllte ihren offenbar schönen Oberkörper, versteckte ihre weiblichen Kurven. Er sah sie eine Weile an. Das rotblonde Haar lag wie ein Fächer ausgebreitet auf dem sandigem Boden. Erst jetzt bemerkte er, wie schön sie eigentlich war. Und wie friedlich sie schlief. Wie ein Engel.
Dann fiel Leonardo auf, dass er noch nie einer Frau wie ihr begegnet war: Stark, klug, mutig, furchtlos und sie konnte Reiten wie es nur die besten der Krieger konnten. Und dazu war sie noch mit der Schönheit einer Göttin gesegnet worden.
Er hatte all das auf dem ersten Blick nicht erkannt. Sie blickte kurz zu ihren Füßen, die in den Stiefeln ruhten. Daneben lagen ihr Mantel, ihre Waffen und das Sattelzeug des schwarzen Hengstes.
Wieder sah er sie an. Sie lag von ihm abgewandt, was nicht verwunderlich war. Er hätte sie mit mehr Respekt behandeln sollen, wurde ihm klar.
Eine unbekannte Sehnsucht füllte plötzlich sein gesamtes Herz aus. Er wollte sie berühren. Sein Herz raste, als er zu ihr rutschte. Vorsichtig strich er ihr über die Wange.
Dann legte er sich so nah wie möglich an sie und umschlang ihre Taille. ,,Aruna.”, flüsterte er, als sie sich in seinen Armen regte. Der Drang, sie zu fühlen, wurde mit jedem Herzschlag größer.
Schließlich gab Leonardo nach und schob eine Hand unter ihr Hemd. Sie trug nichts, aber auch gar nichts darunter. Ihre Haut war warm und weich. Er streichelte ihren Körper und ließ die Hand langsam nach oben wandern. Wieder regte sie sich.
Leidenschaft von unbegrenztem Ausmaß rauschte mit einem Mal durch seinen Körper. Jedoch nahm er seine Hand wieder zurück und umschlag dann wieder mit seinen kräftigen Armen schützend ihre zarte Taille.
Plötzlich setzte sein Verstand einen Augenblick aus und nur sein Herz herrschte noch über ihn. Ganz vorsichtig küsste er ihren Nacken, nachdem er die Haare beiseite geschoben hatte.
Auf einmal war es sein größter Wunsch, diese Frau sein Eigen nennen zu wollen. Er wollte sie erobern, doch er hielt sich eisern zurück. Sie hasste ihn noch immer, dass wusste er. So sehr er sich auch nach ihr sehnte, er durfte sie jetzt nicht verführen, geschweige denn, sie zu seinem Eigen machen. Nicht während sie schlief.
Er sah sie wieder an und wusste, dass er gerade einen schweren Fehler begangen hatte. Er hatte nicht um Erlaubnis gefragt, sondern gegen ihren Willen behandelt. Und er wusste nur zu genau, dass sie ihn mehr als alles auf der Welt hasste.
Und die Schuld an allem trug er ganz allein und jetzt hatte er also noch mehr Schande über sie gebracht, nur um seine ungewohnten Bedürfnisse befriedigen zu wollen. Was glaubte er eigentlich, was Aruna war? Seine persönliche Hure!?
Immerhin war sie zuerst in der Höhle. Er sollte von Glück reden können, statt sie sich zu Eigen machen zu wollen. Er hätte einfach nur die Wand anstarren sollen! Es war ein großer Fehler gewesen, sie zu berühren, geschweige denn, ihren Nacken zu küssen, denn schon jetzt hungerte er begierig nach mehr von ihr.
Und trotz dieses Wissens ließ er nicht von ihr ab. Im Gegenteil, er zog sie sogar noch näher an seinen Körper und vergrub sein Gesicht in ihrem weichen, aufgefächertem Haar. Auf eine exotische Art roch sie unheimlich gut.
Das sein Oberkörper frei war und ihr sein Geheimnis aus dem Silbertablett serviert werden würde, daran dachte er nicht mehr. Er war viel zu abgelenkt von ihr.

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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDo Mai 12, 2011 6:16 pm

Zwei starke Arme, die sie umschlagen und festhielten. Ein muskulöser, männlicher Körper in ihrem Rücken. Aruna hatte sich noch nie irgendwo so geboren gefühlt wie in diesen Armen in diesem Moment. Sie konnte den Herzschlag des Mannes spüren, ebenso wie den samtigen Hauch seines Atems in ihrem Nacken.
Doch leider war alles nur ein Traum. Eine Sehnsucht, die sie schon ihr gesamtes Leben unterdrückt hatte. Aber wenn sie träumte, konnte sie diese Sehnsucht nicht länger bändigen. Sie brach aus ihr heraus und Vergessen oder Ignorieren wurden zu unmöglichen Tätigkeiten.
Diesmal jedoch fühlte es sich realer an. Und tausend Mal besser als je zuvor. Sie schmiegte sich näher an den Mann in ihrem Rücken, der sie mit seinen starken Armen weiter an sich zog. Er war warm und es fühlte sich unheimlich gut an, als seine Hand ihre Taille streichelte.
Wärme strömte ihr entgegen. In ihrem tiefsten Unterbewusstsein hoffe sie, dass dieser Mann, wer immer es auch sein mochte, ihr augenblicklich die ewige Liebe schwören und sie danach innig küssen würde.
Doch es geschah nicht. Stattdessen wachte sie auf - doch die vertraute Nähe des Mannes aus ihrem Traum blieb. Sie befreite sich aus den kräftigen Armen und drehte sich um - und blickte genau dem Mann ins Gesicht.
Prinz Leonardo. Ihr arroganter, selbstsüchtiger Gefährte, der sie immer herumkommandieren musste, bloß weil er ja der Kronprinz war!
Hass stieg in ihr auf. Wie konnte der es bloß wagen, sie auch nur anzurühren!? Schon allein dieser verdammte Blick, der auf ihr ruhte, sollte verboten sein!
,,Ich bitte um Ver…”, fing er an, doch Aruna ließ ihre Hand mit aller Kraft auf seine Wange niederfahren. Sofort errötete die handtellergroße Stelle. Sie hatte so eben tatsächlich den Kronprinzen Silaetas geschlagen, wurde ihr auf einmal klar, doch sie ignorierte diesen Gedanken ebenso sehr wie jenen, dass sie immer noch instinktiv wollte, dass er sie küsste. Und dass sie sich vorhin in seinen Armen und halb im Schlaf am sichersten gefühlt hatte.
Aber dieser Mann hatte ihre Ehre beschmutzt! Er hatte sie einfach zu einen eigenen Befriedigung benutzt. Arroganter Egoist!
Erst jetzt bemerkte sie, dass er nur Hosen, Gürtel und Stiefel trug. Sein Hemd, sein Mantel und die Waffen lagen auf einem Häufchen neben dem Sattelzeug seines Pferdes.
Für einen Augenblick vernebelte ihr das, was sie sah, all ihre Gedanken. Sein freier, unbekleideter Oberkörper bestand nur aus harten, beeindruckenden Muskeln und war verziert mit silbernen, verschlungenen Tattoos, die ihn als Prinzen von Silaeta kennzeichneten. Sie waren wunderschön und atemberaubend. Ein silbernes Band, das sich von der linken Schulter aus zuerst über Nacken, dann schräg über den Rücken, die rechte Schulter und den rechten Arm bis hin zu rechten Hüfte und von dort in Richtung Bauch legte und in den Hosenbund mündete. Der rechte Arm war fast komplett mit diesen Mustern bedeckt, ebenso wie seine Brust.
Aruna hatte noch nie so etwas gesehen, denn alle Prinzen schützen ihre Tattoos stets vor neugierigen Blicken und die volle Schönheit dieser durfte nur die Geliebte des Prinzen sehen. Aber der Prinz - Leonardo - zeigte ihr die seinen jetzt ohne jede Scheu.
Plötzlich sehnte sie sich danach, diese königlichen Runen auf seinem Oberkörper zu berühren, doch sie widerstand dem Drang. Er war einfach unheimlich schön. Zweifelsohne der schönste Mann in ganz Silaeta.
,,Nein!”, strafte Aruna sich in Gedanken. ,,Schönheit trügt. Dieser Mann ist ein egoistischer, selbstverliebter und arroganter Angeber, der mich mit seiner Schönheit beeindrucken will, damit er mich nach dieser Mission bei ihm bleibe und er mich in sein Bett zerren könnte!”
Noch während sie dies dachte, keimte der Wunsch in ihr auf, dass sie es vielleicht sogar freiwillig wollen würde. Dass es vielleicht wundervoll mit ihm in einem Bett wäre.
Rasch wandte sie den Blick von seinem unheimlich anziehendem Oberkörper ab. Diese Gedanken konnte sie jetzt einfach nicht gebrauchen, so einfach war das.
,,Ich weiß, dass Ihr mich vermutlich noch mehr hasst, als Ihr es vorher bereits getan habt, aber ich habe darüber nachgedacht, dass es besser wäre, wenn wir Waffenstillstand beschließen würden. Sylvia ist eine kluge Frau. Sie hat uns auserwählt, diese Aufgabe mit Erfolg zu meistern, aber dass werden wir nicht schaffen, wenn wir uns gegenseitig bekämpfen - egal mit welchen Mitteln.”, sagte der Prinz mit ruhiger Stimme. ,,Nehmt Ihr das Angebot an, Aruna?”
Ihr fiel auf, dass er ihren Namen besonders betonte. Konnte sie diesem Mann wirklich vertrauen und mit ihm zusammen arbeiten?
Entschlossen ergriff sie die Hand, die er ihr entgegen gestreckt hatte. ,,Einverstanden, Leonardo.”, erwiderte sie. Vielleicht war die Nutzen der Namen ohne Titel oder irgendwelche Bezeichnungen ein guter Anfang, um Vertrauen und Zusammenarbeit aufzubauen.
Auf einmal verstand Aruna, dass das vielleicht genau das war, was Königin Sylvia ihnen zu lehren versuchen wollte: Akzeptanz und Respekt dem Gegenüber, egal, ob es ein Königlicher oder ein Bürgerlicher war. Egal, welche Ansichten sie vertraten.
Leonardo hatte also recht gehabt. Königin Sylvia war tatsächlich eine äußerst kluge Frau, von der sie möglicherweise noch sehr viel lernen könnte. Und vielleicht könnte sie aus dem Waffenstillstand mit Leonardo bald einen Frieden machen. Von Nutzen würde es bestimmt sein.

*****

Die Weiße Stadt leuchtete in Mittagssonne auf. Die Weißen Mauern strahlten ihm erwartungsvoll entgegen. ,,Mein wirst du sein, kleine Stadt. Mein, so wie alles andere in Silaeta.”, dachte er zufrieden innerlich lächelnd.
Vorfreude überkam ihn, als er wieder einmal realisierte, wie nah er seinem Ziel schon war. ,,Bald bin ich der König von Silaeta!”, dachte er hocherfreut. ,,Und dann werde ich König der ganzen Welt und alle werden sich vor mir verneigen!”
,,Mein Herr.”, sprach Marek ihn an und unterbrach seinen glorreichen Gedanken. ,,Wie plant Ihr vorzugehen, um die Phiole des Lichts zu finden?”
,,Ganz einfach, Marek.”, erwiderte Rabanus selbstbewusst. ,,Ihr, Brando und Paragon werdet mit ein paar Männern an Eurer Seite jeweils einen Teil der Stadt nach dem Großen Tempel durchforsten. Wer von Euch dreien mir zuerst das Licht bringt, den werde ich zum zweiten Heerführer nach mir ernennen.”
Marek lachte kurz auf. ,,Verzeihet meine Frage, gütigster Herr, aber was werdet Ihr während des Aufenthaltes in Vajae tun?”, begann er, doch Rabanus unterbrach ihn. ,,Das geht Euch überhaupt nichts an!”
,,Verzeihet, mein Herr, vielleicht habe ich die Frage auch falsch formuliert.”, korrigierte sich Marek blitzschnell. ,,Ich wollte lediglich wissen, wo ich nach Euch suchen muss, wenn ich die Phiole gefunden habe.”
,,Ah, verstehe.”, machte Rabanus dann überrascht. ,,Dann sage ich mal, dass ich in der Nähe des Rathauses sein werde.”
Die kleine Armee stoppte plötzlich und Rabanus sah auf. ,,Was ist denn los? Warum reitet Ihr nicht weiter!?”, rief er. Dann bemerkte er eine Gruppe von Männern - Wachen.
,,Lasst mich durch, ich regele das.”, schrie er und die Krieger bildeten eine Gasse, damit er hindurch reiten konnte. Sein Dunkelbrauner warf den Kopf hoch und trat verstört ein paar Schritte zurück. Als Antwort rammte Rabanus ihm sofort die Sporen in die Flanken.
,,Wer seit Ihr, Fremder?”, fragte einer der Wachposten. ,,Und was wollt Ihr?” - ,,Verzeiht, werte Herren, dass mein Besuch etwas überraschend kam. “, sagte Rabanus, während er versuchte, sein Pferd still stehen zu lassen. ,,Mein Name ist Rabanus und ich bin der Berater seiner Majestät König Arodos von Silaeta.
,,Und was schickt Euch nach Vajae, Berater Rabanus?”, fragte der andere Wachposten. Rabanus verzog keine Miene. ,,Meine Herren, der König hat mir verboten, mit irgendjemand über meine Aufgaben zu plaudern. Ich bitte nur um Einlass, weiter nichts.”, erwiderte er.
,,Wer sind diese Krieger?”, fragte ein anderer der Wächter. Rabanus nickte. ,,Meine Leibgarde. Ich bin ein wichtiger Mann mit Macht, deshalb habe ich Angst, allein oder mit wenig Männern zu reisen.”, erklärte er.
Die Wachposten nickten. ,,Willkommen in Vajae, Berater Rabanus.”, sagte einer. ,,Es ist uns eine Ehre, den königlichen Berater seiner Majestät in unseren Mauern zu wissen.”
,,Wenn Ihr meine wahren Absichten kennen würdet, würdet Ihr das nicht sagen.”, dachte Rabanus und lachte innerlich leise auf. Niemand würde mit seinen Plänen rechnen. Deshalb waren seine Pläne ja so genial!
Die Armee ritt durch die Stadttore von Vajae. Paragon, Brando und Marek bekamen gleich große Gruppen, mit denen sie nach der Phiole suchen sollten und Rabanus wiederholte, dass der, der ihm zuerst das Licht bringen würde, zum zweiten Heerführer ernannt werden würde.
Bald darauf verschwanden die Krieger und Rabanus blieb allein zurück. Er hatte noch eine wichtige Angelegenheit zu erledigen, und das war Spionage. Er musste unbedingt wissen, was man über ihn, den König und die Auflösung der Asfaloth dachte.
Rabanus stieg ab und drückte die Zügel seines Pferdes in die Hand eines Stallburschen. ,,Dass Ihr mir ja gut auf mein Pferd Acht gebt!”, rief er ihm zornig hinterher, um dem Jungen Angst zu machen. ,,Es ist sehr wertvoll!”
Nun, dass war es genau genommen nicht. Es war einfach nur ein Ding, welches er momentan in seinem Besitz hatte, bis er ein neues Pferd gefunden hatte. Dieser Hengst war ihm sowieso zu nervös und benahm sich im Gegensatz zu all den anderen Pferden immer daneben.
Rabanus lief in Richtung Marktplatz. Dort waren immer viele Menschen unterwegs, besonders wenn Markttag war wie an diesem Tag. Viele Menschen, die sich viel erzählten und vor allem auch tratschten über alle möglichen Dinge, die am Hofe in Juan passierten.
Doch die ersten Dinge, die ihm zu Ohren kamen, interessierten ihn herzlich wenig. Allgemeines Gequake über Familie, Liebeleien und Krankheiten. Langweilig und außerdem auch noch völlig nebensächlich.
,,Es ist eine Frechheit, die Asfalothen …” Rabanus hielt in der Bewegung inne und lauschte. ,,Sie waren immer dem König treu zur Seite und als Dank löst er einfach ihren Orden auf!” - ,,Aber wenn er doch nun mal Krieger braucht, die für ihn am der Front kämpfen…” - ,,Als Kanonenfutter! Ich glaube, dass alles ist eine böse Intrige…”
Die Stimmen wurden leiser und leiser und bald darauf waren sie verschwunden, doch Rabanus hatte die Sprecher nicht gesehen und konnte ihnen deshalb auch nicht folgen. ,,Verdammt!”, zischte er sich selbst zu. ,,Verdammt! Ich muss wissen, ob und was man über mich redet!”
Rabanus lief kreuz und quer über den Markt, doch niemand sprach über die kürzlich sich ereigneten Dinge am Hofe von Juan. Ein gutes Zeichen? Ein schlechtes Zeichen? Er wusste nicht, ob die Menschen tatsächlich über ihn sprachen oder an eine Intrige glaubten, oder nicht, und dass machte ihm ein wenig Angst.
,,Mein Herr!”, hörte Rabanus die Stimme von Brando. ,,Mein Herr!” - ,,Brando, Ihr habt die Phiole also gefunden?”, fragte Rabanus überrascht. Brando jedoch schüttelte den Kopf. ,,Und warum kommt Ihr dann zu mir, Brando?”
,,Mein Herr, ich habe das Licht nicht gefunden, doch ich habe herausgefunden, wo es ist.”, erklärte Brando rasch. Rabanus sah ihn völlig verwirrt an. ,,Dann bringt mich dorthin.”, forderte er schließlich ungeduldig.
,,Das … Das ist nicht so … einfach … mein Herr …”, stammelte Brando. ,,Das Licht ist im Großen Tempel des Wächters … in Goldan.” Rabanus zog die Augenbrauen hoch. ,,In Goldan?”, hakte er nach und Brando nickte.
,,Seid Ihr Euch auch wirklich sicher?”, fragte Rabanus. Wieder nickte Brando. ,,Ja, alles deutet darauf hin. Die Phiole des Lichts ist in Goldan.”
Rabanus fauchte. Dieser Paragon hatte ihn belogen. ,,Ruft sofort die anderen zusammen! Wir müssen augenblicklich aufbrechen - nach Goldan! Paragons Truppe wird hier blieben und für mich die Bürger von Vajae ausspionieren.”

*****

,,Der Verräter ist zum Licht aufgebrochen.”, las sie wieder und wieder. Dieser eine Satz, der so viel aussagte, konnte das Schicksal von Silaeta bestimmen. ,,Der Verräter ist zum Licht aufgebrochen.”, las sie wieder. Und dann noch einmal.
Dieser Satz, auf ein Fetzen Papier geschrieben, hatte eine Spionin ihr zukommen lassen, die Rabanus beschattete, ihn aber verloren hatte, als dieser aus der Stadt mit hundert bewaffneten Kriegern geritten war.
Sylvia fluchte leise. Woher wusste Rabanus, wo die Phiole des Lichts war? Sie hatte nie jemand anderem, außer Aruna und Leonardo, den genauen Ort genannt. Wie hatte es Rabanus also herausfinden können?
Sylvia ließ sich Feder, Tinte und Papier bringen, bevor sie sich in ihre unterirdischen Gemächer zurückzog, um einen Brief an Aruna und Leonardo zu schreiben. Sie mussten umgehend von dieser neuen, viel zu früh eingetroffenen Situation in Kenntnis gesetzt werden.
,,Meine Freunde.”, schrieb sie. ,,Er ist auf dem Weg zum Licht. Bitte beeilt euch, seid stets auf der Hut und antwortet mir nicht.” Dann faltete sie den Umschlag, warf die Feder achtlos beiseite und schloss das Tintenglas.
Sylvia steckte den Zettel in ihr Gewand und verließ dann den Raum wieder, wobei sie darauf achtete, dass niemand sie beobachtete oder ihr folgte. So schlich sie sich durch den halben Palast bis in den kleinen Rosengarten, den Arodos ihr damals bei ihrer Verlobung geschenkt hatte.
Niemand kam dort hin, außer ein paar Dienerinnen, die in den frühen Morgenstunden sich um die Rosen kümmerten. Momentan war dort niemand.
Sylvia zog sich den Handschuh über, den sie immer bei sich trug, seit sie Altair das letzte Mal gesehen hatte. Sie hoffte, dass er noch in der Gegend war. ,,Altair!”, rief sie. ,,Altair! Ich brauche dringend Hilfe!”
Doch am Himmel tauchte kein dunkler Punkt auf. ,,Altair!”, rief sie wieder. ,,Altair!” Nichts regte sich und Sylvia sank erschöpft zurück. Er war nicht mehr in der Nähe und damit war es unmöglich für sie, Leonardo und Aruna rechtzeitig warnen zu können.
,,Altair!” Ein letzter, etwas lauterer Schrei, den sie von sich gab, bevor sie sich traurig auf die verschlungene Bank im Garten setzte. Sie hoffte, dass sie auch ohne Warnung zurecht kamen und sich zu verteidigen wussten.
Ein Schrei riss Sylvia aus ihrer Trauer. Der Schrei eines Greifvogels. Altair. Er war tatsächlich gekommen. Er hatte sie tatsächlich gehört. ,,Altair!”, rief sie und streckte den Arm aus, auf dessen Faust sich der Vogel gleich darauf niederließ.
,,Altair, ich danke Euch!”, rief Sylvia überglücklich und reichte ihm die Notiz. ,,Bringt das zu Leonardo und Aruna. Und beeilt Euch!” Der Bussard sah sie mit leuchtenden Augen an. ,,Fliegt, mein Freund!”, murmelte sie, als sich Altair in die Lüfte schwang.
Sylvia sah ihm lange nach und betete dann zu allen ihr bekannten Göttern, damit sie Aruna und Leonardo vor Rabanus beschützen würden. Es dauerte lange, schließlich gab es Unmengen an Göttern und Götterfamilien verschiedenster Religionen, die die Schiffbrüchigen von ihrer Heimat mitgebracht und ihren Nachfahren gelehrt hatten.
Inzwischen war Altair am Himmel verschwunden. Sylvia hoffte, dass der Brief rechtzeitig ankommen würde. Sie wusste, dass sie es nicht ertragen würde, wenn sie Aruna oder Leonardo oder beide verlieren würde. Immerhin war Aruna ihre Tochter und Leonardo in gewisser Weise ihr Sohn.
Schließlich stand Sylvia auf, schnitt eine der Rosen ab und lief in den Palast zurück, wo sie einen Diener nach einer Vase schickte. Sie wollte die Rose in ihr privates Zimmer stellen, als Erinnerung an Philitis, nach dem sie auf einmal eine mächtige Sehnsucht hatte. Er hätte Rabanus aufgehalten, aber Rabanus hatte dies offenbar vorher gesehen und ihn aus dem Weg geschafft.
Aber Rabanus rechnete nicht mit Aruna, weil er einfach nicht wusste, dass sie existierte, oder sie nicht für gefährlich hielt. Ebenso wenig wie er wusste, dass sie mit Prinz Leonardo gegen ihn arbeitete und die beiden ebenfalls auf der Jagd nach der Phiole des Lichts waren.
Sylvia lächelte in sich hinein, als sie an das Kennenlernen der beiden dachte. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass Aruna als Gefangene von Leonardo nach Juan kam, doch sie spürte, dass beide sich sehr ähnlich waren.
Davon abgesehen hatte sie es unheimlich gut amüsiert, Leonardo zu erleben, der sich auf die Reise vorbereitet hatte. Ihr war nicht entgangen, dass er versucht hatte, sich ins beste Licht zu stellen, um der unbekannten Partnerin zu gefallen.
Als beide die selben Worte im selben Moment gewählt hatten, hatte sie sofort gewusst, dass sie perfekt zueinander passten. Sie hoffte, dass sie sich nicht allzu lange streiten würden.

*****

Ihr Blick schweifte nach rechts. Seit dem Waffenstillstand schien es einfacher zu sein, mit ihm auszukommen. Und wenn sie ehrlich war, musste sie gestehen, dass sie ihn nicht zum ersten Mal ziemlich lange gemustert hatte.
Er trug ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln, welches all seine silbernen Tattoos verdeckte, eine schwarze Reithose aus Leder sowie schwarze, ebenfalls lederne, Stiefel mit umgeklappten Schaft. Außerdem war sein mit gelben Garn bestickter breiter Waffengürtel ein echter Blickfang. Das optische Bild wurde noch verstärkt durch den kurzärmligen Ledermantel.
Seine nussbraunen, welligen Haare tanzten im Wind, als er neben ihr so dahin trabte. Aruna musste sich wieder einmal eingestehen, dass Leonardo gar nicht mal so schlecht aussah. Wenn er doch nur nicht so arrogant wäre!
Aber immerhin hatte er ihr den Waffenstillstand angeboten. Weil er sie endlich akzeptierte? Weil er einfach nicht in der Mission gestört werden wollte? Oder begann er langsam tatsächlich, sie - Aruna - zu mögen?
Aruna zuckte die Schultern und wandte den Blick ab, als sie bemerkte, dass er zu ihr hinüber sah. Es war ihr auf eine seltsame Art peinlich, den Prinzen von Silaeta ständig zu mustern.
Ob er wohl versprochen war? An irgendeine pikfeine Dame aus reichem Haus? An irgendeine Schnepfe, die sich aufgrund seines Aussehens in ihn verliebt hatte oder von der man meinte, dass sie an seiner Seite hübsch aussehen würde?
Sie wusste es nicht, aber sie hoffte, dass dies nicht so war. Irgendeine Stimme in ihren Gedanken wehrte sich gegen solche Vorstellungen und wollte Leonardos Herz gewinnen.
Aruna schüttelte den Kopf, um diese Gedanke loszuwerden, bevor sie dann zwischen Orlandos schwarze Ohren nach vorn starrte. Sie musste ihre Gedanken verdrängen. Immerhin war sie nicht hier, um den Prinzen zu verführen und auch nicht, um sich verführen zu lassen.
Für einen Augenblick sah sie noch einmal zu ihm hinüber und bemerkte seinen tadellosen Sitz im Sattel. Er konnte definitiv reiten, dass sah sie sofort. Aber vermutlich war er bereits als kleiner Junge täglich zu einem Krieger zu Ausbildung geschickt worden.
Sie wollte sich gerade wieder wegdrehen, als sie Leonardos Blick auf sich spürte. Vorsichtig sah Aruna ein wenig höher. Leonardo schien sie zu mustern. Fast genauso intensiv wie sie ihn.
Ihre Blicke trafen sich und rasch wandte sie sich ab, so dass sie nur noch aus dem Augenwinkel sah, dass Leonardo dies ebenfalls getan hatte. Sie seufzte leise auf. Es war nicht zum ersten Mal, dass sie etwas im gleichen Moment taten oder sagten.
,,Aruna.”, sagte er. Seine Stimme hatte plötzlich etwas melodisches an sich. ,,Das ist ein schöner Name.” - ,,Ja.”, antwortete sie und versuchte, unbeeindruckt zu klingen.
,,Was bedeutet er?”, fragte Leonardo und sah sie wieder an, doch Aruna zwang sich, nach vorne zu sehen. ,,Der Name kommt aus dem Sanskrit, einer sehr alten Sprache aus einem Land namens Indien, und bedeutet ,,Morgendämmerung”. Warum interessiert Euch das?”, beantwortete sie seine Frage und stellte sofort eine Gegenfrage, die er jedoch unbeantwortet ließ.
,,Eine schöne Bedeutung.”, antwortete er. Aruna zog die Augenbrauen hoch. ,,Mein Vater hat mich so genannt, weil ich sehr früh am Tag geboren worden bin.”, erklärte sie kurz.
,,Morgendämmerung.”, wiederholte Leonardo. ,,Wenn ich in Euer Gesicht sehe, Aruna, glaube ich immer, die ersten Strahlen der Sonne am frühen Morgen zu sehen.”
Aruna wandte sich noch weiter ab, als sie spürte, wie sie errötete. Sie war auf eine solche Antwort nicht gefasst gewesen. Aber irgendetwas ließ plötzlich ihr Herz flattern.
,,Gegen Euren Namen ist meiner ja langweilig und wesentlich weniger klangvoll. Er bedeutet ,,starker Löwe”…”, erzählte er, doch Aruna unterbrach ihn. ,,Euer Name ist ebenso klangvoll wie meiner. Und die Bedeutung passt zu Euch, Leonardo.”, warf sie ein, bevor sie überhaupt verstand, was sie da gerade sagte.
,,Findet Ihr?”, fragte er und Aruna nickte, obwohl sie nicht nicken wollte. Ihr kam es vor, als ob sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hätte.
Ein dunkler Fleck am Himmel unterbrach das Gespräch. ,,Altair?”, murmelte sie fragend und zog den Handschuh über. Der Bussard flog im Sturzflug auf ihre Hand zu und Leonardo sah sie völlig verwirrt an. ,,Was ist das für ein Vogel?”
Altair landete sanft und fast lautlos auf ihrer Faust. Er hatte einen Zettel bei sich. Aruna nahm den Zettel und reichte diesen Leonardo. ,,Haltet kurz, aber nicht lesen!”, sagte sie.
,,Was ist das für ein Vogel? Und was hat dieser Zettel zu bedeuten?”, fragte Leonardo. Aruna lächelte und stich Altair über die Flügel. ,,Das ist Altair, ein guter Freund von mir. Er begleitet mich auf nahezu all meinen Wegen.”, stellte sie den Greifvogel vor. ,,Was der Zettel bedeutet, weiß ich nicht, denn ich habe mehrere Freunde, mit denen ich über Altair Kontakt halte.”
Der Bussard sah Leonardo an. Diese starrte zurück. ,,Ist er … bissig?”, fragte der Prinz. Aruna lachte laut auf. ,,Würde ich ihm dann erlauben, auf meiner Hand zu sitzen?”
,,Eher nicht.”, meinte Leonardo. ,,Kann ich ihn auch mal halten?” - ,,Hab Ihr einen Handschuh aus Leder bei Euch, der lang genug ist, um Euren gesamten Unterarm zu bedecken? Seine Krallen sind sehr scharf.”, erwiderte Aruna.
Leonardo schüttelte den Kopf. ,,Ich habe nur Reithandschuhe dabei.”, gab er zu. Aruna griff in eine ihrer Taschen und holte einen zweiten Handschuh heraus. ,,Zieht diesen über.”, sagte sie und reichte ihm den Handschuh.
Unsicher steckte Leonardo seine Hand in den Handschuh. ,,Altair.”, sagte Aruna. ,,Das ist Prinz Leonardo. Leonardo, dass ist Altair. Ihr seid euch schon mal begegnet - auf meiner Reise nach Juan als Gefangene.”
Leonardo streckte auf ein Zeichen den Arm aus und der Bussard sprang auf seine Faust. ,,Wow, ist der schwer!”, rief Leonardo aus. Aruna lachte. ,,Er ist nicht schwer, nur habt Ihr offenbar zu wenig Armmuskeln!”
Sie nahm Leonardo den Zettel ab und faltete ihn auf. Eine Nachricht von Königin Sylvia. ,,Meine Freunde.”, las sie vor. ,,Er ist auf dem Weg zum Licht. Bitte beeilt euch, seid stets auf der Hut und antwortet mir nicht.”
,,Das klingt nicht gut.”, sagte Leonardo und blickte zu dem Bussard auf seiner Faust. ,,Oder was meint Ihr?” - ,,Fragt Ihr mich oder Altair?”, erwiderte Aruna.
Leonardo lachte. ,,Ich fragte Euch beide, Aruna.” - ,,Nun ja, ich würde sagen, es klingt nicht nur nicht gut, sondern wirklich übel.”, antwortete sie. ,,Ach ja, ich glaube, dass auch Altair der selben Meinung ist.”
,,Wir sollten weiter reiten.”, stellte Leonardo fest. ,,Wir dürfen keine Zeit verlieren.” - ,,Wohl wahr.”, machte Aruna. ,,Danke, Altair, für die schnelle Nachricht. Aber jetzt fliegt, mein Freund! Wir sehen uns in Goldan wieder.”

*****

Leonardo blickte dem Bussard noch einen kurzen Augenblick nach. Er fragte sich, wie es wohl Aruna gelungen war, dass dieser Greifvogel ihr Freund und Begleiter wurde. Es war sicher nicht einfach, einen Vogel zu zähmen.
,,Wie habt Ihr das gemacht?”, fragte er. ,,Wie habt Ihr Altair so erzogen, dass er Euch hilft und Euch begleitet?” Aruna lächelte. ,,Er ist ein wundervoller Freund, wisst Ihr.”, begann sie.
,,Als ich ein kleines Mädchen war, fand ich ihn. Er war noch jung und aus dem Nest gefallen, wobei er sich etwas verletzt hatte. Seine Mutter hatte ihn ausgestoßen und ich nahm ihn mit, pflegte ihn gesund und nannte ihn Altair.” Sie machte eine kurze Pause und ließ Orlando weiter gehen.
,,Aus Dankbarkeit blieb er bei mir.” Leonardo staunte. Es gab so vieles, was er in Aruna am Anfang ihrer gemeinsamen Reise nicht gesehen hatte. Sie war ein ganz anders Mädchen geworden in seinen Augen.
Aber dennoch hatte er Angst, ihr zu sagen, dass er sie mochte. Es würde nichts bringen, wenn sie ihn dann wieder abstieß und den Waffenstillstand beendete.
Ob sie der selben Meinung war? Leonardo hätte es zulerne gewusst, doch er hütete sich davor, solche Worte auszusprechen. Die Folgen könnten fatal sein.
,,Wer hat Euch das alles beigebracht? Kämpfen, Reiten und so, meine ich…”, fragte er stattdessen. Sie wandte den Blick von ihm ab. ,,Warum wollt Ihr das wissen, Leonardo?”, fragte sie. ,,Damit Ihr meine Lehrmeister anschwärzen könnt?”
,,Nein, das nicht.”, erwiderte Leonardo. ,,Ich habe mich abgefunden, dass Ihr Gesetze brecht.” Er lachte kurz auf. ,,Wenn Sylvia das in Ordnung findet, dann teile ich ihre Meinung.”
,,Und darauf soll ich also vertrauen?”, hakte Aruna nach. Leonardo nickte und lenkte Persia näher zu ihrem Rappen. ,,Ich könnt darauf vertrauen.”, sagte er ohne Scheu. ,,Also, wer hat Euch das alles gelernt?”
,,Das Reiten hat Orlando mit beigebracht.”, erklärte sie und klopfte dem Rapphengst liebevoll auf die Schulter. ,,Und das Kämpfen lehrten mir mein Vater und die Rebellen.”
,,Ihr kennt die Rebellen?”, fragte Leonardo ungläubig. Aruna nickte. ,,Ja, natürlich. Mein Vater gehörte zu ihrem Freundschaftsbund, daher ist es nicht gerade verwunderlich, dass ich Kontakt mit ihren habe beziehungsweise hatte.”
,,Ich mag Euch, Aruna.”, rutschte es Leonardo heraus. Aruna zog die Augenbrauen hoch und blickte ihn an. ,,Ach, auf einmal?”, meine sie. ,,Ich habe es ja schon bereits erlebt, wie sehr Ihr mich mögt. Man denke nur an die Jagd durch die Sandfelsen, die Nacht in der Höhle… Ich mögt mich doch nicht, sondern wollt mich nur in Euer königliches Bett bekommen!”
Leonardo glaubte, eine harte Spurt Boshaftigkeit und Kritik in ihrer sonst so weichen und schönen Stimme zu hören. Diese Worte zu hören, das tat weh.
,,Nein, ich meine es ernt.”, sagte er. ,,Seit der Nacht in der Höhle… Das hat irgendwas bei mir verändert. Ich sehe Euch auf einmal in einem völlig anderem Licht. Ihr seid auf einmal nicht mehr die Gesetzesbrecherin, sondern eine kluge Frau, die nicht völlig hilflos ist, wie die meisten Frauen in Silaeta es sind.”
,,Ich glaube Euch nicht, Leonardo.”, entgegnete sie. ,,Ich glaube, dass Ihr mich mit Euer Schönheit betören wollt und …” - ,,Ihr findet mich schön?”, fragte er verwirrt. Er war ihm neu, dass irgendjemand ihn als schön bezeichnete.
,,Ja, ich bezeichne Euch als schön.”, bestätigte Aruna. ,,Aber ich bin sicher, dass jedes Mädchen in Silaeta Euch schön finden würde.”
,,Aber das hat nie jemand gesagt, Aruna.”, sagte er. ,,Ihr seit die allererste Frau, die mich ,,schön” findet, und das ist für mich völliges Neuland.”
,,Damit wollt Ihr also sagen, dass Ihr noch nie verliebt wart?”, hakte Aruna nach. ,,Auch nicht in die, der Ihr versprochen seid?”
,,Ich bin nicht versprochen.”, erwiderte er. ,,Und ich war nie verliebt. Für mich waren Frauen bisher eine Nebensächlichkeit. Unwichtig und langweilig.”
Aruna lachte. ,,Ihr seid nicht vergeben, nicht versprochen?” Leonardo schüttelte den Kopf. ,,Nein, das bin ich nicht. Meine Eltern wollten, dass ich mir selbst eine Frau suche. Sie wollten mich nicht versprechen und ich wollte nie eine Frau.”, meinte er.
Aruna sah ihn verwirrt an. ,,Aber Ihr klingt jetzt so, als ob Ihr es dringend ändern wolltet.” - ,,Was ändern?”, fragte er. Für ihn sprach sie in seltsamen Rätseln.
,,Ich wollte damit nur sagen, dass ich glaube, dass Ihr eine ziemlich große Sehnsucht nach einer Frau an Euer Seite habt.”, erklärte sie. ,,Ich schätze, Ihr habt sie bereits gefunden und seid nur zu schüchtern, es Ihr zu gestehen.”
Wie recht sie hat, schoss es ihm durch den Kopf. Auf einmal wurde ihm klar, dass er tatsächlich dabei war, sich in Aruna zu verlieben, wenn er das nicht schon längst getan hatte.
Er betrachtete sie lange Zeit. Ihr schimmerndes, rotblondes Haar leuchtete in der Sonne auf. Sie hatte es wieder zu einem Zopf geflochten. ,,Öffnet doch bitte mal Euren Zopf.”, bat er sie.
Aruna sah ihn verwirrt an. ,,Meinen Zopf öffnen? Wozu?”, fragte sie. Leonardo schwieg einen Augenblick. ,,Ich wurde gerne sehen, wie lang Eurer Haar wirklich ist.”, erklärte er schließlich und biss sich auf die Zunge. Dieser Satz klang so blöd aus seinem Mund.
Doch Aruna tat ihm diesen Gefallen und zog das Band aus ihren Haaren. Der Wind durchpflügte ihr Haar und ließ es im Winde wehen. ,,Zufrieden?”, fragte sie und zwinkerte ihm zu.
,,Euer Haar ist wunderschön.”, sagte er und streckte eine Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren und eine Strähne aus ihrem Gesicht zu streichen. Aruna ließ es über sich ergehen, als wäre das etwas ganz Natürliches für sie.
Doch an ihrem schnellen Herzschlag spürte sie, dass es für sie ganz und gar nichts Normales und Alltägliches war. Aruna hielt ihr Pferd an. ,,Leonardo…” Ihre Stimme klang auf einmal schwach und heißer. ,,Sie kommen…”
,,Wer kommt?”, fragte Leonardo, doch dann hörte er die Pferdehufe. Galoppierende Pferde. Rasch drehte er sich um und zog sein Schwert aus dem Schaft. Wo vorher noch Leidenschaft in seinen Adern geflossen war, war jetzt nur noch Kampfgeist, Mut und Entschlossenheit.
Leonardo blinzelte und entdeckte vier Krieger. Schwarze Roben mit blutroter Rune kennzeichneten sie als Krieger von Rabanus. Offenbar hatte er Spione vorausgeschickt.
Er blickte kurz zu Aruna, die ihr Pferd ebenfalls wendete und das Schwert aus der Scheide zog. Sie blickte entschlossen und Leonardo spürte, dass sie genau wusste, was zu tun war.
Aruna fing seinen Blick auf und es kam ihm vor, als ob sie sich mit bloßen Blicken verständigen konnten. Durch Blicke machte sie ihm klar, welche beiden Spione sie sich vorknüpfen würde. Er verstand und nickte.
Und plötzlich waren um ihn herum nur noch Sand, durch die Luft zischende Klingen und Blut. Einer der Krieger, gegen die er kämpfte, hatte eine heftige Schnittwunde an der Schulter abbekommen, die ihm sein Freund versehentlich zugefügt hatte.
Nach wenigen Schwerthieben fiel ihm das Schwert aus der Hand und er griff sich an die Schulter, die vermutlich höllisch brannte. Leonardo schloss kurz die Augen, als er eines seiner Messer nach dem Mann warf, welches diesen sofort tötete.
Dann knüpfte er sich den anderen vor, der offenbar ein wirklich guter Kämpfer war. Doch während der Krieger ständig noch sein Pferd lenken musste, machte Persia fast alles von allein, was Leonardo einen Vorteil verschafft.
Gekonnt mogelte er sich an der Deckung vorbei und stieß das Schwert in seinen Körper. Der Krieger schrie auf, stürzte vom Schwert und versuchte sich, an der Kleidung seines einen Freundes, der noch gegen Aruna kämpfte, festzuhalten, wobei er diesen mit aus dem Sattel riss.
Aruna sah die und konzentrierte ihre Angriffe auf den anderen Mann, während Leonardo absprang, sein Messer wieder an sich nahm und den Mann einige gefährliche Wunden zufügte.
Auch Aruna erledigte sich nun ihrem Gegner und wischte das Blut, welches an ihrer Klinge klebte, an der Kleidung des gefallenen Kriegers ab. Leonardo tat es ihr gleich.
,,Ich bin froh, dass wir gewarnt worden waren.”, sagte sie. Leonardo nickte zustimmend und sprang wieder auf Persia. ,,Ich bin auch froh.”, murmelte er leise. ,,Und verzeiht mir, was ich vorhin getan habe, Aruna.”
Sie lächelte. ,,Wo waren wir bei unserem Gespräch stehen geblieben?”, fragte sie schließlich. Leonardo überlegte. ,,Bei Euren wundervollen Haaren.”, meinte er schließlich. ,,Bindet sie wieder zusammen, da sind sie sicher handlicher.”
Aruna lachte und zog das Band hervor. ,,Vielleicht wäre eine kurze Erholungspause auch nicht übel.“, meinte sie und stieg ab.
Dann begann sie, ihr Haar wieder zusammen zu flechten. ,,Halt, Ihr habt eine Strähne vergessen.”, rief er und stieg ebenfalls ab. ,,Darf ich?”

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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDo Mai 12, 2011 6:16 pm

Es fühlte sich äußerst interessant an, als er ihre Haare flocht. Er hatte sie wieder einmal überrascht, denn sie hätte nicht erwartet, dass er Haare flechten konnte.
Als er fertig war, tastete sie ihren Hinterkopf ab. Ein kompliziertes Muster, dass sie durch bloßes Fühlen mit den Fingern nicht zu entschlüsseln vermochte, erstreckte sich über ihren gesamten Hinterkopf.
,,Was ist das?”, fragte sie erstaunt. Leonardo lächelte. ,,Ich habe einen Spiegel dabei, aber ich befürchte, dass er Euch nicht viel bringen wird, aber ich kann es Euch gern aufzeichnen.”, sagte er und beugte sich hinunter, um mit seinem behandschuhtem Finger ein Muster aus fast waagerechten Linien in den Sand zu malen.
,,Die Zofen und Dienerinnen am Hof in Juan haben es immer ,,französischer Zopf” genannt. Sylvia zum Beispiel ließ sich vor langer Zeit ebenfalls regelmäßig die Haare so zusammen flechten.”
,,Und woher könnt Ihr das?”, hakte Aruna weiter nach. Auch, wenn sie das Muster nicht sehen könnte, es gefiel ihr ungemein. Nicht zuletzt deshalb, weil es ausgerechnet Leonardo war, der den Zopf geflochten hatte.
Unmerklich schüttelte sie den Kopf, um die gerade wieder aufkommenden Gedanken zu verdrängen. Es würde sie nur von ihrer Aufgabe, nämlich die Phiole zu bergen, abbringen.
,,Ich habe es mir selbst beigebracht, nachdem ich das Muster studiert hatte. Geübt hatte ich an Persias Schweif.”, antwortete er. ,,Alle Pferde der königlichen Familienmitglieder werden eingeflochten, wenn ein großes Fest stattfindet, wisst Ihr?”
Aruna verkniff sich ein Grinsen. Leonardo testete in seiner freien Zeit also Damenfrisuren an Pferdeschweifen aus. Die Vorstellung amüsierte sie zutiefst, doch sie versuchte krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen. Fast hätte sie gemeint: ,,Armer Persia.”
Leonardo lächelte sie an und sie lächelte zurück. ,,Was würdet Ihr davon halten, wenn wir Frieden schließen würden?”, fragte sie. ,,Ich glaube, ein einfacher Waffenstillstand ist inzwischen unangemessen geworden...”
Leonardo schien eine Weile zu überlegen und Aruna nutze die stillen Minuten, um etwas Brot für sich und Hafer für Orlando aus der Satteltasche zu holen. Dann gab sie dem Hengst das Futter und sortierte mit der Hand danach seine Mähne. Eine Strähne hatte sich verwirrt.
Schweigend stiegen sie nach einer Weile wieder auf. Kurz darauf konnten sie wieder im kühlerem Schatten eines Felsens reiten, was Aruna mehr als nur willkommen war. Sie ließen die Pferde fast ausschließlich im Schritt gehen.
Die Felsen schützten vor der brennenden Sonne, wenn auch nicht vollkommen. Aber jedes Fleckchen Schatten war in der heißen Wüste willkommen.
Immer wieder spähte Aruna umher, um vor möglichen hinterhältigen Angriffen geschützt zu sein. Sie sah, wie Leonardo das Gleiche tat. Der Angriff hatte immerhin gezeigt, wie schnell sie in einen Kampf verwickelt sein könnten.
,,Okay.”, antwortete Leonardo schließlich. ,,Schließen wir Frieden.” Er lenkte sein Pferd, Persia, neben Orlando und reichte Aruna die Hand, welche sie lächelnd annahm.
,,Es freut mich ungemein, dass wir unseren Krieg beendet haben, Aruna.”, sagte er feierlich. ,,Seien uns die Zeiten des Friedens willkommen.”
,,Seien uns die Zeiten des Friedens willkommen.”, wiederholte Aruna mit ebenso feierlicher Stimme. Es wurde wieder alles still und nur noch die Hufschläge der Pferde und das Schnauben ab und an waren zu hören.
Aruna wusste nicht, wie lange sie so schweigend nebeneinander her ritten, doch es müssten Stunden vergangen sein, denn die Sonne versank allmählich hinter dem Felsen und die Dämmerung setzte langsam ein.
,,Wir sollten eine Höhle zum Übernachten finden…”, sagte sie schließlich. Leonardo nickte. ,,Ich kenne eine Höhle ganz in unserer Nähe. In dieser gibt es einen kleinen Süßwassersee, an dem wir unsere Wasserflaschen auffüllen und uns stärken können.”, erklärte er und lenkte Persia leicht auf die Felsen zu.
Aruna ließ Orlando hinter Persia gehen. Sie hatte bereits von der Höhle mit dem See gehört, doch sie war nie dort gewesen und es erstaunte sie, dass Leonardo davon wusste.
Vor dem Felsen stieg er ab und sie tat es ihm gleich. Dann führte sie den Rapphengst hinter dem Schimmelhengst in die kalte, düstere Höhle.
Sie war größer, als Aruna gedacht hatte. Der See lag ruhelos wie ein dunkler Fleck in der Mitte der Höhle. Durch den schmalen Eingang fiel gerade so viel Licht, dass sie geradeso die Umrisse sehen konnte.
,,Ihr habt doch hoffentlich nichts dagegen, dass wir uns schon wieder eine Höhle teilen müssen, oder?”, fragte Leonardo und begann, Persia abzusatteln. Aruna nahm Orlando ebenfalls das Sattel- und Zaumzeug ab, bevor sie den Hengst zum Trinken an die Wasserstelle entließ. Seine Frage ließ sie allerdings unbeantwortet.
Stattdessen packte sie etwas Brot und ihre Wasserflasche aus und richtete sich ihr Nachtlager ein. Sie versuchte krampfhaft, nicht mit eifersüchtigem Blick auf Leonardo zu schauen, als dieser allerlei Köstlichkeiten auspackte.
Doch da es schon am vergangenem Tag schwer gefallen war, fiel es ihr jetzt nur noch schwerer. Warum wurden diese königlichen nur stets mit dem besten Speisen versorgt?
,,Pah!”, dachte Aruna. ,,Ich komme auch mit einfachem Brot und Wasser aus!” Dann wandte sie den Blick ab, aß noch etwas Brot, bevor sie dann die restlichen Schlucke Wasser trank.
Schließlich stand Aruna auf. Die beiden Pferde sahen kurz zu ihr auf, als sie sich dem See näherte, doch dann widmeten sie sich wieder dem Wasser.
Sie beugte sich hinunter und füllte ihre Wasserflaschen wieder, bevor sie zurück zu ihren Taschen ging, um für Orlando etwas Hafer zu holen. Mit einer Hand voll Hafer lief sie schließlich zu Orlando und bot ihm das Futter an.
Der Rapphengst schnaubte und senkte dann das weiche Maul in ihre Hand. Gierig fraß er den Hafer, dann verlangte er nach mehr. Doch Aruna schüttelte den Kopf.
,,Tut mit leid. Ich weiß, wir müssen einteilen und das ist wirklich nicht leicht.”, murmelte sie. ,,Mit fällt es auch nicht leicht, aber wir beide sind doch zäh, oder, mein Freund?”
Orlando schnaubte und nickte zustimmend. Dann legte er seinen Kopf auf ihrer Schultern. ,,Du bist der Beste, Orlando. Einfach der allerbeste Freund, den ich mir je würde wünschen können.”
Der Hengst wieherte leise und Aruna nahm seinen Kopf in die Arme. So verharrten sie lange Zeit, während Aruna immer wieder die Nüstern des Pferdes streichelte. Orlando schloss genüsslich die Augen und ließ die Ohren hängen.
Aruna lächelte. Ein solcher Freund war mehr wert als alles andere in der Welt. Orlando atmete tief auf und ließ den Kopf schließlich noch schwerer auf ihrer Schulter sinken.
Sie hörte noch andere Hufschläge und bemerkte aus dem Augenwinkel heraus, dass Persia sich näherte und sie neugierig ansah. ,,Na, Persia?”, fragte Aruna leise. ,,Mag dich dein Herr auch so sehr wie ich meinen Orlando?”

*****

Wieder riss der Dunkelbraune den Kopf hoch und wieder strafte Rabanus ihn dafür mit einer Serie von Peitschenhieben und scharfen Sporeneinsatz. Der Hengst wieherte laut, doch sein Herr riss als Antwort nur einmal heftig an den Zügeln.
Rabanus hatte vor einem halben Tag vier Spione losgeschickt, damit sie die Spur des Prinzen und der Gesetzesbrecherin fanden und, wenn möglich, sie überwältigten und sie als seine Gefangenen zu ihm brachten.
Doch sie waren immer noch nicht zurück. Allmählich wurde Rabanus ungeduldig. Er hasste es, wenn man ihn so lange warten ließ und all seine Männer wussten das.
So unglaublich weit weg konnten diese beiden doch gar nicht sein, schließlich ritten seine Männer seit Tagen in scharfem Tempo und Pausen gab es nur sehr kurze. Selbst die Nacht ritten sie hindurch. Jeder, der nicht mehr konnte oder dessen Pferd ,,erschöpft” war, wurde zurück gelassen.
Er war nicht gerade erfreut, dass er auf diese Art und Weise so viel Männer zurück blieben, aber immerhin hatte er gegenüber zwei Dummköpfen wie dem Prinzen und der Gesetzesbrecherin noch immer die Überhand, sollte es tatsächlich zu einem Kampf kommen.
Aber wo blieben bloß diese verdammten Spione!? Die Sonne würde bald untergehen und noch immer waren sie nicht zurück! Warum konnten sie sich denn nicht einmal an seine Befehle halten und sie befolgen!?
,,Mein Herr!”, rief einer der Krieger plötzlich. Die gesamte Gruppe hielt an und Rabanus sah sich verwundert um. Nein, sie waren definitiv noch nicht in Goldan.
Aber die ersten Krieger ließen bereits ihre Pferde zurückweichen und die gesamte zuvor ordentliche Formatierung verwandelte sich innerhalb weniger Minuten einen großen chaotischer Haufen, bei dem jeder Überblick verloren ging.
Rabanus stand im Sattel auf und versuchte, auf diese Weise zu erspähen, was dort vorne vorgefallen war, doch er war nicht hoch genug. Außerdem tänzelte der Dunkelbraune schon wieder und Rabanus hatte Mühe, ihn ungefähr auf einer Stelle zu halten.
,,Lasst mich durch!”, schrie er über die Menge hinweg. ,,Sofort!” Zuerst nur zögerlich, dann jedoch ruckartig bildeten die Krieger eine Gasse, um ihren Herren hindurch zu lassen.
Der Dunkelbraune jedoch weigerte sich und tat verängstigt mehrere Schritte zurück, wobei er gegen ein anderes Pferd prallte, welches den Dunkelbraunen in die Hinterhand zwickte. Der Hengst sprang vor Schreck hoch in die Luft und rammte dabei noch ein paar Pferde.
,,Dummkopf!”, schimpfte Rabanus. ,,Jetzt geh schon! Mach!” Er kochte vor Wut. Das sich dieses blöde Pferd nie benehmen konnte! Er brauchte dringend ein neues.
Rabanus schlug mit der Peitsche auf den Hengst ein und prügelte ihn ein paar Schritte vorwärts, bevor der Hengst erneut versuchte, sich zu wehren, indem er mit den Hinterhufen ausschlug, wobei er fast einen anderen Reiter traf.
Wütend stieß Rabanus die Sporen in die Flanken und schlug noch härter mit der Peitsche auf das Pferd ein. ,,Geh!”, befahl er zornig.
Endlich ging der Hengst ein paar Schritte davon, bevor er urplötzlich in die Luft sprang und zu buckeln begann. Rabanus krallte sich in der Mähne fest und lehnte sich leicht zurück, um nicht zu fallen und damit dem Hengst nachzugeben.
Wieder schlug er auf den Dunkelbrauen ein. Diesmal brach der Widerstand und der bisher so tapfere Hengst ließ den Kopf hängen und schlenderte nach vorn. Sein Kämpferherz war gebrochen.
,,Mein Herr!”, rief der eine Krieger wieder. Rabanus lenkte sein Pferd an den Anfang seiner kleinen Armee. ,,Was ist hier los!?”, fauchte er.
Dann fiel sein Blick auf das Blutbad, welches vor ihnen lag und von einem kürzlich stattgefundenem Kampf zeugte. ,,Was zum Teufel…!”, zischte er.
Vor ihm erstreckte sich ein Stück blutbesudelte Wüste mit vier Leichen, die teils einfach nur erstochen und teils übersät von Wunden waren. Seine vier Krieger, die er als Spione losgeschickt hatte, waren gefallen.
,,Sie waren zu schwach.”, erklärte Rabanus kalt und wandte den Blick ab, als ob diese vier Fremde waren. ,,Sie waren zu schwach und zu dumm, als dass sie jetzt unsere Aufmerksamkeit verdienen würden.”
Die Krieger sahen ihn allesamt verwirrt an. ,,Aber, Herr, sie waren…”, fing einer von ihnen an. ,,Sie waren…” - ,,… welche von unseresgleichen, aber offenbar haben sie nicht klug gehandelt. Offenbar haben sie sich meinen Befehlen widersetzt und ihnen getrotzt. Wir aber brauchen keine, die meinen Befehlen nicht gehorchen uns und so in den Untergang, ins Verderben stürzen würden!”, rief er mit appellierender Stimme.
,,Mit solchen angeblich treuen Freunden werden wir nichts, aber auch wirklich rein gar nichts bewegen können!” Die Krieger jubelten.
Schließlich formatierten sie sich wieder, würdigten den Gefallenen jedoch keinen Blick mehr. ,,Wir werden die Nacht hindurch reiten!”, rief Rabanus und stieß dem Dunkelbraunen die Sporen in die Flanken, welcher daraufhin müde vor sich hin schlenderte ohne jede Art von Stolz. ,,Zeitverlust ist der Tod!”
Wieder jubelten die Krieger und ritten an. ,,Ach, Brando.”, sagte Rabanus zu seinem Handlanger so leise, dass nur dieser es hören konnte. ,,Schickt sechs Männer als Spione aus. Vielleicht haben sechs Männer mehr Chancen als vier.”
Brando nickte. ,,In Ordnung, mein Herr.”, sagte er, verneigte sich kurz und ritt dann davon. Rabanus lachte leise. Niemand würde ungestraft davon kommen, wenn er seine Männer abschlachtete. Diese beiden würden eine schöne Überraschung erhalten.

*****

Fasziniert sah Leonardo ihr zu. Sie konnte wirklich außergewöhnlich gut mit Pferden umgehen. Selbst der manchmal Fremden gegenüber scheue Persia hatte vollstes Vertrauen zu ihr.
Er genoss das Schauspiel, dass sich ihm bot. Es schien, als ob Aruna die Sprache der Pferde sprechen konnte. Er hörte zwar, dass sie mit den Pferden sprach, doch er konnte es nicht verstehen. Es war zu leise.
Wieder blitzte ihm in seinen Gedanken ein Bild auf. Das Bild, dass er von ihr hatte, als er kurz davor war, sie in der Höhle zu verführen. Dieses schüchterne, zarte Mädchen.
Er wusste nicht, wie lange er sie beobachtet hatte, doch irgendwann schien der Zauber verflossen zu sein und Leonardo legte sich schlafen. Es war nicht viel Zeit vergangen, als er ihre Schritte hörte. Sie würde ebenfalls schlafen gehen.
Am nächsten Morgen wachte er fast zur gleichen Zeit wie Aruna auf. Schweigend machten sie sich fertig zum Aufbruch und aßen vorher noch etwas.
,,Was wird uns in Goldan erwarten?”, fragte Aruna. ,,Und wo ist die Phiole genau versteckt?” - ,,Ihr kennt die Geschichte von Goldan nicht, oder?”, stellte Leonardo eine Gegenfrage. Aruna zuckte mit den Schultern. ,,Nicht sehr genau.”, gab sie zu.
,,Also gut, dann bekommt Ihr jetzt ein wenig Geschichtsunterricht.”, bemerkte Leonardo. ,,Habt Ihr jemals von den Tempelrittern gehört?”
Aruna nickte. ,,Das war doch dieser Orden, der so unheimlich reich war und Könige im Rest der Welt finanziert hat, oder? Deren Orden deshalb zerschlagen wurde, weil dieses Land Frankreich das Gold wollte, dass die Templer besaßen. Sie wurden der Ketzerei bezichtigt und ermordet, nicht wahr?”, sagte sie. Leonardo nickte.
,,Nun, die Templer besaßen einen großen Schatz. Bevor der Orden verraten wurde, konnten sie all den Reichtum an Bord von mehreren Schiffen bringen. Sie wollten das Gold versteckten, doch auf hoher See gerieten sie in einen Sturm. Eine der Schiffe trieb es in den Norden und die anderen landeten auf unserer Insel.”, erzählte er.
,,Sie gründeten die Stadt Goldan und schufen einen unterirdischen, in Felsen gehauenen Tempel - den Tempel der geheimen Wächter. Dort versteckten sie ihre Schätze, zu denen auch die Phiole des Lichts gehört.”
,,Die Templer sind geflohen?”, fragte Aruna. Leonardo nickte. ,,Doch in Silaeta verschwanden sie plötzlich, mischen sich mit anderen Rassen und Kulturen. Eine Wächter oder eine Wächterin jedoch existiert, der oder die den Schlüssel hat, der das Tor zum Tempel öffnet.”, sagte er. ,,Der Schlüssel wird von Generation zu Generation weitergegeben. Der Wächter oder die Wächterin ist das einzige aktive Mitglied des Ordens.”
,,Kennt Ihr diesen Wächter oder diese Wächterin?”, fragte Aruna. Leonardo zuckte langsam mit den Schultern. ,,Ich weiß, dass es eine Wächterin ist und ich weiß, dass sie einen geheimen Namen hat - Custos Aedis. Das bedeutet ,,Wächterin des Tempels” und kommt aus einer europäischen Sprache namens Latein.”, meinte er. ,,Mehr weiß ich auch nicht.”
,,Aber, Leonardo, hat nicht ein Pirat namens Klaus Störtebeker den Schatz gefunden?”, hakte Aruna nach. Leonardo nickte. ,,Ja, das hat er. Er hat den Schatz einer der Flotten, nämlich der, die nach Schottland abgedriftet ist, gefunden. Obwohl er glaubte, dass es der gesamte Reichtum der Templer ist, weiß niemand außer einigen wenigen Silaetanern vom Rest des Schatzes.”
Aruna sah man das Stauen förmlich an und Leonardo lachte. ,,Das hört Ihr jetzt echt zum ersten Mal, oder?”, fragte er und Aruna nickte. ,,Ich hätte nie gedacht, dass Goldan so eine interessante Vergangenheit hat.”
Leonardo stand auf, füllte seine Wasserflaschen noch einmal auf und sattelte dann Persia. ,,Also dann, auf geht’s! Wir sollten keine Zeit mehr verlieren!”
Er führte Persia aus der Höhle und stieg auf. Aruna lenkte Orlando an seine rechte Seite. ,,Was ist aus Störtebeker geworden, nachdem er das Gold hatte?”, fragte sie.
Er ließ die Schultern sinken. ,,Störtebeker wurde wenig später durch einen Hinterhalt gefangen genommen und wenig später geköpft. Er hat um Gnade für seine Männer gefleht und allen, an denen er ohne Kopf vorbeigehen könne, die sollten gerettet werden. Aber das Versprechen wurde gebrochen und alle wurden geköpft.”, erzählte er mit trauriger Stimme.
,,Allerdings hat Störtebeker eine Tochter von einer seiner Geliebten. Ich weiß leider ihren Namen nicht mehr, aber das ist egal, denn sie ist längst verstorben. An Altersschwäche. Sie hatte jedenfalls überlebt, wurde wie ihr Vater Seefahrerin und landete irgendwann wohl ebenfalls hier auf Silaeta, wo sie einen Sohn großzog.”
,,Störtebeker hatte also Erben?”, fragte Aruna. Leonardo nickte. ,,Er hatte eine Erbin und diese hat sich erfolgreich um die Erhaltung ihrer Familie und die des Stammbaumes gekümmert.”, antwortete er. ,,Ich freue mich, wenn ich euch endlich den Tempel von Goldan zeigen kann. Ihr werdet beeindruckt sein, das schwöre ich Euch.”

*****

Sie waren noch nicht besonders weit geritten, als Aruna das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Sie hatte eine Art ,,siebten Sinn” und sobald sie einen Blick auf sich spürte, stellen sich ihre Nackenhaare auf.
Sie schielte zu Leonardo, doch der war gerade mit einer Strähne von Persias Mähne beschäftigt. Das bedeutete also, dass jemand anders sie beobachtete.
,,Leonardo!”, rief sie ganz leise. ,,Jemand beobachtet uns. Ich spüre es.” Der Prinz nickte, sah jedoch nicht auf. ,,Haltet die Augen auf und die Waffen bereit.”, erwiderte er ebenso leise.
Aruna griff die Zügel mit der linken Hand und legte die rechte in die Nähe des Schwertknaufes. So würde sie im Angriffsfall schneller sein und konnte vielleicht die Angreifer beobachten. Orlando spitzte die Ohren. Hatte er etwas gehört?
Sie warf einen Blick über die linke Schulter, doch niemand war hinter ihr. Dann viel ihr Blick auf einen Schatten der hinter einem mannshohem Stein hervor lugte. ,,Da drüben.”, zischte sie und schielte in die Richtung des Schattens, als Leonardo zu ihr hinüber blickte.
Er nickte vorsichtig. ,,Glaubt Ihr, es sind Spione?”, fragte er. Aruna bejahte. ,,Ich spüre es. Ich spüre, dass sie unfreundliche Absichten gegen uns hegen. Meine Nackenhaare sind allesamt aufgestellt. So wie beim letzten Mal.”
Auf einmal zerschellte ein Schrei die Stille und sechs berittene Krieger galoppierten mit erhobenen Waffen auf sie zu. ,,Offenbar leidet er an Größenwahn, unser Freund Rabanus!”, rief Leonardo. ,,Jetzt schickt er schon sechs Männer!”
,,Lasst einen am Leben.”, antwortete Aruna. ,,Ich habe einen genialen Plan.” Dann klirrten Klingen aufeinander und das Geräusch hallte im Tal, durch welches sie gerade ritten, wieder.
Offenbar hatten die Männer diesmal eine ordentliche Taktik bekommen, denn drei stürzten sich auf sie und drei auf Leonardo. Doch dieser kam ganz gut damit zurecht und Aruna freute sich sogar über die neue Herausforderung.
,,Schade, dass es Menschen sind, die wir hier töten.”, murmelte sie. ,,Menschen, die so sein könnten wie wir…” - ,,Bitte keine falsche Gnade jetzt!”, unterbrach Leonardo sie. ,,Diese Männer dienen freiwillig dem Verräter und haben sich gegen den König verschworen!”
,,Schon klar, aber dennoch…”, meinte sie und stach den ersten nieder. Sein Pferd galoppierte in die weite Wüste hinaus, als es den Verlust seines Herren bemerkte.
Dann widmete sich Aruna den anderen beiden Kriegern. Der eine verlor seine Waffen und stürzte zu Boden, den anderen traf ihr Schwert am Handgelenk, so dass er ebenfall fiel. Aruna sprang ab, bat Orlando, bei ihr zu bleiben und stieß die beiden Krieger wieder zu Boden, als sie sich aufrappeln wollten.
Leonardo dagegen hatte seine Gegner bereits erstochen oder anders schwer verletzt, so dass sie gerade noch ihre letzten Atemzüge durchlebten. Er stieg ab und kam zu ihr hinüber.
,,Habt Ihr etwas zum Fesseln?”, fragte Aruna. Er nickte und zog ein Seil aus einer seiner Satteltaschen hervor. ,,Hier!”, sagte er und reichte es ihr. ,,Was wollt Ihr damit?”
Aruna antwortete nicht, sondern begann, die beiden Männer aneinander zu fesseln, die inzwischen zu schwach waren, um sich zu wehren. Der eine schrie vor Schmerzen auf, doch sie versuchte, es zu überhören.
,,Mein Name ist Aruna.”, begann sie. ,,Ihr seid die Spione von Rabanus, nicht wahr?” Beide schwiegen und rührten sich nicht. ,,Redet!”, forderte Aruna sie auf. ,,Redet, oder der Tod wartet!”
,,Ich sage kein Wort!”, rief der Krieger mit der gesunden Hand. ,,Mein Herr hat uns beigebracht, was Treue heißt - Treue bis in den Tod! Ich sage nicht ein Wort!”
Aruna blinzelte zu Leonardo. ,,Ihr wählt also den Tod?”, fragte dieser. Der Krieger rührte sich nicht mehr. ,,Okay, Leonardo. Ihr dürft.”, murmelte sie und Leonardo rammte auf der Stelle ihn seinen Dolch ins Herz.
,,Was ist mit Euch?”, fragte Aruna. ,,Seit Ihr bereit, um zu reden, oder wählt Ihr wie Euer Freund ebenfalls den Tod?” - ,,Lasst mich leben, Herrin!”, krächzte der Krieger. ,,Ich habe eine Familie. Ich bin nicht freiwillig ein Diener geworden, sondern wurde gezwungen.”
,,Wäret Ihr bereit, mit zu helfen und dafür die Freiheit zu erlangen?”, fragte Aruna. Der Krieger nickte schwach. ,,Ich werde alles sagen, was Ihr wissen wollt, Herrin.”, seufzte er.
,,Wie viele Männer hat Rabanus um sich?”, fragte Leonardo. Der Krieger sah auf, doch dann wurde ihm sein Kopf zu schwer. ,,Er brach mit hundert auf… Dreißig ließ er in Vajae… Paragon hatte ihn auf eine falsche Spur geführt… Inzwischen sind nur noch knapp fünfzig Krieger bei ihm. Viele gaben auf und wurden der Wüste überlassen…”, erzählte der Krieger stockend.
,,Nur noch fünfzig Mann?”, fragte Aruna. Der Krieger nickte. ,,Wollen nach Goldan, um die Wächterin zu finden und das Licht zu stehlen… Arodos soll ermordet werden, sagt der Herr… Sei nicht gut für Silaeta…”, krächzte er mit schwacher Stimme.
,,Okay, ich danke Euch, Krieger.”, sagte Aruna. ,,Ich danke Euch vielmals. Mit Eurer Hilfe in Form dieser Worte, kann Silaeta vielleicht gerettet werden.”
Dann ging sie zu dem Mann und schnitt ihm die Fesseln ab. Er versuchte, aufzustehen, doch seine Beine knickten immer wieder unter ihm weg.
,,Gebt mir ein Schwert!”, verlangte er plötzlich und sank in sich zusammen. ,,Die Wüste zerfrisst mich langsam und mein Körper will nicht mehr auf. Gebt mir ein Schwert, ich will mein Leiden nicht mehr…”
,,Aber, Krieger, ich versprach Euch Freiheit, nicht den Tod.”, erwiderte Aruna. Der Krieger schüttelte schwach den Kopf. ,,Mein Leben neigt sich dem Ende. Die Wüste wird mich in wenigen Stunden ausgedorrt haben, aber ich bitte um rasche Erlösung der Qualen. Bitte, Herrin, seid doch so gut zu mir und gewährt es!”
Aruna nahm ihr Schwert und reichte es dem Krieger. ,,Ich danke Euch, Herrin. Ich danke Euch.”, murmelte er. ,,Ihr tragt das Schwert eines Asfalothen, Herrin.”
Dann stach er sich das Schwert in den Körper und richtete sich selbst. Aruna schüttelte sich. ,,Wie konnte er nur solch ein Schicksal wählen?”, dachte sie. ,,Aber wenigstens starb er als ein freier Mann unter der Sonne Silaetas.”
,,Ich weiß, wie hart es ist.”, murmelte Leonardo und legte einen Arm um sie. ,,Trauert nicht, er wird ein gutes Leben im Jenseits führen, ich bin mir sicher.” Aruna schossen die Tränen in die Augen. ,,Aber, Leonardo, dass alles ist so unglaublich ungerecht…”, schniefte sie und ließ sich unter Tränen in seine Arme fallen.
,,Ich weiß.”, murmelte Leonardo und sie spürte, wie er sie noch fester an sich drückte. Dann strich er ihr einige nasse Strähnen aus dem Gesicht und streichelte sanft ihr rotblondes, weiches Haar.

*****

Leonardo strich ihr über den Rücken, als er plötzlich innehielt. Er hielt sie in den Armen. Und offenbar fühlte sie sich darin wohl.
Seine Gedanken schwirrten und begannen zu kreisen. Warum hielt er sie in den Armen? Und warum wehrte sie sich nicht dagegen, wie sie es damals in der Höhle getan hatte?
Doch dann verscheuchte er diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf Aruna. Er spürte, wie ihre Tränen allmählich eine nasse Stelle auf seinem Hemd hinterließen, doch er stieß sie nicht weg und hielt sie weiter fest.
Warum auch nicht? Niemand sah ihn, niemand sah sie, niemand sah sie beide… Er würde für keinerlei Gerüchte sorgen, weil hier niemand war, der sie hätte verbreiten können.
Und außerdem: Warum sollte er nach all den Jahren nicht auch mal ein Mädchen in den Armen halten dürfen? Mehr tat er ja nicht, auch wenn er es gern getan hätte, aber er wollte das stetig wachsenden Vertrauen nicht zu Grunde richten, indem er zu früh zu viel wollte.
Trotzdem senkte er seine Lippen in ihre Haare. Er küsste sie nur ganz leicht. Wahrscheinlich hatte sie es nicht einmal bemerkt, doch er hatte es tun müssen.
Aruna drückte ihren Kopf weiter gegen seine Brust. Er hielt stand und strich ihr über die Wange. Noch immer weinte sie um den gefallenen Krieger, in dessen Brust noch immer ihr Schwert steckte. Der Krieger hatte erkannt, dass es das Schwert eines Asfalothen war.
,,Aruna.”, murmelte er. ,,Aruna.” Sie schniefte wieder, ließ jedoch von ihm ab. Ein Messer bohrte sich in sein Herz, als sie von ihm zurück trat. ,,Danke.”, sagte sie leise und noch immer unter leichten Tränen. ,,Danke für … Danke fürs Dasein…”
Dann veränderte sich augenblicklich ihr Gesichtsausdruck und sie wurde wieder die tapfere junge Frau, die er kennen gelernt hatte. Er hatte ihr nicht zugetraut, dass auch sie Gefühle zeigen konnte. Zumindest nicht so intensiv.
Eine Träne kullerte über seine Wange, doch er strich sie weg. Nein, er wollte jetzt nicht weinen, wo doch Aruna schon so viele Tränen vergossen hatte.
Er sah auf seine Brust. Das Hemd zierte ein großer, feuchter Fleck aus Tränenflüssigkeit. Er lächelte, denn es war ein Beweis für ihn, dass er ihr nicht völlig egal war. Sie hatte sich an ihn gelehnt und Trost gesucht.
Aruna nahm zog das Schwert aus dem leblosen Körper und säuberte die Klinge an einer der anderen Leichen, bevor sie wieder auf Orlando stieg, der brav gewartet hatte. ,,Wir müssen weiter.”, sagte sie und Leonardo sprang auf Persias Rücken.
Offenbar hatte sie gerade das dringende Bedürfnis, von hier weg zu kommen. Leonardo verstand das zu allzu gut. Obwohl er immer wieder versuchte, das Bild des toten Kriegers zu verdrängen, fiel es über ihn herein.
Aber ohne den Tod des Kriegers hätte er Aruna niemals in den Armen gehalten. War der Tod eines Mannes wirklich das wert gewesen? Nein, aber es war die Entscheidung des Mannes gewesen. Er hatte immerhin die Freiheit zurück bekommen.
Am frühen Abend erreichten sie dann endlich Goldan. Aruna schien ihre Trauer vergessen zu haben, doch Leonardo glaubte, dass sie nur versuchte, sie zu verdrängen.
An der Stadtmauer wurden beide jedoch von einem Wächter aufgehalten. In weiser Voraussicht hatte Aruna die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, denn immer noch war Reiten und Kämpfen für Frauen verboten, auch wenn er selbst inzwischen akzeptiert hatte, dass sie die Gesetze brach.
,,Wer seid ihr, Fremde?”, fragte der Wächter und versperrte ihnen den Zutritt. Leonardo hielt Persia an und verbeugte sich leicht. ,,Ich bin Prinz Leonardo von Silaeta.”, sagte er höflich. Dann zeigte er auf Aruna. ,,Das ist mein Leibwächter Thomasius.”
,,Es ist mir eine Ehre, Euch in Goldan begrüßen zu dürfen, Euer Hoheit.”, sagte der Wächter, nahm den Speer weg und verbeugte sich. ,,Ich hoffe, Ihr werdet angenehme Tage in Goldan verbringen. Alles, was Ihr wünscht, sollt Ihr bekommen, wenn Ihr den Wunsch nur äußert.”
,,Das trifft sich gut, Herr.”, erwiderte Leonardo. ,,Ich bin auf der Suche nach der Wächterin, Custos Aedis.”
Der Wächter taumelte ein paar Schritte zurück. ,,Was wollt Ihr, Euer Hoheit?”, fragte er völlig verschreckt. Leonardo nickte verständnisvoll. ,,Ich verstehe Eure Aufruhr voll und ganz, doch ich bin im Auftrag der Krone hier. Keinem Schatz wird etwas zustoßen, ich schwöre.”, antwortete Leonardo ruhig.
,,Euer Wunsch sei Euch gewährt, Euer Hoheit.”, sagte der Wächter, winkte einen anderen heran und sprach in schnellen leisen Worten zu ihm. Der andere Wächter nickte und eilte davon.
,,Wartet einen Augenblick hier.”, sagte der Wächter schließlich, stellte sich wieder auf seinen Platz und hob den Speer, nachdem sie hindurch geritten waren. ,,Er wird Custos Aedis zu Euch hierher bringen. Habt Geduld.”
Wenig später kam der andere Wächter zurück, an seiner Seite eine junge Frau, die nur wenig älter war als er selbst. Ihre blonden Locken wirbelten ihm ihren Kopf, doch obwohl er sie durchaus ganz hübsch fand, wusste er tief in sich, dass er Aruna bereits sein Herz gegeben hatte und dies auch nicht rückgängig machen wollte.
Leonardo stieg vom Pferd und überreichte dem Wächter die Zügel. Aruna tat es ihm gleich. ,,Kümmert Euch gut um die beiden, sie sind sehr wertvoll.”, sagte er und strich Persia zum Abschied noch einmal kurz über die Nüstern.
,,Wer seid Ihr?”, fragte Custos Aedis, als der Wächter außer Hörweite war. ,,Ich bin Prinz Leonardo von Silaeta.”, sagte er. ,,Ich weiß, dass Rabanus’ Männer auf dem Weg hierher sind, um die Phiole des Lichts zu stehlen. Das zu verhindern ist meine Aufgabe.”
,,Und wer seid Ihr?”, wandte sie sich an Aruna. Leonardo spürte, wie er zitterte. Arunas Tarnung durfte nicht auffallen. Nicht jetzt vor all den anderen Menschen.
,,Verzeiht, Custos Aedis, hier sind zu viele Menschen anwesend. Die Identität meines Begleiters soll so geheim wie möglich bleiben, versteht Ihr?”, kam Leonardo Aruna zu Hilfe.
Custos Aedis sah Aruna mit einem seltsamen Blick an und nickte schließlich. ,,Einverstanden, aber bitte nennt mich Celica, dass ich mein normaler Name. Niemand soll wissen, dass ich die Wächterin des Tempels bin.”, sagte sie.
Leonardo nickte. ,,Okay, bringt uns bitte zum Tempel, wir haben nicht viel Zeit.”, meinte er. ,,Rabanus ist uns sehr dicht auf den Fersen. Immer wieder wurden wir von Spionen angegriffen, was bedeutet, dass er näher ist, als wir bisher geglaubt haben.”
,,Ich verstehe.”, sagte Celica. ,,Folgt mir!” Dann eilte sie davon und Leonardo hatte Mühe, mit ihren unglaublich langen Schritten Schritt zu halten. Aruna erging es nicht anders, wie er mit einem Seitenblick feststellte.
Einige Minuten quer durch Goldan und dann durch einen schmalen Gang führte Celica sie. Schließlich stand er direkt vor dem Großen Tempel, den die Tempelritter damals in den Felsen gehauen hatten. Es mussten wirklich grandiose Baumeister gewesen sein.
Celica öffnete das Portal und ließ sie eintreten. ,,Hier hört uns niemand.”, sagte sie. ,,Ich möchte, dass sich Euer Begleiter zeigt.”
Nein, schoss es Leonardo durch den Kopf. Nein, es durfte nicht an die Öffentlichkeit geraten. Die Tarnung durfte nicht auffliegen. Es wäre alles umsonst, wenn…
In diesem Augenblick jedoch zog Aruna ihre Kapuze vom Kopf. ,,Mein Name ist Aruna und ich bin eine Dienerin und Spionin der Königin. Ich habe ein Gespräch von Rabanus und seinen Handlangern belauscht, als diese beschlossen, das Licht stehlen zu wollen.”, erklärte sie. ,,Aber die Gesetze zwingen mich, meine Identität zu verhüllen und zu verschleiern.”
,,Ich verstehe.”, sagte Celica langsam. ,,Das Licht ist am Ende des Ganges. In einer viertel Stunde müsst Ihr wieder von hier verschwunden sein!” Leonardo nickte. ,,Ich danke Euch, Celica.”
Dann nahm er Aruna an der Hand und rannte mit ihr bis in den abgelegensteten Winkel des riesigen Tempels. Er bemerkte er am Ende des Laufes, dass er Aruna überhaupt an die Hand genommen hatte und wunderte sich darüber. Verwirrt ließ er sie los.
Vor ihnen lag das wertvollste Stück, dass Silaeta besaß: Die Phiole des Lichts. Ein kleines, längliches Gefäß mit geschwundenen Verzierungen und Runen, ein ähnliches Muster, dass er in silbern auf der Haut trug.
Die Phiole verhalf dem Träger und gewaltiger Macht. Bei Gefahren konnte sie den Gegner blenden und dem Träger die Zukunft wissen lassen. Der Träger fühlte sich dann, als ob das sein Instinkt wäre, der ihm den richtigen Weg zeigte.

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BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDi Mai 17, 2011 3:52 pm

Es dauerte nicht allzu lange, als seine kleine Armee wieder anhielt. Und wieder rief einer der Krieger aufgeregt: ,,Mein Herr!”
Rabanus kam sich vor wie in einem schlecht geplantem Déjà-vu. Doch es gab einen kleinen, aber feinen Unterschied: Sein Pferd. Der Dunkelbraune wehrte sich nicht mehr, sondern stolperte müde vor sich hin, als Rabanus durch die Gasse ritt, die die Krieger für ihn gebildet hatten.
Er versuchte, zu verdrängen, dass dieses Pferd ihn schon wieder vor all seinen Männern blamierte. Als ob er auf einem alten Ackergaul sitzen würde statt auf einem Streitross!
,,Was zum Teufel sollen diese ständigen, überflüssigen und nervigen Pausen!?”, fauchte er, während er nach vorn ritt. ,,Wir haben es eilig, da können wir doch nicht wegen jedem Sandkorn anhalten, das auf unserem Weg liegt!”
Seine Spione, die er von Brando hatte ausschicken lassen, waren ebenfalls noch nicht zurückgekehrt, doch er machte sich keine großen Gedanken darum. Immerhin hatten sie wegen den letzten Spionen massig Zeit verloren, so dass der Prinz und diese Schnepfe wahrscheinlich längst an den Mauern von Goldan klopften, bevor er die Stadt überhaupt sehen würde.
Doch sein Déjà-vu wurde plötzlich real, als er das Blutbad sah. Sechs Männer, allesamt tot. Vier lagen auf einem Haufen, einer war gefesselt und der letzte sah mit leeren Augen dankbar auf.
Rabanus konnte erkennen, dass auch dieser Mann gefesselt gewesen sein musste, denn er hatte Striemen an den Handgelenken. Jemand hatte ihn dann losgeschnitten.
Auf seinem Oberkörper klaffte eine große Wunde, sein Hemd war mit Blut besudelt. Er war also erstochen worden. Der Haltung seines Körpers und seiner Hände nach zu urteilen war es möglicherweise sogar Selbstrichtung. Allerdings war das Schwert, mit dem die Tat begangen wurde, unauffindbar.
,,Ich hätte niemals gedacht, dass sich so viele unfähige Männer unter meinen Kriegern befinden würden.”, sagte er mit lauter, kräftiger und anklagender Stimme. ,,Männer ohne Ehre, Männer ohne Treue! Wie sollen wir so Silaeta in unseren Besitz nehmen!?”
Die Krieger sahen erschrocken von den Leichen auf und blickten ihn an. In einigen Augen konnte Rabanus Furcht sehen und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
,,Lasst sie liegen!”, befahl er und wendete sein noch immer müde vor sich hin stolperndes Pferd. ,,Wir sind kurz vor Goldan! Kurz vor dem ersten Ziel! Weiterer Zeitverlust darf nicht geschehen, oder alles war für umsonst!”
Die Krieger nickten. ,,Aber, meine Krieger, aber ich sehe Furcht in euren Augen. Furcht vor dem neuen Tag. Furcht vor dem Kampf. Eine Furcht, die euch hindert, etwas Großes zu schaffen!”, rief Rabanus laut. ,,Vergesst die Furcht, oder ihr werdet allesamt daran zerbrechen!”
Die Krieger jubelten und ritten wieder an. ,,Na also.”, murmelte Rabanus. ,,Offenbar haben sie es begriffen, diese Flaschen.” Er setzte sich tief in den Sattel und versuchte durch starkes Annehmen der Zügel seinen Dunkelbrauen in eine halbwegs stolze und edle Pose zu bekommen, doch der Hengst reagierte wie eine Maschine und sah alles andere als edel aus. Es hatte seine einst so stolze Haltung und den feurig funkelnden Blick für immer verloren.
Am Abend erreichten sie dann endlich die Stadtmauern von Goldan, doch zu solch später Stunde waren die Tore bereits geschlossen. Rabanus drängelte sich wieder nach vorn, stellte sich in die Steigbügel und machte sich so groß, wie er nur konnte.
,,He!”, schrie er. ,,He, öffnet das Tor!” - ,,Wer schreit da?”, antwortete eine Stimme. ,,Wer schreit denn da?” - ,,Öffnet die Tore!”, befahl Rabanus und ignorierte die Frage. ,,Das ist ein Befehl seiner Majestät König Arodos!”
Im Tor wurde eine schmale Luke geöffnet. ,,Wer seid Ihr und warum stört Ihr zu solch später Stunde?”, fragte der Wächter, der durch die Luke schielte.
,,Verzeiht, dass ich mich nicht vorstellen konnte.”, antwortete Rabanus. ,,Meine Name ist Rabanus und ich bin der Berater seiner Majestät. Ich bin auf seinem Geheiß hier. Seine Majestät hat verlangt, dass ich mich so schnell wie nur möglich in den Tempel begeben soll.”
,,Das ist unmöglich.”, antwortete der Wächter. ,,Den Tempel darf nur die Tempelwächterin allein betreten. Wenn Ihr in den Tempel wollt, müsst Ihr sie um Erlaubnis bitten.”
,,Dann bringt sie zu mir und lasst mich und meine Leibgarde eintreten!”, befahl Rabanus. Der Wächter schob die Luke zu und öffnete das Tor. ,,Ich habe einen anderen Wächter nach ihr ausgeschickt.”, erklärte der Mann. ,,Custos Aedis ist auf dem Weg zu Euch, wartet hier.”
Rabanus stieg von seinem Pferd, viele der anderen Krieger taten es ihm gleich. An seine Seite gesellten sich Marek und Brando, seine beiden verbliebenen Freunde, nachdem Paragon ihn so hinter das Licht geführt hatte.
Der Wächter nahm allen die Pferde ab und brachte sie in eine Art Paddock, wo sie Futter und Wasser bekamen, während Rabanus sich die Umgebung ansah. Er war noch nie hier in Goldan gewesen. Der König hatte ihn nie hierher geschickt.
,,Berater Rabanus, das ist Custos Aedis.”, sagte der Wächter. ,,Custos Aedis, das ist Rabanus, der Berater seiner Majestät König Arodos.” Dann lief er eilig wieder zurück auf dem ihm zugeteilten Posten.
,,Freut mich, Euch kennen zu lernen, Custos Aedis.”, sagte Rabanus. Custos Aedis kniff die Augenbrauen zusammen. ,,Ob es mich freut, kann ich Euch momentan noch nicht sagen.”, entgegnete sie, doch er fühlte sich nicht beleidigt.
,,Custos Aedis, ich würde gerne dem Tempel einen Besuch abstatten, aber ich hörte, dass ich Euch dafür um Erlaubnis bitten muss.”, begann Rabanus.
,,Was wollt Ihr in dem Tempel?”, fragte Custos Aedis. ,,Nennt mir einen ordentlichen Grund, oder ihr werdet nicht einmal die Mauern sehen.”
,,Verzeiht, wenn ich unhöflich erscheine… Aber ich führe Befehle aus, und diese Befehle gehen niemanden etwas an.”, meinte Rabanus und lächelte. ,,Wäret Ihr also so freundlich und würdet mir den Tempel zeigen?”
,,Nein, erst wenn Ihr mir verratet, was Ihr dort zu finden glaubt.”, erwiderte Custos Aedis. ,,Wir können meinetwegen auch die ganze Nacht hier stehen und uns darüber unterhalten.”
,,Der König hat mir befohlen, die Phiole zu ihm zu bringen.”, sagte Rabanus schließlich. ,,Er möchte sie bei sich wissen, wenn der Krieg gegen die Nebellandkrieger beginnt. Er fürchtet einen harten Kampf und will die Phiole für Silaeta einsetzten, um den Krieg zu gewinnen und nicht allzu große Verluste zu beklagen haben, versteht Ihr?”
,,Was für eine Phiole? Wovon sprecht Ihr?”, hakte Custos Aedis nach. Rabanus sah sie fragend und verwirrt zugleich an. ,,Von der Phiole des Lichts natürlich!”, antwortet er. ,,Lasst Ihr mich nun in den Tempel, damit ich sie für Majestät holen kann?” Er versuchte, sie mit einer melodischen Stimme zu umschmeicheln. Es hatte bisher bei allen Frauen funktioniert, warum sollte es dann nicht auch bei Custos Aedis funktionieren?
,,Verzeiht, holder Herr.”, schnurrte sie. ,,Aber die Phiole ist schon seit einer Weile nicht mehr in Goldan. Der König ließ sie bereits nach Juan holen. Offenbar ist sie längst bei ihm.”
Rabanus unterdrückte einen wütenden Schrei. ,,Die Phiole ist in Juan!?”, fauchte er. Custos Aedis nickte. ,,Wie Ihr seht, holder Herr, ich kann Euch nicht helfen.”
Ohne ein Wort drehte Rabanus sich um und lief zurück zu den Stallungen. ,,Männer, auf die Pferde!”, schrie er. ,,Wir reiten sofort zurück nach Juan! Auf die Pferde!”
,,Nach Juan?”, fragte Marek. ,,Habt Ihr die Phiole?” Rabanus schüttelte den Kopf. ,,Diese beiden Dummköpfe waren vor uns hier und haben sie mitgenommen. Wir müssen augenblicklich zurück nach Juan und unterwegs brauchen wir dringend einen Plan!”

*****

Aruna strich über die feinen Runen auf der Phiole, als plötzlich laute Schritte erklangen. Leonardo zog zu Sicherheit sein Schwert, doch dann erkannte sie, dass es nur Celica war.
,,Ihr seid in Gefahr!”, rief sie aufgeregt und verwirrt. ,,Dieser Rabanus! Er war hier! Er will die Phiole! Ihr habt nicht gelogen!”
,,Er war hier?”, fragte Leonardo und packte das Schwert weg. ,,Hier in Goldan? Im Tempel?” Celica schüttelte den Kopf. ,,Nicht im Tempel.”, erklärte sie. ,,Man hat mich gerufen und zu diesem Rabanus gebracht. Er hat nach mir verlangt gehabt. Da ich Eure Geschichte kannte, habe ich versucht, heraufzufinden, was er plant.”
,,Und was plant er?”, fragte Aruna. Celica kam noch einen Schritt näher. ,,Er wollte die Phiole. Seine Majestät König Arodos habe es ihm befohlen!”, antwortete Celica. ,,Doch ich glaubte an Eure Variante und ich spürte, dass er nicht das wollte, was er vorgab. Ich habe ihm erzählt, dass sie Phiole nicht mehr hier wäre.”
,,Wozu?”, hakte Leonardo nach. ,,Er wusste, dass die Phiole hier ist.” - ,,Das weiß ich, aber ich habe ihm gesagt, dass der König die Phiole schon längst nach Juan hat bringen lassen und sie nicht mehr in Goldan wäre.”, gestand Celica. ,,Ich wollte euch doch nur schützen!”
,,Was ist dann geschehen, Celica?”, fragte Aruna. ,,Hat er noch irgendetwas gesagt, was wichtig sein könnte?” Celica schüttelte den Kopf. ,,Nein, er ist ohne eine Verabschiedung von mir gegangen und hat seinen Männern befohlen, sofort loszureiten.”, sagte sie. ,,In wildem Galopp sind sie hinaus in die Wüste geprescht.”
Aruna sah Leonardo einen Augenblick lang an. Er verstand, nahm die Phiole, während sie aus dem Tempel lief und im Rennen den Handschuh überzog. ,,Altair!”, rief sie. ,,Altair!” Sie stieß ihren markanten Pfiff aus und gleich darauf kreiste der Bussard über ihr, bevor er im Sturzflug rasend schnell in ihre Richtung kam.
,,Altair, mein Freund.”, murmelte sie und klopfe auf ein Stück Stein, worauf der Greifvogel sich dorthin setzte. Rasch zog sie ein Stück Papier, die Feder und die Tinte hervor und schrieb eine Nachricht an die Rebellen.
,,Meine Freunde, Rabanus plant einen Angriff auf Juan. Der König muss beschützt werden. Wir sind auf dem Weg, aber ich fürchte, wir kommen zu spät.”
Dann faltete sie den Zettel, packte das Schreibzeug weg und nahm Altair wieder auf die Faust. ,,Mein Freund, fliegt so schnell wie möglich zu den Rebellen und bringt ihnen diese Nachricht. Ich verlasse mich auf Euch.”, murmelte sie. Dann folg der Bussard auch schon davon.
Hinter ihr stand plötzlich, wie aus dem Nichts aufgetaucht, Leonardo. ,,Er wird es schaffen. Er wird Lucan, Arion und Roan warnen, ich glaube fest daran.”, sagte er. Aruna nickte vorsichtig. ,,Er war hier.”, schluchzte sie. ,,Ich habe geglaubt, wir hätten Vorsprung, aber er war hier…”
Leonardo nahm sie sanft in seine Arme. ,,Ich weiß…”, murmelte er. ,,Es wäre fatal gewesen, wenn er uns gefunden und angegriffen hätte. Ich hätte meinen Vater nie wieder sehen können. Und Sylvia auch nicht…”
,,Mich hätte niemand vermisst. Ich hatte nie eine Mutter und mein Vater ist tot.”, schluchzte sie und auf einmal kam eine Welle von Traurigkeit, die sie überrollte. ,,Wisst Ihr eigentlich, wie gut Ihr es habt? Ein Vater, eine Mutter… Irgendjemand würde Euch vermissen, wenn Euch etwas zustoßen würde… Mich dagegen….” Sie schluchzte wieder.
,,Mich dagegen würde niemand vermissen…” - ,,Aruna.”, murmelte Leonardo. ,,Natürlich würde Euch jemand vermissen…” - ,,Und wer? Orlando? Altair?”, schluchzte sie. ,,Mich würde niemand vermissen…”
,,Doch.”, sagte Leonardo. Aruna schluchzte wieder. ,,Und wer soll das sein? Die Rebellen?” - ,,Ich.”, antwortete Leonardo. Es war nur ein Wort, aber es hatte gewaltige Macht.
Aruna sah zu ihm auf. ,,Ihr würdet mich vermissen?”, fragte sie langsam. Leonardo nickte. ,,Ich weiß, es ist für Euch sehr schwer vorstellbar, aber ich wünschte, ich hätte Euch damals nie gefangen genommen und nach Juan gebracht.”, erklärte er. ,,Ich habt solch ein Schicksal nicht verdient, wie es das Gesetz verlangt hat.”
,,Seit Ihr sicher?”, fragte Aruna. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie seine Oberarme umklammerte und ihm so nah stand, dass sie seinen Atem spüren konnte.
Leonardo nickte. ,,Wir müssen nach Juan. Wir müssen den König beschützen.”, sagte er schließlich und wand sich aus ihrer Umklammerung. ,,Silaeta braucht uns jetzt, Aruna.”

*****

,,Ich frage mich, wie es wohl Aruna geht.”, überlegte Arion laut, während er Anatol striegelte. ,,Sie hat nicht ein Zeilchen geschrieben, seit sie gegangen ist.”
,,Macht nicht so ein sorgenvolles Gesicht.”, erwiderte Lucan. ,,Ihr wird schon nichts passiert sein, dass wüssten wir. Und davon abgesehen kann sie Altair ja nicht rund um die Uhr beschäftigen. Der Arme Bussard!”
Roan sagte jedoch nichts, während er sorgfältig den Schweif von Albin verlas, aber Lucan hatte auch nichts anderes erwartet. Er wusste nur zu gut, dass Roan nur im Notfall sprach.
,,Aber immerhin hätte sie doch wenigstens einmal schreiben können!”, murrte Arion. ,,Ich glaube schon fast, sie hat uns vergessen…”
,,Vergessen!”, lachte Lucan. ,,Ja klar! Und warum sollte sie uns vergessen haben? Wir sind neben Philitis ihre Lehrmeister in Sachen Kämpfen!”
,,Wenn sie zurück kommt, kann sie Euch und Euren Egoismus wahrscheinlich im Schlaf besiegen, Lucan.”, meinte Arion. ,,Alles kommt zu dem von selbst, der warten kann.”
,,Pah!”, machte Lucan und widmete sich wieder dem Fell von Darius. ,,Hab ich Euch schon mal erzählt, was für einen tollen Namen Ihr eigentlich habt, Darius?”, murmelte er.
Der Dunkelfuchs schüttelte den Kopf. Lucan lachte. ,,Euer Name bedeutet ,,Besitzer des Guten”, mein Freund. Ich glaube, Ihr besitzt nicht nur das Gute, Ihr kämpft auch für das Gute, oder?” Der Hengst schnaubte leise.
,,Schau dir deine vierbeinigen Freunde an, die haben keine so edlen Namesbedeutungen. Anatol bedeutet einfach nur ,,Sonnenaufgang” und Albin bedeutet ,,der Weiße”, dabei ist Albin ja nicht einmal komplett weiß!”, erklärte er dem Hengst.
,,Nichts gegen Roans Sir Albin!”, fauchte Roan. ,,Und überhaupt: Wo Ihr Euch schon über mangelnden Schriftverkehr beklagt, Lucan, seht doch einfach mal nach oben.”
Lucan blickte ihn verwirrt an. Da sah er nach oben. ,,Altair?”, murmelte er. ,,Habt Ihr mich erhört oder träume ich?” - ,,Träumen!”, lachte Arion. ,,Ihr und träumen! Das wäre ja mal wirklich etwas ganz Neues!”
Lucan ignorierte den Kommentar und folgte den Kreisen von Altair mit den Augen. Fast mechanisch zog er einen alten Lederhandschuh an und streckte den Arm aus.
,,Altair!”, rief Lucan. ,,Altair!” Der Bussard stieß einen Schrei aus und ging in den Sturzflug über. Sanft landete er auf seiner Faust. ,,Schickt Aruna Euch, mein Freund?”
Der Bussard sah ihn mit seinen scharfen Augen an. Seine Krallen bohrten Löcher in den alten Handschuh und hinterließen Kratzer auf seiner Haut, doch es war ihm egal.
Dann sah Lucan, dass Altair eine Nachricht bei sich hatte. Er nahm den Zettel ab, faltete ihm auf und überflog die kurze Nachricht. Sie stammte offenbar von Aruna.
,,Freunde… Wir haben ein Problem…”, fing Lucan an. Arion unterbrach seine Arbeit. ,,Was für ein Problem?”, fragte er. ,,Es ist doch Aruna nichts passiert, oder?”
Lucan schüttelte den Kopf. ,,Nein, aber hört mal: ,,Meine Freunde, Rabanus plant einen Angriff auf Juan. Der König muss beschützt werden. Wir sind auf dem Weg, aber ich fürchte, wir kommen zu spät.” Für mich klingt das nach keiner guten Nachricht.”, sagte er. ,,Oder seht Ihr das etwa anders, Arion?”
,,Ganz und gar nicht!”, rief dieser. ,,Wir müssen etwas tun.” - ,,Und was?”, fragte Lucan. ,,Nach Juan gehen und dort unsere Gefangennahme riskieren?”
,,Natürlich nicht.”, meinte Roan. ,,Wir rufen die anderen Asfaloth zusammen. Und wir schicken Altair zur Königin. Sie könnte uns helfen, denn immerhin vertraut Aruna ihr.”
,,Roan, Ihr habt wahrhaftig den brillantesten Kopf der Welt!”, rief Arion. ,,Ich habe einen Plan. Reicht mir mal Tinte, Feder und Papier!” Lucan gab ihm verwirrt das Schreibzeug und Arion setzte sich hin und schrieb.
,,Aber schreib nicht irgendwelchen dichterischen Blödsinn.”, mahnte Lucan. ,,Das hier ist das wahre Leben, keine Literaturstunde” - ,,Dann schweigt doch bitte einfach mal eine Minute, Lucan.”, warf Arion ein. ,,Wie soll ich mich sonst konzentrieren?”
Lucan nickte und wanderte auf und ab. ,,Wie lange braucht Ihr denn bloß”, murmelte er. ,,Das dauert ja eine Ewigkeit.” - ,,Alles kommt zu dem von selbst, der warten kann.”, konterte Arion. ,,Und jetzt schweigt bitte eine Minute.”
,,Schon gut, schon gut.”, erwiderte Lucan, lief aber weiter auf und ab. Auf einmal war Arion fertig, faltete den Zettel und gab ihn Altair. ,,Ich weiß, Altair, Ihr bringt Nachrichten nur von und an Aruna, aber diese muss eine Ausnahme sein. Bringt das bitte der Königin.”, sagte Arion eindringlich. ,,Bitte, Altair. Nur dieses eine Mal.”
Der Greifvogel zwinkerte und erhob sich in die Lüfte. Lucan hoffte, dass er Arion verstanden hatte und die Nachricht nicht zu Aruna brachte. Mehr als hoffen konnte er allerdings auch nicht.
,,Nun zum zweiten Teil.”, sagte er. ,,Wir finden wir die anderen Asfaloth? Sie können in ganz Silaeta sein!” - ,,Das glaube ich ehr weniger.”, entgegnete Arion. ,,Die meisten werden noch in Juan sein, da sie dort ihre Familien haben.”
,,Reiten wir also los. Immerhin sind wir noch in der Nähe.”, rief Lucan begeistert, doch Arion schüttelte den Kopf. ,,In Juan wird man uns die Köpfe abschlagen!”, rief er. ,,Wir brauchen ein Zeichen. Eine Botschaft.”
,,Eine Botschaft!”, rief Lucan. ,,Das ist es! Wir malen unser Zeichen für Versammlung an alle Wände in Juan. Die Stadt betreten wir natürlich in Verkleidung. Wenn wir um dringende Versammlung im alten Ordensgebäude bitten, werden die wahren treuen Asfalothen zu uns finden.”
,,Ihr habt es endlich verstanden, Lucan.”, lachte Arion. ,,Worauf warten wir noch? Auf zur Rettung der Asfalothenkrieger!”
Lucan begann sofort, Darius zu satteln und innerhalb weniger Minuten saßen alle drei Rebellen auf ihren Pferde. Über ihrer normalen Kleidung trugen sie schwarze Kapuzenmäntel, in denen sie sich kaum gegenseitig erkannten.
Am nächsten Tag hatten sich tatsächlich fast alle der Asfalothen im alten Ordensgebäude eingefunden - sehr zur Verwunderung Lucans, der bis zuletzt ein wenig skeptisch gewesen war.
Altair hatte Königin Sylvia tatsächlich die Nachricht gebracht. Am frühen Morgen hatte er eine Antwort gebracht. Arion hatte sie in der Nachricht gefragt, ob sie wusste, wo die Ausrüstungen der Asfalothen waren, denn verbrennen lassen hatte Rabanus sie nicht.
Die Königin hatte erzählt, dass sie in der Krypta des Ordensgebäudes lagen und vor der Versammlung hatte Lucan mit Arion und Roan nachgesehen. Alle Schwerter und alle Uniformen waren unversehrt, als hätte jemand seine schützende Hand darüber gehalten.
Jetzt stand Lucan vor den versammelten Asfaloth. Arion und Roan hatten entschieden, dass es am besten wäre, wenn er die große appellierende Rede halten würde. Immerhin hatte er irgendetwas an sich, dass ihm zum perfektem Anführer machte.
,,Meine Brüder, ich freue mich, dass ihr alle erschienen seid, auch, wenn es gegen die Gesetzte von Silaeta verstößt, aber was sind schon Gesetze, wenn sie von Lügnern und Betrügern gemacht worden sind, um die Wahrheit zu unterdrücken!?”, fing er an.
,,Ich habe euch nicht umsonst hierher gerufen. Der Berater des Königs, Rabanus, spielt falsch. Alle Zeichen deuten daraufhin, denn er ist Orka. Er ist unter falschem Namen zurückgekehrt und will den König dafür strafen. Er wollte dazu die Phiole des Lichts aus Goldan stehlen, doch Prinz Leonardo von Silaeta und die Tochter unseres von Orka ermordeten Kriegers Philitis, Aruna, haben dies erfolgreich verhindert.
Arion, Roan und ich halten seit einiger Zeit Kontakt zu ihr. Sie hat berichtet, dass sie die Phiole sichern konnten, doch Rabanus ist mit eben diesem Wissen und höchstwahrscheinlich furchtbaren Plänen auf dem Weg nach Juan.
Auch Prinz Leonardo und Aruna sind auf dem Weg nach Juan, doch Rabanus hat ein paar Stunden Vorsprung und wird demzufolge ehr in Juan eintreffen. Wir wissen nicht, was er plant, aber wir wissen, dass wir es zu dritt niemals schaffen können, ihn aufzuhalten.
Königin Sylvia ist auf unserer Seite und hat uns verraten, dass Rabanus die Ausrüstungen, die ihr abgegeben habt, in der Krypta unter uns aufbewahrt werden. Dort sind sie tatsächlich noch dort, unverstaubt und wie neu.
Ich appelliere an eure Vernunft, meine Brüder! Helft, unseren König und ganz Silaeta vor dem Betrüger, Lügner und Verräter Rabanus zu retten! Rabanus ist Orka und Orka hat unseren Bruder umgebracht! Tretet dem Orden wieder bei, auch wenn Rabanus dagegen ist! Kämpft wieder Seite an Seite für Recht und Ordnung, sonst sind wir alle verloren…”
Er schwieg und ein Augenblick von unheimlicher Stille brach über den Versammlungsraum ein. Lange, quälende Minuten vergingen. Lucan war sich schon fast sicher, dass es nicht bei den anderen angekommen war, was er sagen wollte. Er war sich fast sicher, dass niemand verstanden hatte, wie ernst die Lage wirklich war.
Plötzlich standen Arion und Roan auf und begannen, zu applaudieren. Dem Jubel schlossen sich der Reihe nach alle Asfalothen an. Der Raum bebte unter all dem Jubel.
Lucan war erleichtert. Er hatte nicht mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Er hatte nicht geglaubt, dass die Asfalothen ihren Glauben an Zusammenhalt und Schutz für den König nicht verloren hatten, aber das, was er jetzt sah und hörte wischte all seines Zweifel davon.

*****

,,Wieder ein Jahr vorbei und weiter nagt das Alter an mir.”, murmelte er und starrte in den Spiegel an der Wand. ,,Ob ich es noch erleben werde, wie mein Enkel oder meine Enkelin geboren wird?” Er seufzte.
Seine Zeit wurde immer knapper, aber sein Sohn schien nicht begreifen zu wollen, dass er einen Erben zeugen musste. Die Dynastie musste erhalten bleiben.
Arodos strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sein Geburtstag nahte und eigentlich wollte er in diesem Jahr keinen Geburtstag mehr feiern. All diese Feste - sie zehrten an seiner Kraft und er wusste nicht, ob er seine Kraft irgendwann noch einmal brauchen würde.
,,Keine Rede dieses Jahr.”, sagte er zu seinem Spiegelbild. ,,Keine Rede dieses Jahr.” Das Spiegelbild starrte ihn an, doch Arodos hielt eine Weile stand und musterte sich. Falten zeugten von seinem Alter und Narben von den Kämpfen, die er bestritten hatte.
Er wandte sich schließlich ab und zog seinen Umhang über. Dann nahm er die Krone und setzte sich sie auf sein Haupt. Mit stolzem Blick sah er ein letztes Mal in den Spiegel. Ja, er musste offenbar immer die Krone aufsetzen, sonst sah er aus wie ein alter, zerbrechlicher Mann.
Es klopfte an der Tür und er öffnete sie. Vor ihm stand Rabanus, sein Berater. ,,Berater Rabanus, was habt Ihr zu vermelden?”, fragte er. ,,Und wo wart Ihr so lange?”
Er trat hinaus und lief langsam den Gang hinunter, während Rabanus sich an seine rechte Stelle stellte und ebenso langsam dahin schritt. ,,Verzeiht, Majestät, doch ich musste mich um dringliche Angelegenheiten kümmern.”, antwortete dieser entschuldigend sich, wandte die Augen dem Boden zu und verbeugte sich leicht.
,,Nun, eigentlich bin ich gekommen, um mit Euch, Majestät, über die Vorbereitungen für Eueren Geburtstag zu sprechen.”, begann Rabanus, doch Arodos schüttelte den Kopf. ,,Nein, Berater Rabanus, ich werde dieses Jahr nicht wieder solch ein gigantisches Fest feiern wie letztes Jahr.”, unterbrach er Rabanus.
,,Kein Fest?”, fragte Rabanus verwirrt. ,,Aber die Menschen warten schon auf das Fest. Und auf Eure Rede auf dem Balkon. Majestät, Ihr könnt sie doch nicht so kränken!”
,,Es gibt dieses Jahr keine Rede, Rabanus.”, sagte der König bestimmt. ,,Die Feste zehren an meinen Kräften und ich kann sie nicht für sinnlose Dinge vergeuden wie ein Geburtstagsfest!”
,,Die Menschen werden nicht erfreut sein, so etwas zu hören… Sie lieben Euch und Eure Rede…”, meinte Rabanus beiläufig. ,,Aber dann werde ich gehen, um die schlechte Nachricht den Menschen zu überbringen…”
,,Rabanus, noch nicht.”, sagte Arodos und unterbrach ihn abermals. ,,Ihr seid viel voreilig! Mein Geburtstag ist erst in zwei Tagen, warum wollt Ihr also jetzt die Nachrichten schon verbreiten? Es ist doch überhaupt nichts beschlossen wurden!”
,,Ihr wollt die Rede also doch halten, Majestät?”, hakte Rabanus nach. Arodos sah ihm nicht in die Augen. ,,Ich bin Monarch und die Menschen und Silaeta stehen an erster Stelle noch vor meinen Bedürfnissen. Wenn sie tatsächlich wollen, dass ich eine Rede halte, so werde ich das auch tun.”, sagte er.
Für einen Augenblick glaubte Arodos, ein verschwörerisches, hinterhältiges Leuchten in den Augen von Rabanus zu sehen, doch er blinzelte kurz und es war wieder verschwunden. Offenbar hatte er sich getäuscht.
,,Wie werdet Ihr Euch einkleiden? Eure Kleider müssen angefertigt werden und Ihr müsst Eure Rede ausarbeiten…”, begann Rabanus und seine Worte überschlugen sich. Arodos hob die Hand, um ihn zu stoppen. ,,Ich werde mich allein um alles kümmern, Rabanus.”
,,Aber, Majestät, denkt an Euer Alter, an Eure Gesundheit, an Euer Leben!”, rief Rabanus. ,,Ihr könnt Euch doch nicht mit solch nichtigen Dingen Eure Kräfte nehmen lassen! Dafür bin ich doch da! Majestät!”
,,Ihr seid dazu da, meine Kräfte zu rauben, Rabanus?”, fragte Arodos verwirrt. Rabanus schüttelte den Kopf. ,,Verzeiht… Majestät… Ich … Ich meinte, dass … ich sollte für Euch solche Arbeiten … erledigen…”, stammelte Rabanus.
Arodos blickte noch verwirrter drein. ,,Ich glaube, es wäre besser, wenn Ihr Euch zuerst einmal ausruht, Berater Rabanus. Ihr stammelt wirres Zeug und das kann ich jetzt ganz und gar überhaupt nicht gebrauchen!”, rief Arodos und beschleunigte seinen Gang.
,,Aber, Majestät…”, meinte Rabanus und passte sein Tempo an. Doch Arodos schüttelte den Kopf und beachtete ihn gar nicht mehr. ,,Geht und schlaft! Das ist ein königlicher Befehl!”, sagte er und verschwand ihm nächsten Raum, dessen Tür ins Schloss fiel, bevor sein Berater den Raum ebenfalls betreten konnte.
Was war das nur für ein komisches wirres Zeug gewesen, was Rabanus ihm erzählt hatte? Es schien ja beinahe so, als ob Rabanus ihn schwächen wollte. Als ob Rabanus ihn absichtlich zu dieser Rede gezwungen hatte - nicht der Menschen wegen, sondern, um seine Kräfte zu schwächen.
Arodos schüttelte den Kopf und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er war in seinem Verwaltungsraum, wie er erst jetzt bemerkte. Seufzend nahm er die Krone ab.
Vielleicht wurde ihm die Last, die Bürde, die er als König zu tragen hatte, doch schon zu schwer. War es vielleicht doch schon an der Zeit, Leonardo zu seinem Nachfolger zu ernennen und zum König zu krönen? Was, wenn er, Arodos, plötzlich einen Herzinfarkt bekommen und sterben würde. Er war immerhin auch nicht mehr der Jüngste.
Aber er würde wohl noch eine Weile durchhalten. Rabanus hatte gestammelt, weil er müde war und den komischen Blick hatte er sich sicher auch nur eingebildet. Wurde er jetzt vielleicht schon paranoid und begann, Hirngespinste zu sehen?

*****

,,Verflucht!”, zischte Rabanus. Fast hätte er sich selbst verraten, seine eigenen Pläne durchkreuzt und seine ganze Vorarbeit wäre zunichte gewesen.
Er hoffte, dass Arodos nichts ahnte, doch ganz sicher sein konnte er sich nicht. Andererseits war er wahrscheinlich viel zu sehr mit seiner Gebrechlichkeit beschäftigt und hatte längst wieder alles vergessen.
Rabanus eilte hinaus und nahm sich dort sein Pferd, dass noch immer gesattelt in einer der Boxen des Stalls stand. Eilig stieg er auf und rammte dem Dunkelbraunen die Sporen in die Flanken, doch der Hengst begann nur, im Schritt dahinzulatschen.
,,Schneller!”, rief Rabanus und klatschte ihn mit der Peitsche auf das Hinterteil, doch der Hengst schlenderte weiter vor sich hin, ohne schneller zu werden.
Er prügelte den Hengst mehr zu dem Versteck seiner Krieger, das ehemalige Hauptgebäude der Asfaloth, als dass er ritt. Das Versteck war grandios, denn niemand erwartete ihn dort. In der Krypta waren höchstens Mäuse und Ratten, aber da ging er sowieso nie hin.
Neben dem Versammlungsraum jedoch hatte er sich häuslich eingerichtet. Den Versammlungsraum selbst wollte er nicht nutzen, denn es war viel zu hell darin durch die großen Fenster.
Rabanus sprang vom Pferd und ließ den Hengst einfach draußen stehen. Sollte das dumme, lahme Vieh doch sehen, wo es blieb!
Im Hauptquartier warteten bereits seine Krieger. Eigentlich fast alle Krieger, außer die, die in Vajae mit Paragon bleiben mussten oder die, die zu feige zum Kämpfen waren und deshalb nur als Spione in Silaeta von ihm eingesetzt worden.
Er überblickte kurz die Reihen, die sich alle vor ihm verneigten. Es mussten ungefähr fünfzig Krieger sein. Eine gute Zahl. Asfaloth waren es damals auch immer ungefähr fünfzig gewesen, aber die Zeiten der Asfaloth waren längst vorbei.
,,Mein Freunde, meine Brüder!”, rief Rabanus. ,,Erhebt Euch!” Die Krieger standen auf und sahen erwartungsvoll zu ihm auf. Er lächelte hämisch.
,,Ihr wisst, dass unser großer Tag, unser Tag des Triumphes naht.”, begann er. ,,Ihr wisst, dass wir in nur zwei Tagen endlich die Herren von Silaeta sind, als die wird geboren worden sind. Die wahren Herren von Silaeta!”
Die Krieger jubelten und applaudierten, doch Rabanus lächelte nur. Er wusste, dass diese Krieger ihm für immer untertan waren. Er hätte ihnen genauso gut erzählen können, dass es draußen warm war und sie hätten applaudiert.
,,Aber wir müssen uns noch gedulden, meine Brüder.”, sagte Rabanus. ,,Wir müssen uns noch gedulden, denn niemand, außer unseren Brüdern, darf wissen, was wir planen. Und wir planen etwas richtig Großes! Wir planen, den falschen König zu stürzen, zu verwunden und ihn dann ins Grab zu schicken!”
Die Krieger jubelten wieder und Rabanus lachte. ,,Meine Brüder, wir werden Arodos überwältigen, wenn alle Augen auf ihn gerichtet sind. Wenn ganz Juan zu ihm aufsieht.”, erklärte er dann triumphierend. ,,Wir werden ihn vor allen Menschen stürzen - an seinem Geburtstag, wenn er seine Rede auf dem Balkon halten wird!”
Wieder jubelten die Krieger und wieder lächelte Rabanus nur. Sein Plan war einfach zu brillant. Der König würde sich nie zu schützen wissen, auch, wenn er jetzt vielleicht vorsichtiger geworden sein könnte.
,,Wenn er seine Rede hält, werden wir in unserer schwarzen Kleidung zwischen den Zuschauern stehen und die rote Rune repräsentieren. Dann wird einer von Euch, den ich zum tapfersten Krieger ernennen werde, eine Pfeil in sein Herz schießen, während ich zu ihm eile, um dann um ihn zu trauern und ihn für tot erklären.”, rief Rabanus.
,,Aber wenn er nicht ordentlich getroffen wurde, weil der Auserwählte nicht ordentlich zielen konnte, werde ich ihm selbst noch mein Messer in die Lunge rammen! Dann gibt es keine Hoffung mehr für ihn und ihr dürft alle angreifen, die sich nicht augenblicklich mir, ihrem neuen König, Orka Rabanus von Silaeta, unterwerfen!”
Wieder jubelten die Krieger, bevor ein Sprechchor die Masse überwog. ,,König Orka Rabanus von Silaeta!”, rief sie und Rabanus fühlte sich wahrlich geschmeichelt. Dieser Rachefeldzug würde der glorreichste in der Geschichte des Königreiches werden, da war er sich so sicher wie er es noch nie zuvor gewesen war.

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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptyDo Mai 19, 2011 4:15 pm

Arion sank in sich zusammen, als er diese Worte endlich begriff, die er soeben versehentlich mit angehört hatte. Das war also ihr Ziel. Königsmord.
Auf einmal ergab für ihn alles einen Sinn. Natürlich, Rabanus hatte die Asfaloth aufgelöst, damit der König unbewacht war und er besser zustoßen konnte. Und es gab niemanden, der das verhindern konnte, außer die verbotenen Asfaloth.
,,König Orka Rabanus von Silaeta!”, fauchte Arion. ,,Wir werden sehen, ob Ihr am längeren Hebel sitzt, Verräter! Mörder!”
Arion wandte sich ab und eilte zurück in die Krypta, wo die anderen bereits ihre Uniformen angezogen hatten. Er selbst sollte eigentlich nur etwas holen, was irgendjemand vergessen hatte und dann waren die Worte an sein Ohr gedrungen.
Rabanus hatte also sein Hauptquartier direkt in das Hauptquartier seiner ehemaligen Brüder gelegt, die er so bitter verraten hatte. Es kam Arion wie ein doppelter Verrat vor.
,,Lucan, Roan, wir haben ein erstes Problem!”, rief er und rannte auf seine beiden Freunde zu. Lucan sah ihn verwundert an. ,,Wir haben ständig nur Probleme, also welches könnt Ihr nun zu dieser Liste ergänzen, Arion?”, antwortete Lucan.
,,Der König ist in Gefahr! Rabanus will ihn an seinem Geburtstag bei seiner Rede ermorden und sich dann selbst zum König krönen. Seine Männer haben den Befehl, alle umzubringen, die ich ihm nicht unterwerfen!”, erzählte Arion. ,,Sie haben sich ihm Raum neben dem Versammlungsraum versammelt und ihn offenbar zu ihrem Hauptquartier gemacht!”
Lucan hielt in der Bewegung inne. ,,Das ist in der Tat keine gute Neuigkeit, mein Freund.”, sagte er schließlich. ,,Haben sie gesagt, was sie an diesem Tag tun werden?”
Arion nickte. ,,Sie werden in ihren Uniformen auftreten und dann soll einer einen Pfeil auf Arodos schießen. Rabanus will zu ihm laufen und dann dem Volk erzählen, das er tot ist. Und wenn er es nicht sein sollte, wird er ihn mit einem Dolch die Lunge zerstechen!”, rief Arion. ,,Das Volk wird zu verwirrt sein, um zu erkennen, dass es sich wehren muss.”
,,Das Volk vielleicht, Arion, aber die Asfaloth nicht.”, rief Lucan und lächelte. ,,Nicht wahr, meine Freunde?” Die Krieger jubelten und Arion glaubte, eine Zeitreise gemacht zu haben. Es schien, als ob die Asfaloth nie getrennt gewesen wären.
,,Dann wird es so kommen!”, rief Lucan. ,,Wir werden in unseren Uniformen, die wir mit schwarzen Mänteln mit einer roten Rune verdecken, uns ebenfalls unter das Volk mischen. Mit dem Unterschied, das unsere Rune ein ,,A” für ,,Asfaloth” ist und das Rot die Liebe zu unserem König repräsentieren wird.”
Arion runzelte verwirrt die Stirn, ebenso wie einige andere Krieger. ,,Und dann, meine Freunde, werden wir unauffällig Arodos bewachen und die Umgebung im Auge behalten. Sobald irgendein Anzeichen von Gefahr zu erkennen ist, werfen wir die Umhänge ab und greifen die Krieger von Rabanus an, die wir zum Teufel jagen werden, so dass diese uns nie vergessen!”
Arion lächelte. ,,Lucan, Ihr seid und bleibt der beste Krieger, den wir haben könnten!”, lachte Arion und umarmte ihn. ,,Dann soll es so sein!”
,,Was ist mit Aruna?”, fragte Roan. ,,Sie müsste auf dem Weg zurück sein und der, der bei ihr ist, ebenfalls. Ich finde, sie hat ein Recht darauf, mit an unserer Seite zu kämpfen.”
,,Das hat sie allerdings.”, stimmte Lucan zu. ,,Meine Freunde, wir werden noch jemanden in unseren Orden aufnehmen. Sie heißt Aruna und ist die Tochter unseres ermordeten Bruders Philitis.” Einige Asfalothen schauten ihn fragend an.
,,Ein Mädchen? Ein Mädchen darf keine Waffen tragen, geschweige denn, sie führen!”, rief einer der Asfaloth, doch Arion lächelte nur. ,,Die Königin Sylvia hat es ihr gestattet, also gestatten wir es ihr auch. Lucan, Roan und ich haben sie zu einer von uns ausgebildet. Sie führt das Schwert ihres Vaters und sehnt sich nach Rache für seinen Tod.”
Die Asfalothen sahen ihn immer noch verwundert an, doch Arion akzeptierte das. Es war immerhin das erste Mal, dass eine Frau öffentlich eine Waffe führte und diese in den Orden der Asfaloth aufgenommen werden sollte.
,,Da Rabanus offenbar schon hier ist, werde ich hinausgehen und nach Aruna Ausschau halten, meine Freunde.”, sagte Arion. ,,Wir sehen uns später.”
Mit diesen Worten verschwand er aus dem Gebäude und lief ziellos durch die Straßen von Juan, als er plötzlich einen Vogel sah. Altair.
Da er in südlicher Richtung seine Kreise zog, eilte Arion nach Süden. Das Bussard war fast immer in der Nähe von Aruna und das konnte nur bedeuten, dass sie gerade das Stadttor passierte.
Arion zog die Kapuze über und rannte los. Die Straßen kannte er besser, als all seine Lieblingsbücher und es dauerte nur wenige Minuten, bis er das Ende der Stadt erreicht hatte.
Tatsächlich lief ein schwarzes Pferd mit langer Mähne neben einem schneeweißen Schimmel direkt auf das Stadttor zu. Aruna und Orlando waren das eine Paar, aber wer war der geheimnisvolle Reiter auf dem Schimmel?
Orlando schritt durch das Tor und Aruna zog ihre Kapuze weiter ins Gesicht. Der Mann auf dem Schimmel dagegen tat nichts dergleichen.
Erst jetzt erkannte Arion, wer dieser Mann war. Es war Kronprinz Leonardo von Silaeta. Offenbar kannten sich beide, denn Aruna sah immer mal kurz zu ihm und lächelte.
,,Aruna!”, rief Arion leise. Sie sah zu ihm hinunter und ihre Augen begannen zu strahlen. ,,Arion!”, rief sie. ,,Habt Ihr irgendetwas erreicht?”
Arion nickte. ,,Geht bitte zu unserem ehemaligen Hauptquartier! Es ist wichtig!”, sagte er und Aruna sah kurz zu dem Prinzen. Dann blickte sie wieder zu ihm. ,,Darf er ebenfalls mitkommen?”, fragte sie und deute mit einem kurzen Blick auf den Prinzen.
,,Auf wessen Seite steht er?”, fragte Arion und Aruna lächelte. ,,Auf unserer natürlich!”, antwortete sie selbstbewusst. Arion zog kurz die Augenbrauen hoch. ,, Dann bringt Ihn mit!”, antwortete Arion und sprach noch immer so leise, dass nur Aruna allein ihn hören konnte.

*****

Sie kannte das Hauptquartier der Asfaloth, obwohl sie selbst noch nie dort gewesen war. Aber ihr Vater hatte ihr sehr viel darüber erzählt, die Lage und das Aussehen der Räume bis ins kleinste Detail beschrieben.
Dennoch war sie froh, dass Arion sie zu dem Gebäude führte. Es freute sie ungemein, nach so langer Zeit wieder das vertraute Gesicht eines anderen Verbündeten zu sehen.
Vor dem Gebäude stieg Aruna ab und stellte Orlando gesattelt in eine der Boxen. Arion versicherte ihr zwar, dass nichts Dramatisches bevorstand, für das eine schnelle Flucht von Vorteil sein könnte, doch Aruna ließ ihn dennoch gesattelt. Sie hatte gelernt, dass sie immer und überall auch das Unerwartete erwarten müsste.
Leonardo tat es ihr gleich. Aruna fiel auf, dass er ihr wie ein Schatten folgte und dabei die Umgebung, aber auch Arion kritisch musterte.
Es gefiel ihr nicht besonders, dass er solch einen kalte Blicke zu Arion schickte, aber andererseits war er immer noch der Sohn des Königs und Arion jemand, der eigentlich etwas äußerst Verbotenes getan hatte, indem er sich dem Befehl widersetzt hatte, auch, wenn dieser von Rabanus ohne Wissen des Königs ausgesprochen worden war.
Die Kapuze, die Arion noch immer tief ins Gesicht gezogen trug, wirkte bestimmt auch nicht gerade sehr zu seiner Verteidigung. Immerhin sah er damit beinahe aus wie ein Dieb oder ein anderer Halunke, der am liebsten die armen Bewohner von Juan überfiel, aus.
Arion sah sich um, um sicher zu gehen, dass niemand ihn verfolgte. Erst dann öffnete er die Tür zum Hauptquartier und zog seine Kapuze vom Kopf. ,,Folgt mir!”, rief er leise und Aruna eilte hinter ihm her, dicht gefolgt von ihrem neuen Schatten Leonardo.
Arion schob eine Bodenplatte beiseite und stieg dann einer engen, gewundenen Treppe hinab. Aruna vermutete, dass diese Treppe in die berühmte Krypta führte, von welcher ihr Vater ihr so oft erzählt hatte.
Es hieß, in der Krypta wohne der Geist des Königs Asfalothos von Silaeta, der Geist des Gründers des Ordens der Asfaloth. Aruna wusste nicht, wie sie sich den Geist vorstellen musste, aber das war wahrscheinlich auch nebensächlich.
Unten angekommen blickte sie sich um. Von allen Seiten starrten Asfaloth sie an. Sie schätzte die Zahl auf etwas fünfzig Mann.
,,Willkommen zurück, Aruna!”, begrüßte sie Lucan erfreut. ,,Meine Brüder, das ist Aruna, die Tochter unseres ermordeten Bruders Philitis. Aruna, dass sind meine Brüder.”
,,Ihr habt es wahrhaftig geschafft, die Asfaloth wieder zu vereinen, meine Freunde”, rief Aruna. ,,Ich wusste, dass ihr das schaffen würdet.” Arion und Lucan lachten, doch Roans Gesichtsausdruck bliebt hart.
,,Aber auch ich möchte euch jemanden vorstellen. Meine Freunde, das ist Kronprinz Leonardo von Silaeta, ein weiterer Verbündeter im Kampf gegen Rabanus aus königlichem Haus neben Königin Sylvia.”, sagte sie. ,,Leonardo, das sind meine Freunde.”
,,Freut mich.”, murmelte Leonardo. Lucan musterte ihn verwirrt, doch Roan nickte nur. ,,Seid willkommen, mein Prinz.”, sagte er und verneigte sich leicht.
Doch dann unterbrach Lucan ihn und ergriff wieder selbst das Wort. ,,Nicht umsonst haben wir die Asfaloth wieder zusammen geführt.”, sagte er. ,,Als Eure Warnung ankam, haben wir bereits gespürt, dass etwas Mächtiges ins Rollen gekommen ist. Dank Altair haben wir die Königin fragen können, wo unsere Uniformen verborgen wurden und sie teilte uns mit, dass alles in die Krypta gebracht worden war…”
,,Aber vorhin war ich kurz noch einmal im Versammlungsraum, um etwas zu holen und da machte ich eine unschöne Entdeckung.”, erzählte Arion weiter. ,,Rabanus hat für seine Krieger den Raum neben dem Versammlungsraum zum Hauptquartier gemacht und hielt dort eine Rede. Er teilte den jubelnden Kriegern seinen glorreichen Plan mit: Er hat vor, den König an seinem Geburtstag bei seiner Rede auf dem Balkon des Palastes ermorden zu lassen mit einem Pfeil…”
,,Aber wenn er nicht ordentlich getroffen werden wollte, so will er ihn selbst heimlich mit einem Dolch die Lugen zerstören.”, übernahm Lucan wieder. ,,Und dann so tun, als ob er diese Tat furchtbar fände, bevor er dem ganzen Volk mitteilen will, dass der König tot wäre…”
,,Das ist das Signal für seine Krieger.”, sagte Arion. ,,Sie werden alle angreifen und töten, die sich Rabanus, der sich inzwischen die Krone aufsetzen will, unterwerfen und ihn als neuen König von Silaeta anerkennen.”
,,Und die einzigen, die das alles wissen, sind wir.”, meinte Roan schließlich. Lucan und Arion nickten zustimmend. ,,Das ist die momentane Situation.”, fügte Lucan hin.
,,Deshalb haben wir beschlossen, Euch in den Orden aufzunehmen, Aruna.”, verkündete Arion. ,,Wir haben Euch damals viel gelehrt und Ihr habt schneller gelernt, als viele Asfaloth vor Euch, die eine lange Ausbildung absolviert haben. Wir würden uns freuen, wenn Ihr an unserer Seite kämpfen würdet.”
,,Ihr wollt mich, eine Frau, in Euren Orden aufnehmen?”, fragte Aruna überrascht und taumelte ein paar Schritte zurück, bis Leonardo sie schließlich auffing. ,,Verzeiht.”, murmelte sie, als sie seinen Atem im Nacken spürte, und trat rasch einen großen Schritt nach vorn.
,,Ja, genau das haben wir beschlossen.”, sagte Lucan. ,,Aber es liegt an Euch, ob Ihr in unsere Reihen aufgenommen werden wollt oder nicht. Aber egal, wie Ihr Euch entscheidet, Ihr werdet die einzige Ausnahme sein.”
,,Das würde also heißen, dass ich dann öffentlich das Schwert meines Vaters und seine Uniform trage, nachdem ich den Eid geleistet habe?”, fragte Aruna. Arion nickte. ,,Und Ihr werdet zu ewiger Königstreue verpflichtet sein, einen dieser schwarzen Umhänge für die Vereitelung von Rabanus’ Plänen erhalten und müsst Euch den Gesetzen des Ordens unterwerfen.”
,,So soll es sein.”, sagte Aruna selbstbewusst, kniete nieder und gab Roan ihr Schwert. Dann legte sie die rechts Faust auf die linke Brust.
,,Aruna, Tochter von Philitis, schwört Ihr dem König und seiner Familie Treue bis in alle Ewigkeit und schwört Ihr, ihn mit Eurem Leben beschützen?”, fragte Lucan.
,,Ja, ich schwöre es.”, erwiderte Aruna und blickte zu Lucan auf, um ihn in die Augen zu sehen, was als Zeichen von Stolz und Selbstbewusstsein angesehen wurde.
,,Und schwört Ihr, Aruna, Tochter von Philitis, der Bruderschaft, also dem Orden der Asfaloth, Treue sowie Anerkennung der Gesetze und nach ihnen zu leben?”, fragte Arion.
,,Ja, ich schwöre es.”, erwiderte Aruna. Diesmal blickte sie in die Augen von Arion. Ihr Herz begann zu rasen. Endlich würde sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten und mit seiner Bruderschaft seinen Feind bezwingen können.
Roan nahm das Schwert und strich über den eingravierten Eid der Asfaloth. ,,Sprecht den Eid, Aruna, Tochter von Philitis!”, forderte er sie auf.
,,Ich schwöre, die Königsfamilie zu beschützen mit dem Leben und das Schwert wird mir dabei Hoffnung geben. Ich schwöre bei meinem Leben, die Königsfamilie zu ehren und vor allem Unheil zu bewahren.”, sprach sie voller Stolz und Roan dabei in die Augen.
,,Mein Onkel“, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. ,,Mein Onkel macht mich zu einem von ihnen, zu einem Asfaloth.”
Roan griff den Knauf des Schwertes und legte es dann kurz zuerst auf ihre rechts Schulter, danach auf ihre linke. ,,Hiermit nehme ich, Asfaloth Roan, Euch, Aruna, Tochter von Philitis, in den Orden der Asfaloth auf.”, verkündete Roan schließlich feierlich. ,,Willkommen in unseren Reihen, Asfaloth Aruna.”

*****

,,Warum habt Ihr das getan, Aruna?”, fragte Leonardo, der dem Ganzen noch immer nicht so recht so ganz traute. ,,Warum habt Ihr Euch in einen verbotenen Orden aufnehmen lassen?”
,,Leonardo, ich musste es tun. An der Seite der Asfaloth habe ich endlich die Chance, etwas bewegen zu können. Mein Vater hätte es bestimmt genauso gewünscht.”. antwortete sie. ,,Und die Asfaloth mögen verboten sein, aber nur, weil Euer Vater, der König von Silaeta, seinem Berater zu sehr und zu viel Glauben schenkt.”
,,Ich weiß, was Ihr jetzt von mir denkt.”, murmelte Leonardo. ,,Ihr denkt jetzt, ich sei ein dummer Narr, denn schließlich habt Ihr recht.” - ,,Ihr seid kein dummer Narr, Leonardo.”, beschwichtigte Aruna ihn mit beruhigender Stimme. ,,Und was ich in Euch sehe, dass könnt Ihr Euch nicht einmal ansatzweise auch nur vorstellen.”
,,Behalte die Phiole.”, sagte er und wechselte das Thema. Dieser letzte Satz drohte, ihn in Verlegenheit zu stürzen, wenn er jetzt nicht von hier verschwand. ,,Ich werde zurück zum Palast reiten. Wir werden uns sehen, wenn mein Vater seine Rede halten wird, Aruna.”
Sie lächelte. ,,Ich werde da sein und warten.”, antwortete sie. ,,Ich wünsche Euch einen guten Ritt nach Hause, mein Prinz!”
Leonardo rannte die Treppe hinauf und dann quer durch den Versammlungsraum. Warum wollte er nicht, dass Aruna den Asfaloth beigetreten war? War er so eifersüchtig auf diese anderen Männer und befürchtete, dass sie Aruna ihm wegnehmen könnten?
,,Persia, wir müssen los.”, rief er und holte den Schimmelhengst aus der Box. Elegant sprang er in den Sattel und ritt quer durch Juan bis zum Palast. Er hielt Persia an und betrachtete die Umgebung. Wie lange war es her, seit er hier draußen diese Frau hatte stehen lassen?
Damals hatte er es noch für unmöglich gehalten, dass er sich jemals verlieben würde und jetzt war plötzlich seine Welt in ein völlig anderes Licht getaucht worden. Was würde wohl sein Vater dazu sagen, wenn er erfuhr, dass er sich in eine armes Mädchen vom Land statt in eine reiche Kaufmannstochter aus der Stadt verliebt hatte?
Leonardo rutschte aus dem Sattel und brachte Persia auf die Weide, wo er ihn schließlich von Sattel, Taschen und Zaumzeug befreite. ,,Lauft, mein Freund. Ihr habt es Euch wahrlich verdient nach all den Tagen.”, murmelte er und gab dem Hengst einen leichten Klaps auf die Schulter.
Dann brachte Leonardo das ganze Gepäck in die Sattelkammer, bevor er in Richtung Palast lief. Auf dem Hof herrschte reges Getümmel, doch das war schon immer so gewesen. Offenbar interessierte es auch niemanden, dass er wieder zurück war.
Die große Tür des Palastes quietschte, als er sie aufschob, um hindurch zu treten. Augenblicklich standen zwei bewaffnete Wachen neben ihm, doch als sie ihn erkannten, ließen sie wieder von ihm ab, so dass er ungestört durch die Gänge des Hauses gehen konnte.
,,Sylvia?”, rief Leonardo in die Stille des Hauses. ,,Vater?” Doch niemand schien ihn zu hören oder es antwortete ihm vielleicht auch niemand. ,,Sylvia!”, rief er wieder. ,,Vater!”
Noch immer rührte sich nichts, so dass er es schließlich aufgab und nach einer Zofe suchte, die ihm Badewasser einlassen würde. Er hatte beschlossen, dass ein Bad jetzt wohl am besten seine Nerven und wirren Gedanken beruhigen würde.
,,Mein Prinz, Ihr seid zurück!”, rief die Zofe erfreut, als sie ihn erblickte, und knickste eifrig. ,,Ja, Violetta, ich bin zurück.”, bestätigte er. ,,Und ich brauche dringend ein Bad.”
,,Natürlich, Hoheit!”, rief sie und eilte in Richtung Bad. Leonardo folgte ihr. ,,Violetta, wo sind eigentlich Sylvia und mein Vater?”, fragte er.
,,Seine Majestät habe ich seit heute Morgen nicht mehr gesehen.”, antwortete Violetta, während sie immer noch mit schnellem Schritt durch die Gänge fegte. ,,Und Königin Sylvia ist seit der Mittagsstunde ebenfalls verschwunden.”
,,Komisch.”, meinte Leonardo. ,,Aber wenn Ihr sie seht, Violetta, schickt sie zu mir!” - ,,Natürlich, Hoheit.”, erwiderte die Zofe und öffnete die Tür des Badezimmers. Obwohl er sonst immer darauf bestanden hatte, dass die Zofe, die ihm das Badewasser eingelassen hatte, bei ihm blieb, während er badete und ihm den Rücken schrubbte, schickte er Violetta nach draußen.
Er wollte nicht, dass jemals irgendeine andere Frau außer Aruna ihn nackt sah. Aber warum er das wollte, verstand er selbst nicht so ganz genau.
,,Vielleicht sollte ich es ihr wirklich sagen…”, dachte Leonardo. ,,Vielleicht sollte ich ihr endlich gestehen, was ich für sie empfinde…” Eine Blase stieg auf und zerplatze vor seinem Gesicht. Das Seifenwasser spritze ihm ins Gesicht, doch er merkte es kaum.
,,Aber jetzt ist sie sicher viel zu verwirrt… Die Aufnahme in den Orden der Asfaloth, die bestehende Bedrohung durch Rabanus… Sie würde mir wahrscheinlich nicht einmal zuhören…”, dachte er traurig weiter.
,,Und überhaupt, was hat sie mit diesem einen Satz heute gemeint, kurz bevor ich abgehauen bin? ,,Und was ich in Euch sehe, dass könnt Ihr Euch nicht einmal ansatzweise auch nur vorstellen”, hatte sie immerhin gesagt.”, kreisten seine Gedanken. ,,Hat sie damit vielleicht gemeint, dass sie auch für mich etwas fühlt?”
Es klopfte an der Tür. ,,Leonardo?”, fragte die Stimme von Sylvia. Er rutschte tiefer in die Badewanne, so dass sein gesamter Körper außer dem Kopf mit Seifenschaum bedeckt war. ,,Bitte tretet ein, Sylvia!”, antwortete er.
Die Tür öffnete sich und Sylvia betrat das Badezimmer. ,,Ihr seid wieder zurück!”, rief sie erfreut. ,,Ich frage mich, warum mir niemand Bescheid gegeben hat…. Wie ist Eure Reise verlaufen? Und habt Ihr Euch mit Aruna vertragen?”
Mit Aruna vertragen. Leonardo lächelte, doch dann versuchte er, es zu unterdrücken. Sylvia musste nichts von seinen Gefühlen wissen, zumindest vorübergehend nicht.
,,Ja, die Reise ist sehr gut verlaufen, auch wenn Rabanus wirklich alles versucht hat, um unseren Plan zu durchkreuzen.”, antwortete er.
Sylvia lächelte. ,,Das freut mich sehr, Leonardo.”, antwortete sie. ,,Wo habt Ihr die Phiole?” - ,,Aruna hat sie an sich genommen und ich fand es unsinnig, sie mit in den Palast zu bringen, wo es doch möglich wäre, dass sie gestohlen werden könnte.”
,,Aruna… so, so… Ich entnehme, dass Ihr Euch mit Ihr vertragen habt.”, meinte Sylvia und lachte. ,,Ich spreche doch wahr, oder?” Leonardo zuckte mit den Schultern. ,,Wir sind zuletzt ganz gut ausgekommen.”, sagte er.
Er fand, dass diese Aussage vollkommen ausreichte. Schließlich wollte er Sylvia nicht zu viel Triumph geben. Er konnte ja schlecht sagen, dass er seine ehemalige Feindschaft plötzlich über alles auf der Welt liebte, ohne, dass jemand Verdacht schöpfen würde.
,,Wie kommt es, dass der Palast so totenstill ist?”, fragte Leonardo. ,,Soweit ich mich erinnern kann, herrschte hier immer irgendwie Aufruhr. Stattdessen werde ich schon am Eingang fast mit Waffen bedroht…”
,,Mein Gemahl hat sich Ruhe gewünscht. Er schreibt an seiner Geburtstagsrede für übermorgen. Er hat mir gesagt, dass er eigentlich keine Rede halten will, aber Rabanus hat ihn dann überzeugt, dass das Volk auf seine Rede förmlich wartete.”, erklärte sie. ,,Ich nehme an, er führt - wie immer - nichts allzu Gutes im Schilde.”
,,Er will ihn stürzen und ermorden!”, wollte Leonardo rufen, doch er biss sich auf die Lippen. Wenn er zugab, was er wusste, dann musste er auch zugeben, woher er das wusste. Und Leonardo war sich nicht sicher, ob Sylvia den Rebellen trauen würde.

*****

,,Für den König!”, rief Lucan, der sich zweifelsohne als neuer Anführer der Asfaloth herauskristallisiert hatte. Sie trugen bereits alle ihre Uniformen, darüber die schwarzen Mäntel, die mit einer Spange zusammengehalten wurden und standen im Kreis um Lucan herum.
,,Für den König!”, riefen die anderen Asfaloth als Antwort. Der Schlachtruf der Asfaloth durchdrang siegessicher die Krypta.
Roan sah zu Aruna und lächelte. Sie hatte darauf bestanden, an dem großen Plan mitzuwirken, den sie gemeinsam mit dem Prinz Leonardo ausgearbeitet hatte. Der Prinz selbst stand dicht wie ein Schatten hinter ihr. Auch er trug einen dieser schwarzen Umhänge.
Der Plan war gar nicht mal so schwer. Aruna und der Prinz wollten sich in den Palast schleichen, um von dort aus den König beschützen zu können, falls dieser in Gefahr geraten würde, womit alle Asfaloth rechneten.
Die anderen Asfaloth dagegen würden ich unter das Volk und unter Rabanus’ Krieger mischen, suchend nach dem ,,Auserwählten”, der einen Pfeil auf König Arodos schießen sollte. Erst wenn Lucan den Schlachtruf schrie, würden die Asfaloth die Umhänge lösen und danach die Krieger von Rabanus angreifen.
Obwohl einige Asfaloth Bedenken hatten, dass der König von den Männern mit den schwarzen Mänteln mit den blutroten Runen wusste, hatte der Prinz sie beruhigt. Höchstwahrscheinlich wusste der König nichts von all den Verschwörungen und Rabanus’ Plänen.
,,Mein Bruder wäre stolz auf Euch gewesen, Aruna.”, dachte er und stieg hinter den anderen die Treppe hinauf. Sie hatten beschlossen, zu Fuß zum Palast zu gehen, denn niemand wollte unnötig Aufmerksamkeit erregen.
Lucan führte die Gruppe durch die Straßen von Juan, als hätte er sein gesamtes Leben mit nichts anderem verbracht. Dann hielt er an und gab den Asfaloth ein Zeichen, damit sie ihre Kapuzen aufsetzen würden.
Roan zog die Kapuze tief ins Gesicht und spähte unter dem Rand hervor. Es herrschte reges Getümmel rings um den Palast. Er erkannte einige Menschen aus Juan, viele jedoch hatten offenbar lange und beschwerliche Reisen quer durch die Wüste zurückgelegt, um an diesem Tag die Geburtstagsrede des Königs zu hören.
,,Asfaloth Roan.” Er blinzelte zur Seite und verneigte sich dann kurz. ,,Euer Hoheit.”, erwiderte Roan leise. ,,Ich werde jetzt mit Asfaloth Aruna den Posten beziehen.”, sagte der Prinz und Roan nickte zustimmend.
Dann eilte er auch schon mit Aruna an seiner Seite davon. Roan hoffte, dass Rabanus nicht bemerkte, dass viel mehr schwarze Krieger anwesend waren, als es hätten sein müssen. Wenn er etwas ahnen würde, hätte er genug Zeit, um einen Notfallplan zu entwickeln. Es wäre keinesfalls einfach, gegen einen neuen Plan zu kämpfen.
Die Asfaloth teilten sich wie abgesprochen auf und nahmen fast alle Positionen am Rande des Hofes ein. Sie waren sich einig gewesen, dass der ,,Auserwählte” vom Rande aus angreifen würde, da man sonst sofort seine Waffe und damit auch seine Tat bemerken würde.
Neben ihm tauchten ein paar von Rabanus’ Kriegern auf, doch Roan bemühte sich, ihnen keinerlei verdächtige Blicke zuzuwerfen und beobachtete stattdessen die Menschen, die von allen Seiten auf den Hof vor dem Palast zu strömen schienen.
,,Ein Mord vor aller Welt Augen.”, schoss es Roan durch den Kopf. ,,Er muss wirklich nicht mehr ganz bei Sinnen sein, wenn er so etwas plant.”
Dann erschien Rabanus auf dem Balkon, der mit dem königlichem Banner und Blumen geschmückt worden war. Er trug eine dunkelrote Robe, die mit einer schwarzen Schärpe gegürtet war - die offizielle Kleidung des königlichen Beraters. Er sah seltsam auf, fand Roan. Aber um seine Meinung ging es hier nicht.
Hinter ihm konnte er die Königin Sylvia erspähen. Sie trug ein hellblaues Kleid aus bestickter Seide und ihr Haar war kunstvoll hochgesteckt. Ein silbern glitzerndes Diadem krönte Haupt. Sie sah ganz wie eine wahre Königin aus.
Dann wurde es plötzlich still. So still, dass Roan der Meinung war, er könne ein Steinchen fallen lassen und alle würden es hören. Eine wahrlich beängstigende Stille.
Rabanus trat an das Geländer des Balkons und stützte sich mit den Händen darauf. ,,Bürger und Bürgerinnen von Silaeta, Ihr habt teils sehr weite, lange, unbeschwerliche Reisen hinter Euch gebracht, nur um an diesem Tage diesen einen Augenblick miterleben zu können - den Geburtstag unseres geliebten Königs Arodos von Silaeta!”, rief er.
,,Lügner!”, schoss es Roan durch den Kopf. ,,Jetzt tut er so, als ob er den König wirklich lieben würde, nur um seine Taten vertuschen zu können, dieser Speichellecker!” Doch er unterdrückte ein Murren, um nicht sich und die Asfaloth zu verraten.
Dann kündete Rabanus den König an und trat zur Seite, um sich zu verbeugen. Unter dem Jubel der Menschen trat langsam der König auf den Balkon.
Roan erschrak, als er den einst so stolzen König erblickte. Es schien, als wäre er in den letzten Wochen um Jahrzehnte gealtert.
Arodos lief gebeugt, sein Gesicht war ein Meer von tiefen Falten, von dem sicher die wenigsten auf sein Alter zurückzuführen waren. Er wirkte schwach.
,,Er hätte diese Rede niemals schreiben dürfen!”, verstand Roan plötzlich. ,,Er selbst wollte diese Rede wahrscheinlich noch nicht einmal schreiben, geschweige denn halten! Aber Rabanus hat ihm zu einem Schwächling gemacht, einem alten Mann, den er stürzen kann!”
Roans Hand zuckte unter dem Umhang in Richtung Schwertknauf, doch er widerstand dem Drang, sein Schwert zu ziehen. Noch war die Zeit dafür nicht reif genug.
Der König stützte sich wie zuvor Rabanus auf das Geländer, doch Roan sah, dass er sich krampfhaft festhalten musste, um nicht zu fallen. Er hätte Ruhe gebraucht, und nicht diese Hektik eines Geburtstages und schon gleich gar nicht die einer Rede.
,,Bürger und Bürgerinnen von Silaeta.”, sagte er. Seine Stimmte zitterte zuerst ein wenig, doch dann wurde sie klar und kräftig wie eh und je.
,,Ich freue mich, dass so viele von Euch heute hierher nach Juan den Weg gefunden haben, um meinen großen Tag mit mir zu feiern…”, sprach Arodos weiter, doch Roan hörte nicht mehr hin. Seine Aufgabe war jetzt, den ,,Auserwählten” zu finden und Lucan dann zu benachrichtigen.
Doch noch bleib alles ruhig. Hatte Rabanus doch etwas geahnt und den geplanten Königsmord verschoben? Wenn ja, war alle Vorbereitung umsonst.
Unscheinbar nahm er eine Bewegung links neben sich wahr. Er drehte den Kopf leicht und sah, wie eine schwarze Gestalt zwischen den Bäumen hinter dem Pferdestall stand. Roan beobachte den Mann mit der Kapuze noch eine Weile, dann sah er sich unauffällig nach Lucan um.
Als er ihn in seinem Blickfeld hatte, sah dieser zu ihm hinüber. Roan deutete mit einer leichten Geste auf den Pferdestall und Lucan sah dort hin. Dann drehte er sich wieder um ihm und nickte unauffällig Roan zu. Lucan hatte verstanden.
Plötzlich zog der Mann einen Langbogen unter seiner Uniform hervor. Offenbar fühlte er sich unbeobachtet. Roan sah, wie Lucan es ebenfalls bemerkte und dann blickte er zu Aruna und dem Prinzen, die in der Tür zum Balkon an der Wand standen.
Es schien niemanden aufzufallen, dass dort zwei Gestalten den König bewachten. Roan bezweifelte sogar, dass der König selbst davon wusste.
Er blickte zu den beiden, doch diese schienen die schwarze Gestalt mit dem Langbogen längst gesehen zu haben. Dennoch hoffte er, dass sie die Schnelligkeit eines Pfeils nicht unterschätzen und rechtzeitig reagieren würden.
Auch die anderen Asfaloth hatten das Vorgehen zwischen den Bäumen offenbar bemerkt, doch keiner zeigte es deutlich und Roan war sich sicher, dass der Mann mit dem Langbogen sich in falscher Sicherweit wog.
Und dann geschah plötzlich alles auf einmal. Der Mann spannte seinen Langbogen und ließ den Pfeil los. Im selben Augenblick huschten Aruna und der Prinz auf den Balkon. Aruna stieß Arodos aus der Flugbahn des Pfeils und der Prinz fing ihn auf. Der Pfeil zerschellte an der steinernen Wand des Palastes, gegen den er prallte.
Dann zog der Prinz sein Schwert und überließ den König dem Schutz der Königin Sylvia. Aruna zog ebenfalls ihr Schwert und jetzt konnte sich auch Roan nicht mehr zurückhalten.
Die rechte Hand fuhr an den Schwertknauf, während die linke die Spange packte, die den schwarzen Mantel zusammenhielt.
,,Für den König!”, schrie Lucan und zog sein Schwert. Die Menschen sahen ihn verwirrt an. Offenbar begriffen sie nicht, was gerade vorgefallen war.
,,Für den König!”, erwiderten die Asfalothen den Schlachtruf und Roan riss die Spange von dem Mantel. Ein leichter Windstoß blies den dichten schwarzen Stoff von seinem Körper und enthüllte, was er bis jetzt hervorragend verborgen hatte - die kunstvolle Uniform der Asfaloth. Sein Haar wehte leicht im Wind, als er sein Schwert zog.
Jetzt drängten sich die Menschen, die gerade noch den Worten des Königs gelauscht hatten, in eine Ecke um Platz für den Kampf zu schaffen, der soeben zwischen den Kriegern von Rabanus und den Asfaloth entbrannt war.
Roan riskierte einen Blick zum Balkon und sah, dass er leer war. Offenbar war Rabanus ins Innere geflüchtet, als er die Situation begriffen hatte.
Ein Schrei erklang und Roan blickte kurz zu der Stelle zwischen den Bäumen, an der gerade eben noch der ,,Auserwählte” mit dem Langbogen gestanden hatte. Arion hatte ihn gerade niedergestochen und wandte sich nun den anderen Kriegern zu.
Nun konnte sich Roan nicht länger auf die anderen konzentrieren und blockte mit seinem Schwert eine Reihe von Angriffen. Wieder und wieder schwang er sein Schwert, wobei er mehrere Krieger stark verwundetet.
Einer jedoch hielt tapfer stand und kämpfte mit aller Kraft weiter. Wenn er nicht zu Rabanus’ Kriegern gehören würde, wäre er sicher ein guter Asfaloth geworden, fand Roan. Und dann kam ihn ein Plan in den Sinn. Vielleicht mussten die Krieger ja nicht alle sterben.
,,Ihr geht geschickt mit dem Schwert um.”, stellte Roan fest und parierte einen weiteren Schlag. ,,Wer seid Ihr?”
,,Ich verstehe, dass Ihr wissen wollt, wer Euch zur Stecke gebracht hat.”, lachte der Krieger und griff munter weiter an. ,,Mein Name ist Marek und ich bin der neue Heerführer des neuen Königs, Orka Rabanus von Silaeta.”
,,Verzeiht, dass ich Euch unterbreche, Marek, aber noch herrscht König Arodos von Silaeta über dieses Land.”, erwiderte Roan ein paar Angriffe blockend. ,,Und wir Asfaloth haben die Pläne Eures Herren bereits durchkreuzt, wie Euch aufgefallen sein dürfte. Euer Herr ist ein nutzloser Feigling! Geflohen, als Gefahr drohte, wie eh und je!”
,,Ihr lügt!”, knurrte Marek. ,,Mein Herr ist der mutigste Mann in ganz Silaeta!” - ,,Alter Narr!”, lachte Roan. ,,Aber da Ihr es nicht besser wisst, will ich so gnädig sein und Euch etwas über Euren Herren erzählen.”
Roan blockte wieder einen Angriff, doch er konterte nicht. ,,Rabanus’ richtiger Name ist Orka, aber ich bin mir sicher, dass wusstet Ihr bereits.”, fing er an.
,,Aber Orka war einst einer von den meinen, ein Asfaloth. Nur hat er nie verstanden, worauf es bei den Asfaloth ankam und er strebte nach immer mehr Macht. Dafür ging er sogar über Leichen und ermordete meinen geliebten Bruder, seinen größten Konkurrenten, denn er wollte an Philitis’ Stelle die Leibwache von Königin Sylvia übernehmen.”
Seine Stimme würde kraftvoller und Roan war sich sicher, dass er seit Jahren nicht mehr so viele Worte gesprochen hatte, aber vielleicht verhalfen seine Worte zu einem kleinerem Blutbad.
Noch immer in der Defensive kämpfte er gegen Marek, doch dieser war entschlossen und wollte um keinen Preis sich ergeben. ,,Aber das war nicht alles.”, erzählte Roan weiter. ,,Er wurde vielleicht für den Mord an Philitis aus dem Königreich verbannt, doch er hat nicht vor einem weiteren Mord zurück geschreckt - dem Mord an meiner geliebten Sandira! Vor meinen Augen rammte er ihr sein Schwert durch die Kehle!”
,,Mein Herr ist ein guter Mann! Er hat das alles nicht getan!”, rief Marek bitterböse. ,,Ihr lügt!” - ,,Er lügt, denn das konnte er schon immer am besten!”, fauchte Roan. ,,Man nennt mich Roan, den Schweigsamen, doch ich hätte schon viel früher etwas sagen müssen, dann hätte ich dieses Übel vielleicht verhindern können, anstatt dem Übel zuzusehen und es über mich ergehen zu lassen, als ob es mich nicht interessieren würde…”
Die Liebe zu seiner Sandira gab ihm neuen Mut. Ja, er hätte früher etwas sagen müssen. Er hätte sagen müssen, dass man ihm das Liebste genommen hatte, was er besessen hatte, statt zu leugnen, jemals jemanden geliebt zu haben.
Marek hielt inne und für einen Augenblick erstarrten beide. ,,Er hat Euch immer gesagt, dass er nur die töten würde, die ihm im Weg seien… Die, die ihn angegriffen haben…”, murmelte Roan. ,,Dass er in Wahrheit der rechtmäßige König von Silaeta sei…”
Marek ließ seine Hand mit dem Schwert langsam sinken. ,,Er hat Euch und den anderen die schönste Zukunft gezeigt, die man sich vorstellen kann … versprochen, dass Ihr die neuen Herren von Silaeta sein werdet… Nicht wahr?”, fragte Roan und ließ sein Schwert ebenfalls sinken.
,,Tut das einzig Richtige.”, bat er Marek. ,,Ruft die anderen und zieht aus Juan ab. Es ist bereits zu viel Blut geflossen.” Dieser sah ernst drein, doch seine Gesichtszüge wurden mit jedem Atemzug entspannter.
Dann riss Marek das Schwert hoch und begann, Roan wieder anzugreifen. Dieser war vollkommen überrascht, konnte sich jedoch retten.
,,Ich wollte Euch helfen, Marek!”, schrie er. ,,Aber Ihr lasst mir keine Wahl!” Dann kämpfte er weiter in der Defensive. ,,Sandira, es tut mir leid.”, flüsterte Roan. ,,Aber ich habe es zumindest versucht - für Euch, meine Liebste.”
Marek lachte. ,,Helfen?”, wiederholte er hämisch und lachte böse. ,,Bekehren würde es wahrlich besser treffen, findet Ihr nicht?” - ,,Ihr seid ein Narr!”, rief Roan. ,,Aber Ihr seid ein so großer Narr, dass Ihr nicht einmal bemerkt, welch großer Narr Ihr seid!”
Er bemerkte, wie Aruna und der Prinz sowie Rabanus wieder auf dem Balkon auftauchten. Aruna hielt in ihrer linken Hand ein kleines goldgelb glühendes Ding. ,,Die Phiole des Lichts.”, erkannte Roan und blickte dann zu Marek.
,,Ihr und Eure Männer seid verloren, Marek.”, bemerkte er. ,,Euer Schicksal ist nun endgültig besiegelt.”
Im selben Augenblick hob Aruna die Hand mit der Phiole und etwas schob sich vor die Sonne. Mit einem Mal herrschte vollkommene Dunkelheit. Roan konnte nicht einmal seinen Hand sehen, egal wie nah er sie auch an das Gesicht hielt.
Doch dann glühte die Phiole wieder auf und tauchte den gesamten Hof langsam in ein warmes, goldgelbes Licht. Die Phiole glühte heller und heller. Nur Marek schien noch immer nichts zu sehen und versuchte offenbar, die Hand vor seinen Augen zu erkennen.
,,Die Phiole.”, begriff Roan dann. ,,Sie kann tatsächlich mehr, als alle vermutet hatten. Nicht nur dem Träger schenkt sie das Licht an dunklen Orten, sondern auch all denen, die auf der Seite des Trägers stehen.”
Während Aruna noch immer die Phiole in der Hand hielt und sie nach oben streckte, begannen die Kämpfe wieder. Jedoch anders als zuvor. Die Asfaloth versuchten nun, die Krieger zu fesseln und auf einen Haufen zu schleifen. Es war sehr von Vorteil, dass diese nur unkontrolliert um sich schlugen und nichts sahen.
Roan jedoch sah weiter zu Aruna und der glühenden Phiole. Rabanus selbst wurde nicht angegriffen, sondern stand auf dem Balkon und hatte mit einer Hand das Geländer umfasst. In der anderen hielt er eine Fackel, die er offenbar auch nicht sehen konnte.
Erst, als alle Krieger gefesselt worden waren, ließ das Glühen der Phiole nach und Aruna nahm den Arm herunter. Wieder wurde es stockduster und dann schob sich etwas von der Sonne und die Dunkelheit verschwand wieder.
Die Asfaloth umstellten den Haufen von geschlagenen und gefesselten Kriegern, unter denen sich auch Marek befand. Aruna und der Prinz geleiteten Rabanus hinunter, der nun seine Fackel wieder sehen konnte.
,,Nun, Orka, ich fürchte, dies ist Euer Ende.”, sagte Lucan mit ernster Miene. ,,Ihr ward wirklich ein Narr gewesen. Allerdings sollte ich Euch vielleicht nicht verübeln, dass Ihr mit Euren Taten dazu beigetragen habt, allen zu beweisen, dass die Asfaloth unzertrennlich sind und an Ihren Eid glauben, den sie geschworen haben.”
,,Was fühlt Ihr, Orka, wenn Ihr Eure Männer dort zusammengebunden seht?”, fragte Arion. ,,Ein gescheiterter Haufen naiver Krieger…” - ,,Ein Scheiterhaufen!”, rief Rabanus. ,,Zu nichts zu gebrauchen!” Dann warf er seine Fackel mitten auf den Haufen, den seine Männer bildeten. Die Kleidung des ersten Mannes flammte auf und wenige Minuten später standen alle in Flammen. Bei lebendigem Leibe verbrannt.
Lucan, Arion und Roan schüttelten wie die anderen Asfaloth nur die Köpfe, während Aruna und der Prinz ihm Fesseln aus Eisen an den Hand und Fußgelenken befestigten. Rabanus wehrte sich fast gar nicht.
Dann tauchte Königin Sylvia auf, die den König zu dem Scheiterhaufen, der inzwischen lichterloh in der Mitte des Hofes brannte, führte. Die Menschen waren ebenfalls näher gekommen.
Lucan steckte sein Schwert weg, dann legte die rechte Faust auf die Brust und kniete nieder. ,,Mein König.”, sagte er und all die anderen taten es ihm gleich. Ebenso die anderen Bürger und Bürgerinnen Silaetas. ,,Mein König.”, murmelten die anderen Asfaloth.
König Arodos ließ seien Blick durch die Reihen schweifen. ,,Meine geliebten Asfaloth.”, sagte er voller Stolz. ,,Ich war erzürnt, als mir zu Ohren kam, man habe Euren Orden aufgelöst. Aber ich sehe, dass Ihr Euch auch ohne Orden zusammenhaltet und Euren Eid nicht vergessen habt. Das macht mich wirklich unendlich stolz.”
Der König lächelte und Roan spürte, dass er langsam wieder seine alte Kraft zurück erlangte. ,,Aber ich habe noch ein mir bekanntes Gesicht in Euren Reihen entdeckt, meine Freunde.”, sagte er und blickte Aruna an. ,,Ihr seid doch Vagabund, nicht wahr?”
Aruna sah zu ihm auf. ,,Nicht mehr, mein König.”, verkündete sie stolz. ,,Ich war Vagabund, doch jetzt bin ich Asfaloth.”
Der König lachte. ,,Ihr wisst ganz genau, dass Ihr bereits alle wichtigen Gesetze gebrochen habt, nicht wahr?”, meinte er. ,,Aber dennoch muss ich gestehen, dass ich Euch und Eure Einstellung irgendwie mag. Die Asfaloth mögen Euch offenbar ebenfalls, sonst hätten sie Euch nicht in ihren Orden aufgenommen, der nicht aufgelöst ist, denn Rabanus hat dies hinter meinem Rücken verkündet - offenbar genau für diesen Plan.”
König Arodos ließ Sylvias Arm los, den er bis gerade eben festgehalten hatte, um Halt zu haben. ,,Ich werde Euch gestatten, das Schwert zu behalten.”, beschloss er.
,,Dann würde ich Euch sowie Asfaloth Lucan, Asfaloth Arion, Asfaloth Roan, Prinz Leonardo und Euch, mein Gemahl bitten, mir zu folgen. Ich muss Euch dringend etwas Wichtiges mitteilen. Ich hätte es schon längst tun müssen.”, verkündete Königin Sylvia.
,,Ebenso wie ich endlich etwas sagen muss - für Sandira.”, dachte Roan. König Arodos bedeutete ihnen aufzustehen und Roan erhob sich.
,,Ihr anderen Asfaloth, bringt Rabanus in das sicherte Verließ von Juan.”, befahl der König. ,,Und dann richtet Euch wieder in Eurem Hauptgebäude ein.” Er lächelte. ,,Ich muss gestehen, ich habe Euch, meine geliebten Asfaloth, wahrlich vermisst. Willkommen zurück.”

*****

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Wüstensand - Verrat der Wüste Empty
BeitragThema: Re: Wüstensand - Verrat der Wüste   Wüstensand - Verrat der Wüste EmptySa Mai 21, 2011 3:48 pm

Sylvia führte die kleine Gruppe in den Palast. Sie wusste, dass es jetzt höchste Zeit war, alles zu gestehen - für Philitis. Sie hätte schon viel ehr etwas sagen müssen, dann hätte sie vielleicht das Schlimmste verhindert.
Ihr war nicht entgangen, dass es auch Verluste in den Reihen der Asfaloth gegeben hatte, nur hatte sie darüber kein Wort verloren, sondern lediglich einen der Asfaloth gebeten, die Toten angemessen zu bestatten.
Ihre Schritte wurden schwerer, ebenso wie ihr Herz. Würde sie es wirklich schaffen, ihrem Gemahl zu offenbaren, dass sie mit Philitis, ihrem Leibgarden, eine Tochter hatte und diese Aruna war? Würde sie es wirklich schaffen, dass alles auch Aruna zu erklären?
Sylvia drehte sich um und vergewisserte sich, dass alle ihr folgten. Wieder bemerkte sie das verräterische Leuchten in Leonardos Augen, mit dem er Aruna ansah. Es war ihr schon vor dem Fest aufgefallen. Offenbar hatte Leonardo also nur die halbe Wahrheit erzählt und liebte in Wirklichkeit Aruna abgöttisch.
,,So, wie ich meinen Philitis geliebt habe…”, schoss es ihr durch den Kopf. ,,So, wie ich ihn immer noch liebe…”
Sylvia öffnete die Tür, die zu den unterirdischen Zimmern führte. Überall hatte er seine Spuren hinterlassen, die sie immer wieder daran erinnerten, wie grausam er durch die Hand von Orka sterben musste.
Sie lief die Treppen hinunter und dann direkt in ein kleines Zimmerchen, in dem ein Paar Sessel und zwei Sofas standen. ,,Bitte, tretet ein.”, sagte sie und hielt die Tür auf.
Arodos ließ sich auf eines der Sofas fallen, Aruna und Leonardo setzten sich auf das andere. Die Asfalothen teilten sich die Sessel auf und sie selbst setzte sich neben ihren Gatten.
,,Was ich Euch jetzt erzählen möchte, ist etwas, dass lange Zeit geheim gehalten habe. Aus Angst. Aus Trauer.”, fing Sylvia an. ,,Ich hätte wahrscheinlich das Schlimmste verhindern können, wenn ich ehr etwas gesagt hätte, aber bis vorhin lebte ich in dem Glauben, dass dieses Wissen schädlich sein würde, wenn es jemand anderes als ich besitzen würde.”
Sylvia machte ein Pause und starrte den leeren Tisch an, um den sie herum saßen. ,,Ich weiß nicht so recht, wo ich beginnen sollte, doch ich glaube, ich muss ganz am Anfang anfangen, damit Ihr mir alle folgen und mich und mein Handeln verstehen könnt.”, erklärte sie.
,,Alles begann vor langer, langer Zeit. Ich bin keine geborene Adelige, sondern war das Hausmädchen einer reichen Familie. Sie wünschten sich, dass ich sie überall hin begleiten soll und genau das tat ich auch. Meine Mutter war ebenfalls eine Bedienstete bei der Familie. Mein älterer Bruder wurde sehr früh zu einem Asfaloth und heimlich lernte er mir das, was er beim Orden lernte.”
Sylvia schwieg kurz. ,,Eines Tages stahl ich mich aus dem Haus meiner Herrin und lernte einen Jungen kennen. Ich verliebte mich auf den ersten Blick in ihn und er sich auch in mich.”, erzählte sie. ,,Aber seine Eltern waren ebenfalls gehobene Bürgerliche und wollten, dass er eine Frau an seiner Seite hatte, die ihm nicht auf den Taschen lag. Ich schlich mich immer wieder von der Kaufmannsfamilie weg, für die ich gearbeitet hatte, doch eines Tages folgte die Herrin mir. Als sie mich bei ihm sahen, wurde sie wütend. Von da an musste ich sie überall hin begleiten. Es hat mir das Herz zerrissen, ihn allein zurücklassen zu müssen.
Doch irgendwann hörte meine Herrin dann, dass der König ein Fest veranstalten würde zu seinem Geburtstag und sie glaubte, dass es eine Chance geben könnte, dass ihre geliebte, aber furchtbar verzogene Tochter König Arodos von Silaeta gefallen könnte.
Ich musste sie zu diesem Fest begleiten und mir wurden noch nicht einmal schöne Kleider dafür gegeben. Ein schlichtes dunkelblaues Gewand, mehr war mir nicht gegönnt.
Alle Augen ruhten ständig spöttisch auf mir und ich könnte nur mit Mühe diesen verdammten Blicken trotzen. Doch dann sah mich König Arodos und verbot ihnen diese Blicke…”
König Arodos lächelte. ,,Ich kann mich noch gut daran erinnern.”, warf er ein. ,,Ich fand es ungerecht, wie sie Euch straften und ich fand Euch unheimlich interessant, als ich gesehen habe, wie Ihr mit der ganzen Situation umgegangen seid. Deshalb nahm ich Euch zu meiner zweiten Gemahlin und ließ Euch wie Solena zur Königin krönen.”
,,Und so wurde ich Königin. Meine Mutter hat das nie verstanden und meine Herrin hat mir nie verziehen, doch das ist unwichtig.”, meinte Sylvia. ,,Ich war damals so glücklich wie es selten jemand war. Als mir dann auch noch erlaubt wurde, mein Schwert führen und reiten zu dürfen, drohte ich vor lauter Glück zu basten. Zu meinem Geburtstag bekam ich dann von meinem Gemahl meine Stute Luna Argentea.
Doch mein Glück ließ nach, als ich mir, wie alle jungen Frauen, sehnsüchtig ein Kind wünschte. Ich fungierte zwar als Mutter für Euch, Prinz Leonardo, doch Ihr ward nicht mein leiblicher Sohn und auch, wenn ich Euch über alles geliebt habe, ich wünschte mir ein Kind.”
,,Ich wollte Euch keines schenken, mein Liebste.”, sagte König Arodos und legte vorsichtig einen Arm um sie. ,,Nachdem Solena bei der Geburt ihres Sohnes gestorben war, wollte ich keinesfalls riskieren, dass ihr Schicksal auch das Eure wird.”
,,Ich weiß.”, murmelte Sylvia. ,,Ich weiß ja, aber damit begann das ganze Problem. Mir wurde der Asfaloth Philitis als Leibwächter zugeteilt und ich mochte ihn wirklich. Er erinnerte mich an meine Jugendliebe und ich saß mit ihm oft hier unten in den Gemächern, die außer ihm und mir damals nie jemand betreten durfte.
Irgendwann passierte es einfach und wir verliebten uns ineinander. Ich hatte Angst, dass Ihr, mein Gemahl, davon erfahren könntet und mich dann verstoßen würdet. Ich habe Euch deshalb ja nicht weniger geliebt, sondern nur auf eine andere Art und Weise.”
,,Habt Ihr…?”, fing König Arodos an, doch Sylvia nickte nur, als ihr Tränen in die Augen stiegen. ,,Ja. Ich weiß nicht, wann genau es passiert ist, aber irgendwann spürte ich, dass etwas anders war als es vorher gewesen war und ich hatte recht mit meiner Vermutung - ich erwartete ein Kind. Ein Kind von meinem Leibwächter Philitis.”, gestand sie unter Tränen, schniefte und blickte dann langsam zu König Arodos.
,,Ich hatte wahnsinnige Angst, dass Ihr mein Kind umbringen würdest, wenn Ihr davon erfahren würdet, also schob ich eine Reise vor, auf die mich nur Philitis begleiten durfte. Er brachte mich an einen Ort, an dem mich niemand vermutete - auf den Hof seines Vaters. Dort lebte ich eine ganze Weile, während Philitis und sein Vater abwechselnd auf mich aufpassten.”, erzählte sie weiter und dann sah sie Aruna an.
,,An einem Morgen, gerade als die Sonne begann aufzugehen, gebar ich meine Tochter. Dieser Morgen war so unglaublich schön, dass ich mit Philitis beschloss, ihr einen alten Namen aus einem Land Indien zu geben: Aruna, die Morgendämmerung.”
Aruna sah sie verwirrt an. ,,Dann … Dann wollt Ihr … damit sagen, dass … dass Ihr … meine … Mutter seid?”, fragte sie stockend. Sylvia nickte. ,,Ja, ich bin Eure Mutter.”, gestand sie. ,,Ich habe Euch an Eurem Namen und an Philitis’ Gesichtszügen erkannt. Ihr seht ihm sehr ähnlich, aber diese leuchtend grünen Augen, die habt Ihr von mir.”
Aruna sah ihr fest in die Augen, dann nickte sie langsam. ,,Tatsächlich, dass selbe Grün. Die selbe Form.”, murmelte sie fasziniert.
,,Als Ihr ein Jahr alt wart, Aruna, verließ ich Euch wieder und kehrte nach Juan zurück. Allein, denn Philitis wollte nachkommen, sobald er Euch in Sicherheit bei einer Bediensteten wusste.”, erklärte sie dann. ,,Doch am Hofe war das Chaos ausgebrochen. Asfaloth Orka versuchte alles, um mich davon zu überzeugen, dass ich ihn als Leibwächter statt Philitis nehmen sollte, doch mein Herz hing an ihm und ich wies Orka eiskalt ab. Ich glaube, er wollte sich an mir rächen, indem er sich die Krone Silaetas auf das Haupt setzte.”
Die anderen blickten sie sprachlos an. ,,Ich nahm mir einen anderen Leibwächter, der Philitis immer wieder ablöste, damit dieser nach Hause konnte, um sich um Euch, Aruna, kümmern zu können. Sein Vater, also Euer Großvater, war inzwischen verstorben.“, sagte sie. ,,Eines Nachts jedoch spürte ich, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. In dieser Nacht starb Philitis und ich muss zugeben, dass ich bis heute noch nicht ganz darüber hinweg bin. Oft ziehe ich mir hier nach unten zurück und denke an ihn und unsere Zeit.
Als Orka verbannt wurde, war ich froh, dass ich nicht mehr in der ständigen Angst leben musste, dass nächste Opfer zu sein. Ich hoffte und betete jeden Tag, dass ich ihn nie wieder sehen muss und dass er irgendwo in der Wüste verenden würde.”
,,Aber er kam zurück.”, warf Aruna ein. Sylvia nickte. ,,Er kam zurück mit einem anderen Aussehen und einem anderen Namen und bot sich als Berater des Königs an.”, sagte sie.
,,Ich war zu diesem Zeitpunkt krank und hatte nach einem Berater gesucht, der mir einen Teil der politischen Verhandlungen abnehmen könnte.”, erklärte König Arodos. ,,Ich habe ihn genommen, denn er wirkte wie jemand, dem man vertrauen konnte. Ich habe leider nicht erkannt, wer er in Wirklichkeit war.”
,,Ihr habt bestimmt schon von der Schwarzen Meisterin Sakura gehört, nicht wahr?”, wandte Sylvia sich an die Rebellen. Diese nickten. ,,Die bin ich.”, gestand sie. ,,Ich habe so versucht, Rabanus im Auge zu behalten, da ich bereits einen Verdacht hatte, wer er sein könnte, doch ich traute mich nicht, es auszusprechen, da ich fürchtete, die Worte würden bei Rabanus ankommen und dieser mich mit dem Tod dafür strafen.
Also besorgte ich mich Spione in allen Orten von Silaeta, dir mir über verschiedene Boten Bericht erstatteten. Auf diese Weise erfuhr ich auch, dass Rabanus aufgebrochen war, um die Phiole des Lichts in seinen Besitz zu nehmen. Als ich Euch dann gesehen habe, Aruna, wusste ich, dass Ihr ebenfalls eine hervorragende Spionin sein könntet, doch der Weg, über Altair mit Euch Kontakt zu halten war etwas anders als bei den anderen Spionen.”
Sylvia starrte wieder die noch immer leere Tischplatte an. ,,Mir war klar, dass Rabanus die Phiole suchen würde, denn er hatte eine kleine Armee aufgebaut, die er selbst als seine ,,Leibgarde” bezeichnete. Schon damals, als er noch Asfaloth Orka war, fragte er ständig nach der Macht dieser Phiole.”, sagte Sylvia und machte wieder eine Pause.
,,Ich wusste nicht genau, welche Macht sie besaß, aber mir war klar, dass diese Macht ungeheuer groß sein musste. Deshalb schickte ich Prinz Leonardo und Aruna nach Goldan, um sie vor Rabanus und seinen Kriegern zu schützen.”, endete sie. ,,Ich weiß, ich hätte ehr etwas sagen müssen, aber ich konnte nicht…”
,,Ich weiß, wie es Euch ergangen ist.”, sagte Roan und alle sahen ihn an. Er hatte bisher noch nicht ein einziges Wort gesagt.
,,Ja, ich weiß, wie es Euch ergangen ist, meine Königin.”, wiederholte er. ,,Ihr habt Orka für den Mord an meinem Bruder Philitis verbannt, doch das schreckte ihn nicht ab, mir das Liebste zu nehmen, was ich hatte: Sandira.”
,,Ihr hattet…”, fing Lucan zur gleichen Zeit wie Arion an. Beide brachen ab und Roan nickte. ,,Ich liebte sie über alles, aber sie sagte mir, dass ich Philitis vor Orka warnen sollte, doch ich hatte Angst davor. Und dann ermordete Orka meinen Bruder und Sandira beschloss, ihn dafür zu strafen.”, murmelte Rabanus. ,,Er hatte ihr das Schwert durch die Kehle gestoßen.”
,,Roan, ich wusste nicht…”, sagte Aruna und brach ab. ,,Ich habe all die Zeit gerätselt, warum Ihr immer so schweigsam seid, aber jetzt weiß ich, dass es Schmerz und Trauer war, die Euch zerrissen haben.”
Roan nickte. ,,Ich versuchte, alles über mich ergehen zu lassen, doch dann begegnete mir vorhin im Kampf ein Krieger namens Marek und es war, als würde Sandira mir sagen, dass ich versuchen sollte, die Kämpfe zu beenden.”, erklärte er. ,,Ich bin gescheitert…”
,,Gescheitert?”, wiederholte Sylvia. ,,Gescheitert ist nur Rabanus. Aber dennoch danke Ich Euch, Asfaloth Roan, dass Ihr dieses Wissen mit uns geteilt habt.”

*****

Erst jetzt begriff er seine gegenwärtige Situation. Er war wahrlich so dumm gewesen und hatte sich nicht mehr gewehrt, sondern sich ergeben.
Rabanus stand auf und trat gegen die Eisentür, die sich jedoch nicht davon beeindrucken ließ. Er griff nach den Stäben im oberen Teil der Tür und blickte durch das Gitter. Ein bis auf mehrere bewaffnete Männer leerer Gang erstreckte sich vor ihm.
,,Eh!”, schrie er und rüttelte an der Tür, doch diese zeigte sich noch immer unbeeindruckt. Rabanus erspähte ein dickes Schloss und versuchte, seinen Arm durch das Gitter zu stecken, doch weit kam er nicht.
Seufzend ließ sich Rabanus zurück auf den Boden fallen und betrachtete seine Kleidung. Man hatte ihn wahrlich Flicken zum Anziehen gegeben. Nein, das waren keine Flicken - das war seine dunkelblaue Robe, die inzwischen völlig zerschlissen war!
,,Aber es muss doch irgendeinen Weg hier raus geben!”, rief er zornig. ,,Es muss einen Weg hier raus geben!” - ,,Tut mir leid für Euch, doch dieses Verlies ist das sicherste in ganz Silaeta.”, sagte einer der Wachtmänner. ,,Hier ist wahrlich noch niemand geflohen.”
,,Dann werde ich eben der erste Gefangene sein, der es versucht!”, entgegnete Rabanus und sprang wieder auf die Beine. Der Wachtmann jedoch lachte nur. ,,Ihr seid nicht der erste Gefangene, der es versucht!”, sagte er. ,,Aber Ihr seid wahrlich der erste, der den Fluchtversuch ankündigt! Nur wie wollt Ihr hier heraus kommen? Ihr steckt in einem Mantel aus Eisen!”
,,Und Ihr solltet Eure Spucke für sinnvollere Gespräche sparen!”, entgegnete Rabanus. ,,Komme, was wolle, ich werde mich rächen!”
,,Auch das haben die anderen gesagt, bevor sie unterm Balken oder am Galgen landeten!”, meinte die Wache. Offenbar amüsierte er sich sehr auf die Kosten des Gefangenem.
,,Ich habe das ganze Königreich geblendet, eine Armee aufgebaut und bin Berater des Königs geworden.”, verkündete Rabanus schließlich stolz. ,,Glaubt Ihr nicht, dass ein Mann wie ich auch so etwas Einfaches wie eine Flucht schaffen würde?”
,,Eine einfache Flucht vielleicht, aber eine Flucht aus dem sichersten Verlies des Königreiches ist gewiss nichts Einfaches, geschweige denn etwas Mögliches.”, antwortete der Wachtmann und lachte wieder.
Rabanus hasste dieses Lachen. Es klang so vorlaut, so angeberisch. Als ob alles bereits beschlossen war und er sich nur noch fügen musste. Aber er würde sich nicht einfach fügen. Er war der rechtmäßige König von Silaeta, und irgendwann würde er sich auch die Krone von Silaeta auf sein edles Haupt setzten können.
Der Wachtmann verließ seine Position vor der Tür und Rabanus ließ sich wieder auf den kalten Steinboden fallen. Er musste nur nachdenken, dann würde er es irgendwie schaffen, von diesem Ort zu verschwinden.
,,He, Euer Mahl!”, rief ein anderer Wachtmann und öffnete eine winzige Klappe an der Eisentür, durch die er einen Teller mit zwei Scheiben Brot und einen zerbeulten schmucklosen Kelch mit Wasser schob. Dann schloss er die Klappe sofort wieder.
Rabanus zog denn Teller zu sich und starrte das Mahl an. Spärlich war nicht einmal ein angemessener Ausdruck dafür. Das Brot war hat und offenbar getrocknet, das Wasser war reines Regenwasser, das irgendwer aufgefangen hatte, als es irgendwann tatsächlich einmal regnet hatte. In der Wüste kam so etwas nicht allzu häufig vor.
Er nahm eine der Scheiben und biss ein paar mal hinein, doch das trockene Zeug zerbröselte und Rabanus glaubte schon fast, dass er Staub aß. Das Wasser halt auch nicht gerade. Es schmeckte ein wenig nach Pflanzengrün.
,,Kann ich nicht war Ordentliches bekommen!?”, murrte er und stieg des Teller von sich. Die Wache tauchte wieder vor seiner Tür auf. ,,Verzeiht, aber hier wird es nur Wasser und Brot geben.”, antwortete der Mann. ,,Teilt es Euch ein.”
,,Einteilen!?”, rief Rabanus. ,,Lieber verhungere ich, als diesen Fraß zu essen!” Der Wachtmann jedoch verzog keine Miene. ,,Mir ist egal, was Ihr tut und was nicht, aber Brot und Wasser wird das Einzige sein, was Ihr während Eures Aufenthaltes hier bekommen werdet.”, erwiderte er kalt. ,,Findet Euch damit ab!”
Rabanus zog den Teller wieder zu sich und nahm erneut die Scheibe Brot. Wieder biss er hinein und wieder zerkrümelte das Brot in seinem Mund.
,,Eh, Wache!”, rief Rabanus. ,,Habt Ihr eine Schüssel?” - ,,Eine Schüssel?”, fragte dieser. ,,Wozu braucht Ihr eine Schüssel?”
,,Das kann Euch egal sein, ich brauche einfach eine!”, erwiderte Rabanus. ,,Muss ja auch nicht groß sein…” Der Wachtmann runzelte die Stirn. ,,Ich habe keine Ahnung, wofür Ihr eine Schüssel braucht, doch wir haben tatsächlich ein Schüsselchen.”, antwortete er.
,,Na, dann los, holt sie!”, befahl Rabanus. Die Wache schüttelte den Kopf. ,,Befehlen wird mir nur der König etwas.”, antwortete er. ,,Wenn, dann müsst Ihr mich schon darum bitten.”
,,Da holt diese verdammte Schüssel, bitte!”, entgegnete Rabanus. ,,Aber beeilt Euch!” Der Wachtmann runzelte die Stirn, verschwand jedoch dann. Nach ein paar Minuten kam er mit einer Schüssel zurück und schob sie durch die Klappe.
Rabanus griff danach und krümelte das Brot hinein. Dann schüttelte er das Wasser darüber. ,,Das muss man ja erst stundenlang einweichen.”, murmelte er dabei. ,,Anders kann man diesen Fraß ja nicht fressen!”
Die Wache schüttelte nur den Kopf. ,,Ich muss gestehen, auf so etwas ist noch keiner vor Euch gekommen.”, sagte der Mann. ,,In diesem Falle seit Ihr wohl wirklich der Erste, aber das wird Euch nicht helfen, auszubrechen.”
,,Aber es wird helfen, hier irgendwie zu überleben, wenn man nur Fraß vorgesetzt bekommt!”, giftete Rabanus. ,,Ihr werdet sehen, ich komme wieder!”

****

Arodos verknotete die Schärpe seiner roten Robe und setzte die Krone auf. Dann strich er sein graubraunes Haar glatt. Die Gerichtverhandlung würde heute über die Taten von Orka Rabanus entscheiden.
Inzwischen nannten alle Menschen ihn bei beiden Namen, auch wenn das zweite nur sein Deckname war, mit dem er so viel Ungutes getan hatte. Arodos ärgerte innerlich sich noch immer über seine Naivität.
,,Majestät.”, sagte einer der Asfaloth, der in seinen Räumen stand. ,,Ihr müsst aufbrechen.” Arodos nickte. ,,Es wird Zeit, dem Unheil ein Ende zu bereiten, auch wenn es gewiss nicht leicht wird.”, erwiderte der König.
Der Asfaloth begleitete Ihr hinaus. Die Gerichtsverhandlung würde wie eh und je in einem Gebäude unweit des Palastes stattfinden. Er würde mit der Kutsche dorthin gelangen, die bereits vor dem Palast auf ihn wartete.
Der Asfaloth öffnete eine der Türen. Sie war mit dem Emblem des Königshauses verziert, einem Pferd über dessen Kopf ein großer Vogel, vermutlich ein Greifvogel, schwebte.
Arodos raffte die Roben und stieg in die Kutsche. Der Asfaloth setzte sich neben ihn, gab dem Kutscher das Zeichen zum Fahren und verschloss die Tür.
Die Kutsche selbst war innen ganz in einem warmen Rot gehalten, ähnlich wie das seiner Robe. Die Sitze waren gepolstert und mit Samt überzogen.
Doch Arodos ignorierte den Luxus. Was brachte es ihm schon, wenn er sich jetzt daran erfreute, wo diese Kutsche ihm zum Gerichtssaal bringen würde, in dem er seinen Feind, der ihn ermorden wollte, wiedersehen würde?
,,Wir sind da, mein König.”, sagte der Asfaloth, öffnete die Tür, sprang hinaus und half dann Arodos aus der Kutsche. Dann schloss er die Tür wieder und der Fahrer bekam ein Zeichen.
Arodos hielt kurz inne. Das Gerichtsgebäude lag genau gegenüber des Hauptquartiers des Asfaloth. Er sah, wie einige Pferde die Köpfe über die Boxentüren streckten, als er durch das offene Tor sah. Einige Asfaloth standen dort in einem engeren Kreis und sprachen über etwas.
Als sie ihn sahen, beugten sie sich kurz und setzten dann ihr Gespräch fort. Arodos seufzte und wandte sich ab, um das Gebäude zu betreten.
Die vielen gewundenen Treppen machten ihm allmählich zu schaffen, doch das Gesetz verlangte, dass der König der Blutrichter beim Hohen Gericht sein würde. Er musste es also überstehen und irgendwie im Gerichtssaal im zweitem Stockwerk ankommen.
Der Asfaloth half ihm hinauf und öffnete dann die Tür zum Gerichtssaal. Der Raum war leer. Auch im Gebäude war ihnen nicht eine einzige Menschenseele begegnet.
Arodos ging zu seinem Platz an der Stirn des Raumes und ließ sich auf den kunstvoll geschmückten Stuhl sinken. Der Asfaloth dagegen nahm eine Wächterhaltung an der Wand ein.
Nach ein paar Minuten kamen plötzlich immer mehr Menschen in den Saal geströmt. Die Asfaloth reihten sich an den Wänden auf. Arodos erkannte seine - wie sich nun herausgestellt hatte - Stieftochter Aruna unter ihnen.
Einige andere Richter setzten sich ebenfalls auf ihre Positionen am U-förmigem Tisch. Da Rabanus als gefährlich galt und man mit einem Fluchtversuch rechnete, wurden seine Hände mit Fesseln mit Rücken an den Stuhl gebunden.
Sylvia als Geliebte des damals ermordeten Philitis und Aruna als dessen Tochter vertraten die Seite der Kläger. Eigentlich sollte Sylvia allein klagen, doch sie hatte darauf bestanden, dass Aruna neben ihr sitzen musste.
Die restlichen Menschen waren zu Zeugen geladen wurden, unter anderem auch ein Bauer, der angeblich von Vagabund vor Rabanus’ Kriegern gerettet worden war, die ihm sein Pferd nehmen wollten.
Auch die Asfaloth Lucan, Roan und Arion waren geladen wurden, da sie wesentlich daran beteiligt waren, dass Rabanus’ Krieger die Schlacht vor dem Palast verloren hatten. Ebenfalls hatte er Kronprinz Leonardo von Silaeta, seinen Sohn, geladen, denn er war sich sicher, dass er ebenfalls eine Menge über Rabanus erzählen konnte.
Mehrere Reihen an Bänken in dem hinterstem Teil des Gerichtssaals waren mit Bürgern und Bürgerinnen aus Silaeta besetzt, die unbedingt an der Verhandlung gegen Rabanus als Zuschauer teilnehmen wollten.
Langsam kehrte Ruhe im Saal ein und Arodos erhob sich. Wie auf ein Kommando standen alle auf und verbeugten sich vor ihm. ,,Setzt Euch.”, sagte er mit kraftvoller Stimme. Seitdem Rabanus nicht mehr sein Berater war, kehrte jeden Tag etwas mehr von seiner Lebenskraft zurück.
,,Hohes Gericht, Bürger und Bürgerinnen von Silaeta. Wir haben heute eine Verhandlung der besondern Art vor uns. Viele erinnern sich bestimmt an die Verhandlung, die damals gegen Orka geführt wurde. Ein Asfaloth, der seinen Asfalothenbruder ermordet hatte.”, begann Arodos. ,,Er wurde verbannt, doch er schaffte es, unter neuem Namen, neuem Aussehen wieder in unser Königreich zu gelangen.”
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch. ,,Heute sitzt dieser Mann wieder auf dem Stuhl des Angeklagtem, auf dem er damals gesessen hat.”, sagte Arodos. ,,Nur nennt er sich heute Rabanus, oder besser: Orka Rabanus. Ich bitte nun, die Kläger zu sprechen.”
Arodos setzte sich wieder und Sylvia erhob sich. ,,Hohes Gericht, Bürger und Bürgerinnen von Silaeta. Hiermit klage ich Orka Rabanus des Hochverrats, des versuchten Königsmordes und des Betrugs an.”, sagte sie mit kräftiger Stimme. ,,Rabanus Orka stellte hinter dem Rücken des Königs eine Armee auf, die ihm dabei helfen sollten, unseren König Arodos, dem er als Berater diente, zu ermorden und sich selbst zum König zu krönen.”
,,Ich danke Euch.”, sagte Arodos und blickte dann zu Rabanus hinüber. Dieser warf ihm einen bitterbösen Blick zu, doch Arodos ignorierte dies. ,,Ich bitte nun, den Anwalt des Angeklagten zu sprechen.”
,,Hohes Gericht, Bürger und Bürgerinnen von Silaeta.”, sagte er. ,,Ich wurde damals ungerecht behandelt. Meine Verbannung aus dem Königreich war unnötig. Außerdem hat Königin Sylvia von Silaeta mir damit gedroht, mich eigenhändig umzubringen, wenn ich nicht für immer verschwinden würde.”
,,Ich danke Euch.”, sagte Arodos. ,,Königin Sylvia von Silaeta, ist das wahr? Habt Ihr Orka Rabanus mit dem Tod gedroht?”
Sylvia schüttelte den Kopf. ,,Das ist eine Lüge.”, sagte sie. ,,Er hat mir mit Rache gedroht, als ich ihn damals abgewiesen habe, weil ich mit Philitis den besten Asfaloth an meiner Seite hatte. Ich habe nie jemandem gedroht.”
,,Aruna, würdet Ihr Euch nun zu dem Vorwurf an Orka Rabanus äußern?”, fragte König Arodos und sah zu ihr hinüber. Aruna nickte. ,,Ich habe mit angesehen, wie mein Vater von diesem Mann erstochen wurde.”, sagte sie. ,,Und ich weiß, dass seine Männer geplündert haben. Sie haben arme Bauer belauert und behauptet, dass Pferd oder Getreide rechtmäßig ihrem Herrn, Rabanus Orka gehören würden. Als Vagabund versuchte ich, solchen Bauern zu helfen.”
,,Bauern wie Euch?”, fragte Arodos und sah zu dem Bauern hinüber, der auf Wunsch von Aruna als Zeuge geladen worden war. Aruna nickte.
,,Äußert Euch bitte dazu.”, forderte Arodos ihn auf. Der Bauer nickte heftig. ,,Ja, was Vagabund sagt, ist wahr.“, sagte er so eifrig, dass sich seine Worte fast überschlugen. ,,Mir wollten die Männer mit den schwarzen Mänteln mit der roten Rune meinen Banjo wegnehmen, ohne dessen Hilfe ich meine Familie nie hätte versorgen können. Mein Banjo ist ein kräftiges Ross, er wollte es wohl seinem Herren als Reitpferd schenken.”
,,Nun bitte ich den Zeugen Prinz Leonardo von Silaeta zu sprechen.”, sagte Arodos. Sein Sohn nickte und stand auf. ,,Ich habe mit Aruna mehrfach gegen seine Spione kämpfen müssen, als wir versuchten, vor Rabanus Orka die Phiole des Lichts zu bergen. Er wollte sie unbedingt haben, doch Aruna und ich, wir konnten das erfolgreich verhindern.”, erzählte Leonardo.
,,Asfaloth Lucan, Asfaloth Arion, Asfaloth Roan.”, sagte Arodos. ,,Ihr habt die Asfaloth zusammen geführt, nachdem Orka Rabanus sie aufgelöst hatte. Ist das richtig?”
,,Das ist richtig, Majestät.”, ergriff Lucan das Wort. ,,Wir haben Euch die Treue geschworen und diesen Eid wollten wir alle drei nicht brechen. Und wir appellierten auch an den Verstand der anderen Asfaloth, dies zu tun.”
,,Wir haben lange vorher Rabanus’ Krieger im Auge behalten und bemerkt, dass er versucht hat, Euch, Majestät, die Macht abzunehmen, was ihm auch fast gelungen wäre.”, fügte Arion hinzu. ,,Aber wir konnten es verhindern, da ich die Rede von Orka Rabanus an seine Krieger mit angehört habe, denn er sprach so laut, dass das Gebäude fast erzitterte.”
,,Ich habe mit Aruna auf der Flucht vor ihm und seinen Männern ein Gespräch von ihm belauscht, in dem er ankündigte, dass er das Licht ergreifen wolle, um seine Macht zu stärken.”, fügte Roan dann hinzu. ,,Aber ich klage Orka Rabanus auch des Mordes an meiner Geliebten, Sandira, an, die er kurz vor der Verhandlung damals mit seinem Schwert ermordet hat.”
,,Gibt es dafür Beweise, Asfaloth Roan?”, fragte Arodos. Roan zuckte mit den Schultern. ,,Das weiß ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich allein mit Sandira bei meinem Pferd.”, sagte er schließlich. ,,Sir Roans Albin hat sicher alles genau gesehen, doch er ist nur ein Pferd und spricht leider unsere Sprache nicht.”
,,Hohes Gericht, Bürger und Bürgerinnen von Silaeta.”, verkündete Arodos schließlich. ,,Ich weiß nicht, ob Orka Rabanus tatsächlich Sandira ermordet hat, doch kenne ich meine Asfaloth sehr gut und weiß, dass er seinen Eid niemals brechen und mir gegenüber niemals lügen würde. Da ich selbst am meisten spüren musste, welch großen Verrat der Angeklagte getan hat, würde ich ihn zum Tode verurteilen. Hat jemand dagegen etwas einzuwenden?”
Zu seinem Verblüffen stand Aruna auf. ,,Majestät, ich finde, es ist bereits genug Blut seinetwegen geflossen, warum also noch mehr Blut fließen lassen?”, sagte sie aufrichtig. ,,Er mag ein Verräter, ein Mörder sein, doch glaube ich nicht, das man Blut mit Blut bestrafen sollte.”
,,Welches Urteil schlagt Ihr dann vor, Aruna?”, fragte Arodos. Ihre Begründung klang interessant. Sie war wirklich ein kluges Mädchen.
,,Ich schlage erneute Verbannung vor.”, verkündete sie. ,,Verbannung ins Nebelland, zu unseren Feinden. Entweder er wird einer von denen und dann bitter im herannahenden möglichem Krieg sterben oder die Wüste holt ihn sich.”
,,Ihr seid eine kluge Frau, Aruna.”, meinte Arodos. ,,Ein gutes Urteil. Ich schließe mich Euer Meinung an. Ist jemand dagegen, Orka Rabanus ins Nebelland zu verbannen?”
Alle schwiegen und Aruna setzte sich wieder. Dafür stand Arodos nun auf. ,,Hohes Gericht, Bürger und Bürgerinnen von Silaeta.”, sagte er. ,,Hiermit verurteile ich Orka Rabanus zur augenblicklichen Verbannung ins Nebelland.”
Arodos schwieg kurz und betrachtete Rabanus, doch dieser schwieg ebenfalls und starrte auf den leeren Tisch. ,,Schafft ihn fort!”

*****

Leonardo hatte gerade Persia in den Stall gebracht und abgesattelt, als er Aruna über den Hof in Richtung Palast gehen sah. Noch immer war im dieser Anblick fremd, sie zu sehen, wie sie in den Palast lief. Nachdem König Arodos sie in die Familie, wenn auch ohne Titel, aufgenommen hatte, wohnte sie dort.
Sie trug ein schlichtes grünes Kleid mit einem weitem Rock, geschnürtem Korsett und langen, weiten Ärmeln. Ihr rotblondes Haar fiel ihr offen über die Schultern.
Sylvia hatte ihr das Kleid geschenkt, denn sie hatte Aruna nicht gestattet, in Männerkleidung zur Gerichtsverhandlung zu gehen. Und den Zopf, den Aruna sonst immer trug, hatte sie auch öffnen müssen.
Auch wenn sie keinen Titel trug, sah sie auf wie eine Prinzessin und außer ihrer noch immer stolzen Haltung konnte man die Kriegerin in ihr kaum noch sehen, fand Leonardo.
Er blickte ihr noch einige Zeit nach. ,,Morgendämmerung.”, murmelte er leise, bevor er ebenfalls zum Palast lief. Als er das Tor öffnete, hämmerte sein Herz gegen die Brust, doch er wusste nicht, ob es aufgrund des kurzem Sprints zum Palast oder Arunas Anwesenheit war.
Sie war noch im Flur. Als sie ihn sah, blieb sie stehen und drehte sich nach ihm um. Das Collier aus Silber mit einem grünen Smaragd, welches sie trug, passte hervorragend zu ihren Augen und ihrem Kleid.
Sie lächelte ihn an und er lächelte zurück. ,,Aruna.”, sagte er liebevoll. ,,Ich weiß, dass dieser Tag nicht leicht für Euch war…” - ,,Keine Sorge.”, unterbrach Aruna ihn. ,,Mir geht es gut.”
,,Das freut mich.”, antwortete er. ,,Ich würde Euch gern etwas zeigen.” Er griff nach ihrer Hand und sie ließ ihn gewähren.
Leonardo führte sie quer durch das Schloss und dann durch eine schmale Tür wieder hinaus in die Nacht, die inzwischen hereingebrochen war. Dann ließ er Arunas Hand los.
,,Wow.” Staunend blickte Aruna sich um. ,,Wo sind wir hier?” Leonardo fing ihren Blick auf. ,,Das ist der Rosengarten. Mein Vater hat ihn für Sylvia vor langer Zeit anlegen lassen. Außer ihr und ein paar Gärtnern kommt nie jemand hierher.”, erklärte er. ,,Ich dachte, es würde Euch vielleicht gefallen, Aruna.”
,,Es ist wunderschön hier.”, erwiderte sie. ,,Ich glaube, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie an einem so schönen Ort gewesen.”
Leonardo lächelte. ,,Gehen wir doch ein Stück.”, sagte er und legte einen Arm um ihre Hüfte. Wieder stieß sie ihn nicht von sich. ,,Wisst Ihr noch, wie wir uns damals kennen gelernt haben?”, fragte er schließlich.
,,Oh ja.”, lachte Aruna. ,,Ihr habe Euch vor Rabanus’ Kriegern gerettet und Ihr habt mich dafür durch die Sandfelsen gejagt und anschließend vor den König gebracht.”
,,Es tut mir so leid.”, sagte Leonardo entschuldigend und er konnte nur mit Mühe eine Träne unterdrücken. ,,An dem Abend davor hatte mein Vater ein großes Fest gegeben und jede Menge reiche Damen eingeladen. Ich sollte mir eine Braut aussuchen, doch ich wollte keine von diesen verzogenen Reichen.”
Er machte eine kurze Pause und sah Aruna an. Sie hörte ihm aufmerksam zu. ,,Ich griff mir die Nächstbeste und bat sie, mit mir hinaus in die Nacht zu gehen, weil mir im Saal zu warm war, und sie kam mit mir.”, fuhr er fort. ,,Doch draußen sagte sich, dass ich etwas gehört habe und nachsehen wolle, ließ sie stehen, zog meine andere Kleidung an, die ich im Stall aufbewahrt hatte, sattelte Persia und floh von diesem grässlichem Fest.”
,,Was ist mit der Dame passiert und was hat Euer Vater dazu gesagt?”, fragte Aruna. Leonardo blickte kurz zu Boden. ,,Was mit der Dame geschehen ist, weiß ich nicht.”, gab er zu. ,,Aber ich wusste, dass mein Vater wütend auf mich war und wollte nicht nach Hause zurückkehren. Dann bin ich angegriffen worden und Ihr kamt mir zu Hilfe. Ich glaubte, wenn ich meinem Vater eine Gesetzesbrecherin ausliefern würde, könnte er meine Taten ignorieren.”
,,Ist es wenigstens gelungen?”, fragte Aruna. Leonardo schüttelte den Kopf. ,,Wie seid Ihr damals überhaupt entkommen?”
Aruna lächelte. ,,Königin Sylvia… Ich meine Mutter… Sie hatte mich offenbar erkannt und mir gezeigt, dass sie Sakura, die Schwarze Meisterin, war.”, erzählte sie. ,,Dann hat sie mir einen Handel vorgeschlagen: Wenn Ich für sie in Silaeta spionieren und Berichte davon an sie schreiben würde, bekäme ich Orlando, mein Schwert und die Freiheit zurück. Ich habe das Angebot angekommen und sie hat mir zur Flucht verholfen.”
,,Ich bin ihr dankbar, dass sie Euch gerettet hat.”, sagte Leonardo leise. ,,Und es tut mir noch immer unendlich leid, dass ich Euch meinem Vater ausgeliefert habe.”
,,Ihr braucht Euch nicht mehr schuldig zu fühlen. Hättet Ihr das nicht getan, hätte mich meine Mutter nie erkannt und ich hätte nicht von Rabanus’ Plänen erfahren, wäre nicht mit Euch auf die Suche nach der Phiole des Lichts gegangen…”, sagte Aruna und brach ab. ,,Ehrlich, wenn Ihr das nicht getan hättet, wäre ich jetzt nicht hier.”
Leonardo fing wieder ihren Blick auf. Sie sah ihn fast sogar dankend an und lächelte. ,,Dankt mir nicht, Aruna.”, sagte er. ,,Dankt mir nicht.”
,,Es tut mir auch leid, was ich in der Höhle damals getan habe.”, gestand er. ,,Ich wollte Eure Ehre nicht verletzen, ich schwöre.” Aruna blieb stehen und strich mit ihrer Hand über seinen Arm, der sie noch immer umschlag.
,,In dieser Nacht habe ich tatsächlich von jemanden geträumt, der mich so umschlag, wie Ihr es getan habt, Leonardo.”, murmelte sie. ,,Und ich hoffte, dass dieser jemand mich niemals wieder loslassen würde.”
,,Ist das wahr?”, fragte Leonardo und sie nickte. ,,So wahr, wie ich hier stehe.”, erwiderte sie. ,,Ich war nur sehr verwirrt, als ich aufgewacht bin und das Gefühl der Arme immer noch gespürt hatte. Ich glaube, ich habe damals einfach nur überreagiert.”
,,Ich habe immer geglaubt, dass Ihr mir nie vergeben würdet.”, meinte Leonardo. ,,Das Ihr mich innerlich für immer hassen würdet, wegen all dem, was ich getan habe.”
Aruna blickte zu Boden. Ihre Hand ruhte noch immer auf seinem Arm und sein Hand immer noch an ihrer Hüfte. ,,Aber ich habe dir vergeben.”, flüsterte sie und sah ihm in die Augen. ,,Ich habe nur immer geglaubt, dass Ihr mich noch immer hassen würdet.”
Leonardo hielt ihrem Blick stand. In ihren Augen konnte er sehen, dass sie ihn nicht belog. Und er sah eine Art Sehnsucht darin.
,,Aruna.”, hauchte er. ,,Ich wollte schon lange Euch etwas sagen, doch nie schien der Ort oder die Zeit angemessen gewesen zu sein. Also habe ich es immer weiter hinaus geschoben, aber als ich Euch vorhin gesehen habe, wie Ihr zum Palast gegangen seid, wurde mir klar, dass ich es nicht länger verschweigen darf…”
Er machte eine kurze Pause und sah ihr noch immer tief in die Augen. Ein leichter Windstoß fuhr durch ihre langen Haare. ,,Seid der Nacht in der Höhle…”, begann er. ,,Seid dieser Nacht habe ich Euch nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Egal, an was ich auch dachte, immer wieder seid Ihr vor meinem innerem Auge aufgetaucht…”
Wieder machte er eine Pause, ohne den Blick von Aruna zu nehmen. Sein Herz klopfte noch schneller, als es das vorhin getan hatte, doch diesmal wusste er ganz genau, dass es Aruna war, die es so gegen seine Brust hämmern ließ.
,,Seid der Nacht in der Höhle weiß ich, was Liebe ist.”, hauchte er. ,,Und ich weiß jetzt, dass ich mich schon damals in Euch verliebt habe.” Er nahm seine andere Hand und strich ihr dann so sanft wie möglich über ihre Wange. ,,Ich liebe Euch, Aruna.”, flüsterte er.

*****

Aruna sah ihm noch tiefer in die Augen. Er sprach wahr, das spürte sie. Sein Haar wehte sanft im Wind, während sie so dastand und ihn wie verzaubert ansah.
Er trug ein sauberes Hemd und ein mit Silberfäden besticktes Wams, welches ihm unglaublich gut stand. Sein Haar war offen und mit einer schmalen Krone geschmückt.
Noch immer konnte sie kaum glauben, was er, Prinz Leonardo von Silaeta, gerade gesagt hatte. Aber er hatte damit ihr Herz berührt. Er hatte es schon so oft berührt, wurde Aruna jetzt zum ersten Mal wirklich bewusst.
,,Ich liebe Euch, Prinz Leonardo von Silaeta.”, gestand sie und schmiegte ihnen Kopf an seine starke Brust, während sie verträumt die Augen schloss. Sie könnte sein Herz spüren, das gegen seine Brust schlug. Ihr Herz schlug ebenfalls schnell und stark.
Aruna spürte, wie Leonardo ihr übers Haar strich und dieses dann liebevoll küsste. Sie streichelte vorsichtig seinen Arm, mit dem er sie noch immer umschlugen hatte. ,,Morgendämmerung.”, murmelte Leonardo leise.
,,Starker Löwe.”, erwiderte Aruna leise, als sie die Bedeutung ihres Namens hörte. Dann öffnete sie die Augen wieder und sah ihn an.
Er lächelte glücklich und sie lächelte zurück. Leonardo schlang seine Arme um ihre Hüfte, als Aruna seinen Kopf in ihre Hände nahm und ihn zu sich zog.
Sie schloss die Augen und genoss den langen, intensiven und leidenschaftlichen Kuss. Sie wollte sich nicht lösen und auch Leonardo beabsichtigte dies offenbar nicht. Minutenlang standen sie eng umschlugen im Rosengarten unter Sternenhimmel.
Irgendwann lösten sie sich wieder und Aruna öffnete die Augen wieder. ,,Ihr seid wundervoll.”, murmelte sie, als er ihr Gesicht berührte. Verträumt sah sie zu ihm auf.
Ihr Herz schlug noch immer so schnell wie zuvor, wenn nicht gar noch schneller. Genau genommen war es ihr erster, richtiger Kuss. ,,Ich habe noch nie eine Frau wie Euch geküsst.”, gestand er. ,,Eigentlich habe ich noch nie irgendeine Frau geküsst.”
Aruna lächelte ihn verträumt an. ,,Und ich habe noch nie einen Mann außer Euch geküsst, Leonardo.”, erwiderte sie zögernd. ,,Ich hoffe, ich habe Euch nicht verschreckt.”
,,Ganz und gar nicht.”, murmelte er und küsste sie erneut. Aruna schloss die Augen und erwiderte leidenschaftlich seinen innigen Kuss. Es wurde ihr heiß und kalt zugleich, als sie seine tiefe Liebe zu ihr spürte.
,,Was wird Euer Vater sagen, wenn er von uns erfährt?”, fragte Aruna leise. ,,Ich will Euch nicht verlieren.” - ,,Vater wollte, dass ich eine Frau finde, die ich liebe.”, antwortete Leonardo. ,,Und die hab ich in Euch gefunden, Aruna. Damit wird er sich wohl abfinden müssen.”
Eine Weile genoss Aruna die Stille. Sie sah ihm wieder tief in die Augen. Der Wind wehte ihm eine seiner Strähnen ins Gesicht und Aruna stich sie liebevoll zur Seite.
,,Ich habe Euch nicht nur hierher geführt, damit ich Euch meine Liebe gestehe…”, teilte Leonardo ihr schließlich mit und zog von irgendwoher einen schmalen Silberring hervor, in den die selben Runen eingraviert waren, die Leonardos Körper zierten.
Aruna starrte den Ring fasziniert an. Diese feinen Runen. Dieser Ring musste von jemandem geschmiedet sein, der ein Meister auf seinem Gebiet war.
,,Aruna von Silaeta.”, sagte er. ,,Wollt Ihr für immer und ewig an meiner Seite als Prinzessin Aruna von Silaeta leben und mich zu Eurem Gemahl nehmen?”
Sie wand ihren Blick von dem Ring ab und sah im in die Augen. ,,Ja.”, hauchte sie überrascht und spürte, wie sie errötete. Doch es war ihr egal, auch wenn die Nacht es nicht verschleiert hätte. ,,Das will ich.”
Leonardo griff nach ihrer Hand. ,,Nehmt den Ring als Zeichen meiner Liebe.”, sagte er. ,,Ich ließ ihn vor sehr langer Zeit schmieden, falls ich irgendwann mal eine Frau finden sollte, die mein Herz erobert.”
,,Er ist wunderschön.”, flüsterte Aruna und Leonardo schob ihn über ihren Finger. Dann schlang er seine Arme von hinten um ihre Hüfte.
,,Seht Ihr da hinten?”, fragte er schließlich und sie legte ihren Kopf auf seine Brust und genoss seinen samtigen Atem in ihren Haaren, die er dann mit seinen Lippen liebkoste. ,,Was ist da hinten?”, fragte Aruna, als er die Haare mit einer Hand aus ihrem Nacken schob und diesen küsste.
,,Dort hinten, das ist die große, weite Wüste. Und ob Ihr nun einen Titel tragt oder nicht…”, flüsterte Leonardo. ,,Für mich seid Ihr schon lange Aruna, Prinzessin der Wüste.”

~Ende~
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